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Peter Niedermair · 05. Jun 2017 · Literatur

Wael Shawkys „Cabaret Crusades“ als Pop-up - Das KUB präsentiert ein außergewöhnliches Kunstbuch

Der ägyptische Künstler Wael Shawky ist ein Geschichtenerzähler: Historiographische und literarische Quellen bilden den Ausgangspunkt seiner filmischen Erzählungen, in denen er Mythen, Fakten und Fiktion miteinander verwebt. Shawkys Zeichnungen sind inspiriert von arabischen Kalligrafen der Zeit, von „Koloristen und Illuminatoren, vor allem aber von den Erzählern“. (Trummer, Booklet im Pop-up Buch, 2017, S. 5) Wael Shawkys aufwändig produziertes Marionetten-Epos „Cabaret Crusades“, eine Schilderung der mittelalterlichen Kreuzzüge aus arabischer Sicht, gehörte 2012 zu den gefeierten Entdeckungen der Documenta 13. Die handgefertigten Puppen spielen kindlich und grausam zugleich die Ereignisse des 11./12. Jhs. nach. Mit den Kreuzzügen greift Shawky ein Thema auf, das durch die andauernden Konflikte im Nahen Osten höchst aktuell ist. Die Zeichnungen des Künstlers sind ein wichtiger Teil seines Gesamtwerks – so entstand die Idee, diese im Begleitkatalog zu seiner Ausstellung „Cabaret Crusades“ im KUB in den Mittelpunkt zu stellen. Die Umsetzung als Pop-up-Buch nimmt Bezug auf sein szenisches Arbeiten und die wechselnden Perspektiven in seinen Zeichnungen.

Das Konzept des Pop-up

Alle Elemente dienen dazu, das Werk Shawkys bestmöglich zu vermitteln, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Das Naturpapier verweist auf das Papier der Zeichnungen und die Materialität der Marionetten, auf die der Künstler viel Wert legt. Relieflack und Steppstichheftung sind die Brücke zu den Fäden / Drähten, die bei seinen Arbeiten eine wichtige Rolle spielen. Pop-ups, Papier und zurückhaltende Veredelung fördern das Innehalten und die Auseinandersetzung mit den zarten und doch sehr dichten Zeichnungen. Die Dreisprachigkeit und die Lesbarkeit aus beiden Richtungen und das „Aufeinanderzulaufen“ dienen zum einen der Zielgruppe, zum anderen referenzieren sie gleichzeitig auf den Inhalt - die Kreuzzüge aus europäischer versus arabischer Sicht. Im KUB gab es die Idee eines Pop-up-Buches als ungewöhnliche Form eines Ausstellungskatalogs. Das Editionsteam hörte sich um und fand die Gestalterin Dagmar Reiche, die 2012 ihre Masterarbeit am Studiengang Intermedia der FH Vorarlberg bei Kurt Dornig und Hubert Matt schrieb.

Wie jedes Buchprojekt geht Dagmar Reiche auch dieses Pop-up-Buch mit Herzblut an. Die Gestaltung werde aus dem Inhalt heraus entwickelt, stehe jedoch nicht im Vordergrund, sondern diene dem Inhalt auf der einen und der Rezeption auf der anderen Seite. Ausschlaggebende Gründe für diese Entscheidung sind im Werk Shawkys zur Genüge gegeben, das Zusammenfügen verschiedener Perspektiven und die damit verknüpften Blickwechsel, das Spiel von Schatten und Licht, die theatralischen Elemente eingebunden in die Szenographie und das Spiel, die damit verbundenen Verschachtelungen, das Aufeinandertreffen von Gegensätzen sowie das Infragestellen EINER Wahrheit, Verwandlungen und Formen des Wandels, die Striche in Shawkys Zeichnungen, die mit einer Form beginnen und unmerklich in eine andere wechseln, die Zeichnungen an sich als eine Bühne, auf der der Künstler Inhalte in lesbare Formen übersetzt und weiterführt, die Weißräume, die Magie der Materialität und die Präzision der Handarbeit, gerade mit Blick auf seine Marionetten.

Die besonderen Herausforderungen ...

... lagen primär darin, die Kulissen aus den vorhandenen Zeichnungen, im Buch sind es sieben an der Zahl, zu entwickeln, weil für gewöhnlich bei Büchern zunächst die Pop-ups entstehen und die Illustrationen erst auf der Basis dieser Mechanik. Es musste geklärt werden, wo die Zeichnungen Eingriffe vertragen, wo sie zerschnitten werden dürfen, wo gefalzt und was unter Umständen wegfallen kann, auch die Frage, wie die Designerin den sehr zarten, doch gleichzeitig sehr dichten Zeichnungen gerecht werden kann, ihnen nichts wegnehmen will, sondern im besten Fall ihnen etwas an die Seite stellen, was sie noch mehr strahlen lässt, was die Rezeption verbessert. Am Ende sollte das Gesamtkonzept so entwickelt sein, dass alles aus einem Guss ist und das eingelegte Booklet auch einen erkennbar hohen Stellenwert hat.

Wael Shawkys Zeichnungen, man wird es bei mehrfachem Blättern und genauem Hinschauen feststellen, sind für eine Aufbereitung in einem Pop-up-Buch besonders geeignet, weil sie über mehrere Ebenen und einen bereits eingeschriebenen Perspektivenwechsel verfügen, oft gerade Horizontlinien aufweisen und viel Kleinteiliges enthalten, das Variabilität zulässt, und die Linien sich zu immer neuen Formen wandeln. Mit Eberl Print in Immenstadt/Allgäu wurde für die Lithografie, den Druck und die Weiterverarbeitung ein kongenialer Partner gefunden, mit dem Umsetzbarkeit und Stabilität garantiert waren, ebenso wie die notwendige Geduld, braucht doch das Assembling eines Buches bis zu einer Stunde.

