Faurés Requiem in Orgelversion gelang überzeugend in Koproduktion von Stella und Herz Jesu unter der Leitung des Graubündners Clau Scherrer. (Foto: Victor Marin)
Manuela Schwaerzler · 04. Jun 2020 · Literatur

Vom Wasser ins Internet - 14. Harder Literaturpreis verliehen

Seit bald 40 Jahren gibt es den Harder Literaturpreis schon: 1983 verlieh ihn die Gemeinde Hard zum ersten Mal und seither im Drei-Jahres-Rhythmus, von der Öffentlichkeit eher wenig bemerkt, an talentierte Autorinnen und Autoren. 2012 entstand auf Initiative des damaligen Juryvorsitzenden Wolfgang Mörth rund um die Preisverleihung das Literaturfestival HardCover, dessen Leitung Dagmar Ullmann-Bautz übernahm. Seither wird der Wettbewerb biennal ausgeschrieben, und zwar für einen Hauptpreis und zwei Förderpreise; und das Festival bietet nicht nur eine festliche Preisverleihung, sondern auch zahlreiche außergewöhnliche Literaturveranstaltungen unter freiem Himmel.

Mit 5.000 Euro dotiert und im gesamten deutschsprachigen Raum ausgeschrieben, erfährt der Harder Literaturwettbewerb seit vielen Jahren große Resonanz. Dieses Jahr trafen 688 gültige Einsendungen ein – eine Rekordanzahl in seiner Geschichte als Preis für Prosatexte. Dies ist sicher auch dem Thema geschuldet, das bewusst vieles offen ließ und wenig einschränkte. „Am Wasser“, so die Ausschreibung, greift die Lage der Gemeinde Hard auf, wo der See einen prägenden Einfluss auf das Leben und Treiben der Bürgerinnen und Bürger hatte und hat. Zum Wettbewerb eingereicht werden konnten also im weitesten Sinne Geschichten, Erinnerungen, Erzählungen von Begebenheiten „am Wasser“.
Je weiter das Thema desto vielfältiger die Umsetzung: Von Erinnerungen an tragische Verluste und Unfälle über Geschichten von Wasserbestattungen und Überschwemmungen, Urlaubsabenteuer, Liebesgeschichten hin zu Zukunftsträumen und fantastischen Erzählungen – in den Texten war von Wasser in all seinen natürlichen Vorkommnissen zu lesen, es gab seltsame Flaschenpost am See, selbstgebaute Kähne, die im Bach ausprobiert wurden, Müll-Sammel-Aktionen am Flussufer, Nachbarschaftsstreit wegen Wasserrechten, Ferienerlebnisse am Sandstrand und alle möglichen Sorgen und Freuden von Menschen, die am Wasser leben oder arbeiten.

