Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Jürgen Schremser · 29. Mai 2019 · Literatur

„Tim und Struppi“ in den Mundarten Liechtensteins: „Am Ottokar sis Zäptr“

Das Universum der Übersetzungen des belgischen Comic-Klassikers „Les aventures du Tintin“, zu Deutsch „Tim und Struppi“, ist um einen Sprachschauplatz reicher. Mit „Am Ottokar sis Zäptr“ (dt. König Ottokars Zepter) präsentiert der liechtensteinische Autor und Tintinologe Mathias Ospelt die erste Version eines Tim-und-Struppi-Abenteuers in den Mundarten Liechtensteins. Die Neuerscheinung in passgenauer Originaltypografie kommt diesen Mai in Lizenz des belgischen Stammverlags Casterman beim Van Eck Verlag heraus.

Die Erstbegegnung mit den Geschichten um den reiselustigen Reporter mit der keck aufgerichteten Haartolle und einem Foxterrier reicht bei Mathias Ospelt weit zurück. Die Comic-Bände in französischer Originalfassung entdeckte er auf Schloss Vaduz, wo er mit seinem Bruder als Spielkamerad des jüngsten Prinzen, Wenzel, regelmäßig zu Besuch war. Noch ohne lesen zu können, so Ospelt, habe er aufgrund ihrer Machart den Geschichten folgen können. Und er war und blieb angetan von den Charakteren und dem „klaren Strich der Illustrationen“ des Zeichners Georges Remi alias Hergé (1907-1983). Die Idee, selber eine alemannische Tintin-Übersetzung zu versuchen, wuchs mit dem Lesen und Sammeln der Comic-Alben. Unter diesen nahm sich Ospelt Band 8, „Le sceptre d’Ottokar“ vor: die erstmals 1938/39 publizierte Geschichte um Raub und Rettung des königlichen Zepters in einer Monarchie namens Syldavien.

Jürgen Schremser: Warum gerade der Band 8? Kapitän Haddock fehlt – und mit ihm alle seine Flüche!
Matthias Ospelt: Ursprünglich dachte ich, dass sich ein solcher Dialektband prima für den Anlass der Liechtensteiner 300-Jahrfeier 2019 eignen könnte. Ich wählte daher eine thematisch meinen Landsleuten vertraute Geschichte: König Ottokars Szepter. Die Ober-Festausrichter von Liechtenstein Marketing zeigten allerdings kein Interesse. Machen wollte ich es aber trotzdem. Und vom Konzept her war zu diesem Zeitpunkt der Titel bereits gesetzt. Ja, Haddock fehlt leider. Das war die Konzession, die ich dem monarchischen Thema einräumen musste. Sollte „Am Ottokar sis Zäptr“ ein Erfolg werden, liefern wir gerne eine Übersetzung von Buch Nummer 10 nach, dann mit dem herrlich fluchenden Haddock.

Liechtensteins Dialektvarianten auf Protagonisten verteilt

Schremser: Welches Konzept hattest Du für die Aufgabe, mit der Geschichte und ihren Akteuren übersetzungssprachlich umzugehen?
Ospelt: Mein im Nachhinein etwas sehr ambitioniertes Hauptanliegen war es, alle elf Dorfdialekte Liechtensteins in der Übersetzung unterzubringen. Einerseits, weil Dialektvarianten innerhalb eines Albums in der Welt der Tintin-Übersetzungen ein Novum darstellen, andererseits wollte ich mich im Jubiläumsjahr, in dem es ja irgendwo auch um gelebte Einheit geht, nicht auf einen Dialekt beschränken und ich wollte auch keinen Liechtensteiner Einheitsdialekt erfinden. Dies bedingte aber, dass ich die Dorfdialekte auf die verschiedenen Protagonisten des Buches verteilen musste. Was nicht einfach war.
Schremser: Als Vaduzer gefragt: Warum ist die Hauptperson Tim ein Eschner?
Ospelt: Die Verteilung der Dialekte auf die verschiedenen Figuren ergab sich aus der vorgegebenen Konstellation der Handlung, an die ich mich halten musste, und aus den lokalen Gegebenheiten: Dort, wo der König residiert (Syldavien), ist Oberland und am Hof wird Vaduzer Dialekt gesprochen, während die Landbevölkerung Balznerisch und die Stadtbevölkerung Triesnerisch spricht. Daraus ergibt sich, dass in den anderen Orten andere Dialekte gesprochen werden: Im an Syldavien angrenzenden und durch lange „Konkurrenz“ verbundenen Bordurien wird Schaanerisch gesprochen und die weiter entfernt gelegene Heimat Tims ist Unterland mit seinen verschiedenen Dialekten. Dazwischen liegt Planken, wo Tim auf dem Flug nach Syldavien Zwischenhalt macht. Der König spricht Triesenbergerisch, da die Vorfahren des Königs einst aus den Bergen kamen. Und die mondäne Sängerin Bianca Castafiore spricht Ganahldütsch. Zwar kein Liechtensteiner Dialekt, aber einer, der in Liechtenstein wohlbekannt ist.