A Magic Touch

Dieses von Dagmar Reiche entworfene Pop-up-Buch ist, wie die gesamte Ausstellung, die wir 2016 im KUB sehen und erleben durften - u.a. die 24 Marionetten aus mundgeblasenem Muranoglas, Stoff, Emaille und Faden, oder die 13 Keramik Marionetten im 1. Obergeschoss, oder der Film „Cabaret Crusades. The Path to Cairo“, 2013, oder der 2016 entstandene Film „Cabaret Crusades: The Secrets of Karbala, oder die Cabaret Crusades: Flag, 2016, an der Fassade des KUB - etwas Außergewöhnliches geworden. Als Leser und Betrachter - Wael Shawky war schon auf der Documenta (13) 2012 in Kassel aufgefallen – spürt, sieht und fühlt man, dass das Buch weit mehr ist als ein Aha-Effekt der Pop-ups, wenn Kinder eine Spieldose öffnen und staunen. Man schaut die Zeichnungen immer wieder an, übrigens auch die Enkelkinder Nikolas und Valerie be-greifen spielerisch, dass man mit jedem Durchblättern Überraschendes findet und lassen sich von der Magie der Zeichnungen, nicht nur der beiden Tiere am Anfang und am Ende beeindrucken, sie staunen und lachen, auch wenn die aktuelle politische und historische Hintergründigkeit das pure Gegenteil von all dem sind. In der Nachbarschaft und aus dem Kindergarten kennen sie Kinder syrischer Flüchtlinge … Damit ist im großen Bogen wieder die Verknüpfung zur Kunst gegeben, eine Kunst, die nicht verkopft ist, sondern auf vielen Ebenen berührt: The Magic Touch. Vermutlich ist es die Bewegung selbst, wie Dagmar Reiche in ihrer FH-Masterarbeit schreibt, „die das innerste Wesen und die Magie des Pop-ups ausmacht“. Im vorliegenden Beispiel ist es ein Zauber ohne belehrende Absicht. Es ist vielmehr die Gewissheit, dass dieses bewegte und sich bewegende Kunstbuch einen schrägen Spiegel für die Kindheit abgibt, die ohne Bücher, wie Astrid Lindgren schreibt, keine Kindheit wäre. Und auch ein schräger Spiegel für die Welt der Erwachsenen, die aus einem verzauberten Land ausgesperrt blieben, aus dem man sich die seltsamste aller Freuden holen könnte.

Kunst, Politik und Zeitgeschichte

Mit Wael Shawkys „Cabaret Crusades“ gelang dem KUB 2016 etwas Besonderes. Diese Ausstellung berührt als schräger Spiegel der weltpolitischen Verhältnisse, das mehr als tausend Jahre alte Thema der mörderisch-tödlich konfliktuellen Beziehungslagen zwischen West und Ost, zwischen Okzident und Orient. Die „morgenländische Miniatur“ wird, wie Thomas D. Trummer, der Direktor des KUB, in seinem Essay schreibt, der im beigelegten, dreisprachigen, fadengehefteten Minibooklet abgedruckt ist, zu einer „bildhaften Bühne“. Trummer verweist auf das Buch des 1949 in Beirut geborenen Schriftstellers und heute in Paris lebenden Amin Maalouf „Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber“, erschienen 1983, das Wael Shawky als Vorlage und Inspiration für die Film-Trilogie „Cabaret Crusades“ dient. Maaloufs Buch und Shawkys Cabaret Crusades geht es um historische Feldzüge, um Belagerungen, Verrat und Intrigen. Shawkys Blickwechsel verkehrt jedoch bekannte tradierte Deutungen. „Die Kreuzzüge sind in seiner Perspektive weder Abenteuergeschichte noch mittelalterliche Ritterlegende. Sie sind die Geschichte ernsthafter Selbstbehauptung und Abbild arabischen Widerstands. Darüber hinaus sind sie gärende Erinnerung. Manche der islamistischen Bekennerschreiben sehen ihren Terror als gerechte Revanche tausend Jahre alter Gräuel. Gekleidet in das Gewand des religiösen Eifers tarnen sich die christlichen Invasionskriege als gerechte Unternehmen. Getrieben von Hintergedanken streben sie nach Kollateralgewinnen. Die moralische Debatte, ob es gerechtfertigt sei, eine christliche Stadt zu überfallen, um eine muslimische zu erobern, wird zu einem der Zentralmotive des letzten Films The Secrets of Karbala. Zugleich betreibt Shawky einen Blickwechsel in die Vergangenheit. Er hilft uns, von der Gegenwart Abstand zu nehmen und die tief prägenden Geschichtslinien zu entdecken, die bis heute wirken. Die Parallelen zur Gegenwart sind erschütternd. Wir kennen die Orte des Geschehens, Aleppo, Homs, Damaskus, aus anderen Kontexten, jedoch mit derselben Geschichte. Zeitgleich zur Ausstellung wütet die Schlacht um Aleppo in Syrien.“
(Booklet, S. 4)

 

Wael Shawky. Cabaret Crusades. Drawings. Herausgegeben von Kunsthaus Bregenz, Thomas D. Trummer. Pop-up-Buch mit sieben Zeichnungen von Wael Shawky. Booklet mit Beiträgen von Omar Berrada und Thomas D. Trummer. Gestaltung & Paper Engineering Dagmar Reiche. Deutsch / Englisch / Arabisch. Verlag der Buchhandlung König, 2017. ISBN: 9783960980469. Eine Publikation des KUB anlässlich der Ausstellung Wael Shawky vom 16. Juli bis 23. Oktober 2016.