Der Hauptpreis: Erinnerungen eines Hafenarbeiters

Restlos überzeugt hat „Luke 5“. Er gibt Erinnerungen eines Hafenarbeiters wieder, die von der titelgebenden Kaschemme und seinen Gästen erzählen und wurde einstimmig zum Siegertext erklärt. Das Milieu eines Hafenviertels wird hier nicht nur mit dem Schauplatz, den Figuren und Schicksalen, sondern auch mit der Sprache abgebildet:
„Luke 5, das erklär ich euch jetzt, war eine Kneipe für Leute von der See und vom Hafen. Jungs wie mich. Wir sind die mit der Knochenmaloche, die in den groben Klamotten, mit dem Dreckrand unter den Nägeln und den wässrigen Augen vom strammen Wind. Kerls, die immer müde sind, die zwei Schichten hintereinander Kaffeesäcke von den Schiffen holen oder Apfelsinenkisten, gefrorene Hammel, deren Kälte dir von unten in die Hosenbeine zieht. (…) Luke 5, denkt ihr, komischer Name für ein Lokal. Ihr Landratten versteht den Witz nicht. Auf den großen Kähnen ist die Luke 5 für die stinkende Ladung reserviert. Fürs Fischmehl, die gesalzenen Häute, für alles, was Schmutzzulage bringt. Die Männer aus Luke 5 erkennst du am Geruch. Meist sind das die ohne Familie. Denn glaub mir, neben einer Flamme zu liegen und die Federn vollzupesten wie alte Pansen, macht kein‘ Eindruck. Und Schorsch, der Wirt hatte Herz. Der wollte einen Laden, in dem niemand was Besseres ist. Wo jeder sein Bier kriegt, auch ohne feinen Zwirn über der Hüfte und Rolex am Arm. Darum der Name.“
Doch nicht nur Männer kommen in die Kneipe, auch Zweimeter-Inge, die „in der Straße ackerte“, sitzt regelmäßig und ohne Unterschied zu den Hafenarbeitern an der Bar. Die Erzählung stellt der Rauheit des Milieus poetische Bilder gegenüber, ohne dabei unglaubwürdig oder kitschig zu sein. „Und darin liegt das Besondere dieses Textes, dass eine Zärtlichkeit aufscheint, die auch ohne den Kontrast zum grobschlächtigen Umfeld ans Herz ginge, und es aber umso mehr tut, weil es der Autorin auf solch kunstvolle Weise gelingt, ein jedes Klischee souverän zu umschiffen. Dieser Zusammenhalt unter den Männern, ihr Respekt vor dieser viel zu großen Frau, die Schwäche zeigt und die Hafenarbeiter gerade damit gewinnt: hier ist ein großes literarisches Talent am Werk“, heißt es in der Laudatio.
Groß war am Ende auch die Überraschung, dass sich hinter dieser sehr überzeugenden männlichen Erzählstimme eine Autorin verbirgt: Sonja M. Schultz (*1975). Sie ist mit dem Hamburger Kiez sehr vertraut, lebt jedoch seit ihrem Studium der Theaterwissenschaften und Kulturellen Kommunikation in Berlin. Sie schreibt als Wissenschaftlerin und Journalistin über Film und Medien und tritt als Künstlerin mit Spoken Word-Performances auf. Für die Arbeit an ihrem Debütroman „Hundesohn“, der letztes Jahr bei Kampa erschienen ist und ebenfalls im Hafenmilieu spielt, erhielt sie 2017 ein Stipendium in der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin.

