Die südkoreanische Geigerin Bomsori Kim begeisterte das Publikum bei den Bregenzer Meisterkonzerten im Festspielhaus. (Foto: Udo Mittelberger)
Annette Raschner · 05. Nov 2017 · Literatur

Vom heilsamen Schweigen und der Suche nach dem eigenen Weg - „Darf ich dich küssen Himmel“ von Ingrid Maria Kloser

Keine laute, aber eine interessante literarische Stimme ist Ingrid Maria Kloser. Die gebürtige Harderin hat bislang zwei Bücher veröffentlicht: Die Erzählung „Nur zu Hause“, für die sie sich auf die Spuren ihrer Großeltern begeben hat, die 1925 mit ihren beiden Kindern nach Brasilien ausgewandert sind, sowie die Kurzgeschichtensammlung „Im Sommer werden die Tage wieder länger sein“. Vor kurzem ist nun im Verlag „Bibliothek der Provinz“ ihr drittes Buch, eine Erzählung unter dem Titel „Darf ich dich küssen Himmel“, erschienen. Eine Frau, deren Ex-Partner Suizid begangen hat, versucht, ins Leben zurückzufinden.

Reale Tagebuchaufzeichnungen als Basis

Sie liebt das Wasser und heißt wie jener Fluss, der die Seen Irlands miteinander verbindet: Shannon, die Hauptfigur in Ingrid Maria Klosers neuer Erzählung „Darf ich dich küssen Himmel“. Aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die schon vor sechs Jahren ihren Anfang nahm, bis die mittlerweile in Wien lebende Autorin erkannte, dass sie noch nicht ausgereift war. Erst als ihr die Tagebuchaufzeichnungen eines jungen Mannes in die Hände fielen, der später seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, nahm Ingrid Maria Kloser die Fäden wieder auf. Sie begann, die Innensicht des 27-Jährigen zu zeichnen, um schließlich eine fiktive Story drum herum zu bauen. Über die Tagebucheintragungen allein erfährt man als Leserin noch vergleichsweise wenig vom Leben des Mannes. Es sind verzweifelte Hilferufe; Momentaufnahmen eines Menschen, der mit sich nicht ins Reine gekommen ist. Sie sind im Buch kursiv gesetzt. Ingrid Maria Kloser nennt ihn Andreas. Andreas ist Architekt, und zum Zeitpunkt seines Freitodes (er schießt sich drei (!) Kugeln in den Kopf) ist Shannon schon seit längerem von ihm getrennt. Zwei Jahre war sie mit ihm zusammen, und er ist ihr immer ein Rätsel geblieben. „Ich kannte keinen seiner Träume. Ich wusste nicht, was er sich wünschte.“ Die Vergangenheit, das alte Leben mit Andreas überschwemmt Shannon wie eine riesige Welle, zumal er ihr nicht nur sein Haus („die Glasburg“), sondern auch ein Kuvert mit Tagebuchnotizen überlassen hat. „Mit dem Finger zog ich die Lasche heraus, innen befanden sich Dutzende Papierfetzen, zerrissene Seiten, die alle mehr oder weniger vollgeschrieben waren.“

Der stumme Cowboy

Was tun mit der Erkenntnis um die Differenz zwischen dem, wie es war und dem, wie es hätte sein können? Wie ist die Trauer um einen Menschen, der einem einst sehr nahe stand, auszuhalten? Ingrid Maria Kloser ist keine Märchenerzählerin, sie schöpft aus den Erfahrungen ihres eigenen Lebens und ihrer genauen Beobachtungsgabe. Auch wenn Vorarlberg namentlich nicht erwähnt wird – die Autorin hat die Geschichte in ihrer Heimat angesiedelt. Am See tauchen prägende Erinnerungen auf, am See nehmen sie Fahrt auf, und am See bleibt dann auch die Zeit stehen. „Ein Vergrößerungsglas legt sich über die Dinge. Ich wackle mit dem Zeh. Ich habe die Sonne im Rücken.“ Für die Verlangsamung sorgt auch eine der vielen von Ingrid Maria Kloser so liebevoll gezeichneten Figuren: „Der Cowboy“. Shannon und er treffen sich stets zufällig am Ufer. Der Cowboy macht Feuer, er isst alte Brote, schnitzt Pfeifen und schwimmt nackt, auch wenn es regnet und kalt ist. Ist sie in ihn verliebt? Ein wenig vielleicht, obwohl oder vielleicht gerade, weil er stumm ist. „Sich nicht mit Worten ausdrücken zu können, scheint ihn nicht unglücklich zu machen. Er hat die Lücke geschlossen und nur manchmal entkommt ihm ein Schrei oder ein fremdes Lachen.“

Die kurzen Episoden mit dem Cowboy verleihen der tragischen Geschichte Luftigkeit, für Leichtigkeit sorgt auch Terese; eine alte Dame, die über genauso viel Lebenserfahrung wie Humor verfügt und Shannon mit ihren, teilweise auch unangenehmen Fragen aus der Reserve, aus ihrem inneren Schneckenpanzer holt. Die beiden Frauen erzählen einander Geschichten aus ihrem Leben. „Tereses Leben ist eine große Erinnerung, die wie ein buntes Puzzlespiel in ihrem Kopf sitzt. Einige der Puzzlestücke liebt sie besonders und fischt diese immer und immer wieder heraus.“ Auch Andreas hatte einst einen Freund; einen einzigen: Bruno, einen Fischer, der jeweils an einem Samstag Dinge mitbringt, um sie in Andreas´ Werkstatt zu reparieren: Winden und Stangen für die Netze, Ruderhalterungen, ein gebrochenes Ruder. Shannon konstatiert traurig: „Wenn der Himmel ein Ort ist, wo alles möglich ist und nichts lächerlich gemacht wird, dann muss da unten im Keller der Himmel der beiden gewesen sein. Jedes Paar sollte doch auch so einen Himmel haben, den es zumindest einmal gemeinsam geküsst hat. Und wir hatten ihn nicht.“

Zurück ins Leben

Ingrid Maria Kloser erzählt die Geschichte einer Frau, die trotz ihrer Bitterkeit zurück ins Leben strebt, voller Bedachtsamkeit und Ruhe. Die Sätze sind einfach gehalten, die Sprache ist ökonomisch, poetisch, andeutend und ohne Eitelkeit. Die 21 Kapitel sind klug gebaut, die Figuren voller Empathie gezeichnet. Shannons Sehnsüchte brennen sich beim Lesen ein und erinnern an eigene, unerfüllte Träume. In Spanien war sie noch jung, dort hat sie Jakob getroffen, einen Mann mit einem auffallend aufrechten, tänzelnden Gang. „Er ging ohne die Blicke der anderen durch die Straßen, über die Plaza und durch sein Leben. Die Blicke der anderen existierten für ihn nicht. Und so tanzte und lachte und küsste er.“ So könnte das Leben sein, wenn da nicht …!

 

 

  

Ingrid Maria Kloser, „Darf ich dich küssen Himmel“, Verlag Bibliothek der Provinz, ISBN 978 3 99028 696 8, 134 Seiten, € 15,-