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Willibald Feinig · 06. Feb 2013 · Literatur

Was wir machen, ist Müll – Zu Marianne Gronemeyers Buch über sündhaftes Arbeiten, erschienen 2012

Die Verunsicherung fängt beim Titel an – „Wer arbeitet, sündigt“ – und geht bis zum Werbetext hinten am Deckel des Buchs, das ich besprechen möchte, den Gesetzen des Buchmarkts zum Trotz: Marianne Gronemeyers (angeblich flammendes) „Plädoyer für gute Arbeit" ist nämlich nicht mehr brandneu, ist vor einem halben Jahr erschienen; ein Entsorgungsfall.

Die Autorin, seit ihrer Habilitationsschrift „Die Macht der Bedürfnisse – Überfluss und Knappheit“ 1988 als Schülerin des unbequemen Ivan Illich (des vermeintlichen Achtundsechzigers) geoutet, hat weder einen Arbeits-Ratgeber für die ökonomisierte Welt geschrieben, noch das Gegenteil, eine Philosophie der Verweigerung – auch sie wäre marktkonform und wohlfeil neben anderen Siebenmeilenstiefeln der Kategorien Integration, Fortbildung, Coaching versprechen, Anweisungen zu verinnerlichter Selbstausbeutung und Flucht vor der Menschwerdung.

„Wachstum" und „Fortschritt"

Kurz: Kein gewöhnliches Buch. – So sieht sie also aus, die Welt, nachdem durch einen schwindligen Quantensprung aus Karl Marx’ Entdeckung, in der Ökonomie liege der Schlüssel zur Befreiung des Menschengeschlechts, auf einmal alles Ökonomie geworden ist, und Befreiung überflüssig; mehr noch, krankhaft, abnorm!

Alles? - Was, von Einzelnen abgesehen, kann sich dem Diktat entziehen? Die Psychologie repariert die armen Seelen, die nicht mehr funktionieren nach den Prämissen ‚Wachstum’ und ‚Fortschritt’. Die Kirchen sind zuständig für Heiliges und Feierliches, wo nichts heilig ist, am wenigsten Arbeit, die ihre Zeit benötigt und ihr Material und eine Hand dafür und einen Auftrag, und dem, der sie verrichtet, etwas zurückgibt, wie sich Gronemeyer ausdrückt (Freude nämlich).

Alles: Industrialisierte Freizeit, Reisen und Gastlichkeit, Krieg und Kommunikation, Natur und Naturwissenschaft. Oder was bedeutet Produktions- und Konsumsteigerung, wie sie weltweit erstrebt wird, wenn nicht Vermehrung von - Müll? Wie ein alter Aargauer Metzger sagte, der seinen Laden schloss, in dem seine Frau schwermütig geworden war: Wir werden noch so weit kommen, dass die Leute Dreck fressen, und das gärn (statt der aufwändig hergestellten Cervelat).

„Wer Überflüssiges herstellt, wird selbst überflüssig.“

Alles, mag das auch maschinenstürmerisch klingen: Die Arbeit ist zum Job geworden, der vermeintlich ineffizienten Leiblichkeit des Menschen (sprich: seiner Hand mit dem gegenständigen Daumen, einem Wunderwerk in der Erscheinungswelt) entwunden. Arbeit selbst ist Ware geworden, Mangelware. Wie sollen Produkte von Dauer auch nur erstrebenswert sein, wie soll das bei der Arbeit Anfallende verwertet werden und die zum Werk nötigen Werkzeuge gediegen und handsam sein, wenn das Produkt überflüssig ist, die Verantwortung des Einzelnen eine scheinbare, und der Lohn in Wahrheit Entschädigung für Unbill, nicht Gegenwert guter Arbeit (weithin mit dem Gefühl verwechselt, das sie begleitet)?

Wer Überflüssiges herstellt, wird selbst überflüssig, sagt Gronemeyer. Und:

Schulen sind wahre Produktionsstätten für belanglose Aufgaben. Schon dass immer alle das Gleiche tun müssen und immer alle am gleichen Standard gemessen werden, macht die Arbeit, die in der Schule geleistet wird - von Schülern wie von Lehrern – systematisch belanglos. Von solchen Bildungsinstitutionen wird Bildung gar nicht erwartet. Die Lektion, die wir in Wahrheit systematisch lernen: Auf mich und was ich mache, kommt es nicht an; nur mithalten, konkurrieren können muss ich.

Zu ihrem provokanten Buch, einer Anstiftung ohne Aufhebens zu desertieren aus der sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise (Paulus), hat sich Marianne Gronemeyer nicht nur von dem (vor zehn Jahren verstorbenen) Ivan Illich, sondern auch vom deutschen Wortfeld „Arbeit“ (bearbeiten, ausarbeiten, zuarbeiten, etwas erarbeiten, an sich arbeiten….) herausfordern lassen; auch von der Begegnung mit Kaspanaze und Lucia Simma auf ihrem Hof im Bregenzerwald, und von ihrem eigenen Garten.

Herausforderung ist ein Stichwort. Gronemeyer sagt bewusst provokant dafür Fremdbestimmung (nicht Fremdbeherrschung): Erst sie, erst die Berufung zu etwas Notwendigem, sein Beruf, macht aus einem Menschen jemand Einmaligen und Unersetzbaren, lässt ihn über sich hinauswachsen, beendet den jämmerlichen Kreislauf der Produktion von Müll. Selbstbestimmung als Merkmal guter Arbeit wäre demnach nur die halbe Wahrheit und kein Gegensatz zu Fremdbestimmung,… die den Berufenen in eine Aufgabe und in eine Gemeinschaft hereinholt.

Nach der Lektüre von Wer arbeitet, sündigt … ist mir wie einem Arbeiter, der eine große Arbeit gefunden hat, und gutes Werkzeug.

 

Marianne Gronemeyer, Wer arbeitet, sündigt… Ein Plädoyer für gute Arbeit. 208 Seiten, geb., Euro 19,90, ISBN: 978-3-86312-001-6, Primus Verlag, Darmstadt 2012