Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Anita Grüneis · 04. Jun 2017 · Musik

Schlossmediale Werdenberg: Aus Alt mach Neu, aus Neu mach Bleibendes

Sie steht nackt und aufrecht im Raum, hält sich den Zeigefinger an den Mund und mahnt mit diesem „Pssst“ an den „Lärm der Zeit“. Die Nussbaum-Figur stammt von Bruno Walpoth, dem Künstler aus dem Südtiroler Grödnertal, der sich aus der 400-jährigen Tradition der Holzschnitzkunst befreite und doch in ihr verwurzelt blieb. Walpoths Skulpten verkörpern auf ideale Weise das diesjährige Motto der Schlossmediale Werdenberg: Die Idylle.

Eröffnet wurde das Festival im Schloss Werdenberg mit einem Konzert, das ebenfalls die Schlossmediale an sich kennzeichnete: Es verband alte mit neuer Musik. Das Konzert mit dem Mandelring Quartett und der Sängerin Ruth Rosenfeld nahm das Publikum mit auf eine rasante Reise durch die Jahrhunderte. Bei Mozarts Streichquartett B-Dur KV 458, dem „Jagdquartett“, klang die Idylle, wie sie von altersher zu sein hat: Leichtfüßig, unbeschwert und nach viel guter Laune. Das Quartett verband die Ernsthaftigkeit souverän mit tänzerischer Heiterkeit. Ihr feines Adagio mündete in einem burschikosen Finale voller Musizierfreude.

Klangteppich mit Dramaturgie

Wie sich die Musik in den nächsten hundert Jahren entwickelte, ließ sich bei Ottorino Respighi “Il Tramonto” hören, dessen Musik an Werke von Gustav Mahler erinnert. Geschildert wird die traurige Geschichte zweier Liebender, die in der Sonne wandern, wobei sich der Mann bewusst wird, dass er die Sonne nie richtig gesehen hat. Er will sie am nächsten Tag mit seiner Geliebten betrachten, doch da ist der Mann tot. Für dieses Werk webte das Quartett einen dichten Klangteppich mit feinen Strukturen. Die Sängerin Ruth Rosenfeld fügte sich mit ihrer klaren Stimme wie ein eigenes Instrument zu den beiden Violinen von Sebastian und Nanette Schmidt, der Viola von Andreas Willwohl und dem Cello von Bernhard Schmidt.

Musik voller Wucht über Krieg und Leid

Mit dem Streichquartett c-Moll op. 110 von Dimitri Schostakowitsch landeten Musiker und Publikum dann voll in der Mitte des 20. Jahrhunderts. 1960 wurde das Werk uraufgeführt, seine theatralische Wucht ist ungebrochen. Während das Cello das Stück wie ein Klagelied anstimmt und die Violine zu flehen scheint, wird klar, dass etwas Unbegreifliches geschehen ist. Das Mandelring Quartett interpretierte dieses fünfsätzige Wut-Werk in Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges mit all seiner Dramatik. Es klang bisweilen wie ein Aufschrei des Entsetzens, dann wieder setzte das Cello butterweich ein, als wolle es um Versöhnung bitten, bis sich die große Klage ausbreitete. Für dieses furios gespielte Werk erhielt das Quartett donnernden Applaus.

Uraufführung mit dichten Worten

Was passiert, wenn man Idylle gänzlich verändert, wurde im Werk „Stillleben“ von Michael Wertmüller nach einem Gedicht von Monika Rinck klar. Das Auftragswerk der Schlossmediale wurde an diesem Abend im Beisein des Komponisten und der Texterin uraufgeführt. Klirrende Geigentöne wechselten mit Flageoletttönen, dazu sang Ruth Rosenfeld eine nahe mörderische Partie mit ungemein schwierigen Wechseln. „Menschen lagen wie in Mosaiken“, heißt es im Text und „Gescheckertes Idyll, Indolenz der Glücklichen gegenüber all jenen, die das nicht sind“. Das anfängliche Mozart-Idyll lag nun in tausend Stücken und erinnerte damit an das „Wohlzerlegte Klavier“ von Albrecht Fersch, eines der Kunstwerke der Ausstellung „Idylle“ im Schloss Werdenberg.

Ausstellung mit Idyllen

Beim Verlassen des Konzertraums im oberen Stock trafen die Besucher wieder auf Walpoths nackte Frau aus Nussbaum, die an den „Lärm der Zeit“ mahnt. Das ganze Schloss ist von solchen Frauen bevölkert, eine sitzt am Fenster, eine auf Stufen – diesmal ist sie aus Lindenholz, eine steht alleine in einem Verlies-ähnlichen Raum, hält die Hände über die Brust und wird so zum Sinnbild der Sehnsucht. Nach Idylle? Der Künstler schuf sie ganz in der Tradition der Holzschnitzkunst vom Grödnertal. Doch sie sind der Idylle längst entronnen, mahnen an Veränderung.

Das Festival „Schlossmediale“ und die Ausstellung „Idylle“ auf dem Schloss Werdenberg dauern bis Sonntag, 11. Juni. Am Samstag, den 10. November, steht ein Wandelkonzert auf dem Chäserrugg im Toggenburg auf dem Programm.