Die Förderpreise: Urlaubserlebnis und Altenpflege

Seit 2012 werden neben dem Hauptpreis auch zwei Förderpreise zu je 1.000 Euro vergeben. Diese sind völlig gleichberechtigt und sollen nicht etwa als zweiter oder dritter Preis verstanden werden, sondern Texte auszeichnen, deren Einzigartigkeit deutlich hervorragt – sei es im Zugang zum Thema, in der Textgestaltung, der Sprache oder anderen Kriterien. Dabei ist nicht unbedingt ausschlaggebend, ob der Text – oder das Experiment – vollständig und in allen Details gelungen ist. Gegebenenfalls wird in der Wertung über kleinere Mankos zugunsten der Kreativität und des Mutes hinweggesehen. Die Preise sollen Talente fördern, sollen Mut machen, weiterhin zu schreiben.
Dieses Jahr konnte sich die junge Wienerin Helene Proißl (*1996) mit ihrem Text „am wasser“ einen der Förderpreise sichern. Sie studiert seit drei Jahren Germanistik an der Universität Wien, ist „kulturjournalistisch interessiert“ und „nebenbei schreibend – eigentlich mehr Gedichte als Prosa“, wie sie auf dem Infoblatt zu ihrer Person, die der Einreichung beiliegt, konstatiert. Und sehr viel von einem Gedicht hat auch ihr prämierter Prosatext: Außerordentlich rhythmisch und in einer verdichteten, spielerischen Sprache erzählt ein Ich von seinem außergewöhnlichem Wellenerlebnis im Urlaub. Für diesen fliegt es zwar auf eine Insel, auch Sandstrand und Sonne fehlen dort nicht, allein das beglückende Wellenerlebnis findet im Hotelzimmer, auf dem „wellenleintuch“ statt: „ich lasse mich fallen, immer wieder fallen auf dieses leintuch, es tut mir gut, in diese wogen zu stürzen, ein traum.“ und etwas später: „ich haue mich wieder in die wellen, mit voller wucht diesmal, so richtig unbarmherzig, sodass das bett knarzt. es fühlt sich so viel besser an, als lauwarm zuhause in einer kleinen wanne zu liegen und verzweifelt die haarspitzen einzutauchen. es ist urlaub.“
Viel ernster und weniger vergnüglich geht es in „rücklings: leibhaftig“ zu. Mord aus Mitleid hat Joachim Off (*1974) als Motiv für seinen Wettbewerbsbeitrag gewählt und damit ebenfalls einen Förderpreis gewonnen. Er lebt in Gerlingen bei Stuttgart und ist langjähriges Mitglied des Vereins „42er Autoren“, einem Verein zur Förderung der Literatur, wo er unter anderem bei den Textbesprechungen und im Aufnahmeausschuss mitwirkt. Als Autor belegte er letztes Jahr beim Schwäbischen Literaturwettbewerb den zweiten Platz, derzeit arbeitet er an seinem Debütroman. In seiner nach Hard geschickten Erzählung „rücklings: leibhaftig“ lässt Off einen Altenpfleger als Protagonisten auftreten, der sich im mobilen Dienst um Pflegebedürftige kümmert, und manche von ihnen – seine eigenen Regeln befolgend – „erlöst“. Das moralische Dilemma seiner Taten steckt tief in ihm, er hadert mit sich, und kann doch nicht anders. „Am Wasser“ ist in diesem Text Schauplatz des Haderns: Auf der Bank an der Flussmündung verarbeitet der Pfleger seinen täglichen Dienst – Mord inklusive – und spricht mit seinem zweiten Ich, das stets auf der Rückbank des Autos mitfährt.
„Du steckst dir eine Zigarette an und schluchzt: Wenn sie uns kriegen, werden sie keinen Erlöser in mir sehen, sie werden mich schuldig sprechen, obwohl ich lediglich um Hilfe rufe, wenn Menschen längst verloren sind, das werden sie nicht verstehen.
Sei unbesorgt, sage ich, mein Sterbepfleger, sie werden uns nicht finden, die meiste Zeit bin ich tief abgetaucht in dir, fast unsichtbar im Schatten deiner Milde und Barmherzigkeit, und so weit weg, dass selbst du nichts von mir merkst.“

Das Festival: Weg vom Wasser, rein ins Internet

Mitten im Entscheidungsprozess der Jury und den Vorbereitungen zum Festival wurde Corona zur Pandemie erklärt, sowohl Preisverleihung wie auch alle anderen für das Festival geplanten Literaturveranstaltungen fielen „ins Wasser“ und konnten nicht wie vorgesehen „am Wasser“ – am Seeufer, Dorfbach oder an der Ach – stattfinden. Eine Verschiebung des Programms machte keinen Sinn, schließlich waren die Preisträger*innen bereits benachrichtigt und der Literaturpreis mit dem Festival untrennbar verbunden. Dennoch sollte nicht einfach alles abgesagt werden, zu weit fortgeschritten waren die Vorbereitungen, zu groß die Vorfreude auf die Begegnungen mit den eingeladenen Autor*innen. Und so wurde das Festival nur etwas nach hinten verschoben, aber vom Wasser weg und ins Internet verlagert: Am 10. Juni werden die Lesungen der Preisträger*innen sowie Lesungen und Gespräche mit den Schriftstellern Yannic Han Biao Federer (Harder Literaturpreisträger 2018), Michael Stavarić und Dominik Barta online stattfinden.
Wer lieber selbst liest, dem sei die nächste „miromente“ empfohlen: Die prämierten Texte werden zusammen mit anderen fünf bemerkenswerten Einsendungen zum Harder Literaturwettbewerb in der blauen Sonderausgabe der „miromente“ Anfang Juni erscheinen.

Manuela Schwärzler ist Juryvorsitzende des Harder Literaturpreises

hardcover.hard.at
www.miromente.at, Bestellungen an info@miromente.at