Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Markus Barnay · 19. Sep 2021 · Literatur

Späte Würdigung einer mutigen Frau

„Ich bin mitten unter Nazis, SS, Gestapo!“, schrieb Maria Stromberger ihrem Vertrauten, dem ehemaligen KZ-Häftling Edward Pyś. Das war im Juli 1946, mehr als ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur. Die „Nazis, SS und Gestapo“ befanden sich damals mitten in Vorarlberg, nämlich im Anhaltelager Brederis, in dem führende Köpfe der heimischen Nationalsozialisten vorübergehend interniert wurden. Was Maria Stromberger besonders erregte, war die Art, wie sich die Täter an diesem Ort selbst zum Opfer stilisierten: „(Ich) muss ihre Redensarten täglich anhören, über die ‚Ungerechtigkeit’, höre Klagen, was die Menschen jetzt mit ihnen tun.“ Diese Klagen standen aus Strombergers Sicht in einem himmelschreienden Widerspruch zu dem, was die Nazis in den Jahren zuvor verbrochen – oder zumindest mitverursacht und geduldet hatten: „Dann stehen vor meinem geistigen Auge die Erlebnisse von Auschwitz!! Ich sehe den Feuerschein der Scheiterhaufen! Ich verspüre den Geruch verbrannten Fleisches in der Nase, ich sehe die Elendszüge der einrückenden Kommandos mit den Toten hinterher, (...) und ich könnte diesen hier ins Gesicht schreien und blind auf sie losgehen.“

Hochriskanter Widerstand mitten im KZ

Dass Maria Stromberger gemeinsam mit Nazis eingesperrt wurde, war natürlich ein Irrtum: Nach ihr wurde im April 1946 in Zeitungsanzeigen gefahndet, weil sie in Verdacht geraten war, als Krankenschwester im Konzentrationslager Auschwitz an Tötungen von Häftlingen beteiligt gewesen zu sein. In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall: Maria Stromberger rettete Häftlingen das Leben – einigen, die als Hilfskräfte in ihrer unmittelbaren Umgebung arbeiteten, ganz direkt und unter großem Risiko, vielen anderen durch ihre Aktivitäten im Widerstand. Denn Schwester Maria stand in direkter Verbindung mit der Widerstandsorganisation in- und außerhalb des Lagers, schmuggelte nicht nur Informationen über die dortigen Zustände hinaus, sondern auch Waffen und Sprengstoff hinein, um geplante Ausbruchsversuche zu ermöglichen – und um, vor allem gegen Ende des Krieges, zu verhindern, dass die SS alle Menschen ermordete, die als mögliche Zeugen ihrer Grausamkeiten später darüber berichten könnten.

Maria Strombergers Wirken in Auschwitz wurde in Vorarlberg, wo sie vor und nach dem Krieg lebte, kaum gewürdigt: Als sie in Brederis festgehalten wurde, bedurfte es einiger Interventionen aus Polen (unter anderem vom späteren Ministerpräsidenten Jozef Cyrankiewicz, selbst ehemaliger Auschwitz-Häftling), ehe sie wieder freigelassen wurde. Fast 30 Jahre nach ihrem Tod (sie starb 1957 in Bregenz) wurde ihre Geschichte hierzulande zum ersten Mal erwähnt – in Meinrad Pichlers Beitrag über „Humanitäre Hilfe“ als eine Form des Widerstands gegen die NS-Herrschaft im wegweisenden Buch über Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg: „Von Herren und Menschen“. Basis für Pichlers Ausführungen waren die Erinnerungen des KZ-Überlebenden Hermann Langbein, der schon 1972 in seinem Standardwerk „Menschen in Auschwitz“ die Zustände im größten Vernichtungslager der Nazi-Diktatur beschrieben hatte.

„Engel in der Hölle von Auschwitz“

Die Geschichte der Maria Stromberger beschäftigte Harald Walser von da an immer wieder. Der Historiker, damalige Lehrer und spätere Direktor des Bundesgymnasiums Feldkirch, der sich – nach zehn Jahren als Nationalratsabgeordneter der Grünen – mittlerweile im Ruhestand befindet, veröffentlichte 1988 die ersten „Biografischen Notizen“ über Stromberger in der Zeitschrift „Montfort“. Seither hat Walser fortlaufend weitere Informationen über Stromberger gesammelt, hat Zeitzeug*innen interviewt, die Entstehung einer TV-Dokumentation begleitet, in Auschwitz, Prag, Frankfurt, Kärnten und Wien geforscht – und all das jetzt zu einer umfangreichen Biografie jener Frau zusammengefasst, die KZ-Überlebende als „Engel in der Hölle von Auschwitz“ bezeichneten. 
Es ist nicht die erste Biografie über die katholische Krankenschwester Maria Stromberger, die hierzulande erscheint: Schon 2007 veröffentlichte Andreas Eder eine Broschüre, in der wichtige Fakten über ihren Lebenslauf und ihr Wirken in Auschwitz enthalten waren. Als Unterrichtsmaterial half diese Biografie seither, Strombergers Bedeutung für den Widerstand gegen das NS-Regime zu erläutern, vor allem den Besuchern des Bregenzer „Gedenkwegs“, der auch über den „Maria-Stromberger-Weg“ im Dorf führt: Er verbindet, zwischen Landeskrankenhaus und Krankenpflegeschule, die Kolumbanstraße mit der Schloßberggasse.


Von der Kindergarten-Helferin zur Krankenschwester im KZ

Was Harald Walser jetzt auf über 250 Seiten präsentiert, geht allerdings weit über die bisherigen Publikationen über Stromberger hinaus: Er hat unter anderem die Lebensgeschichten der Eltern und aller acht Geschwister der in Kärnten geborenen und aufgewachsenen Maria Stromberger recherchiert – und einige davon auch gegenüber bisherigen Veröffentlichungen korrigiert. Er hat aber auch sämtliche beruflichen Stationen der späteren Krankenschwester erforscht: Sie begann als Kindergarten-Helferin, arbeitete in Hotellerie und Gastronomie, lebte fast zwei Jahrzehnte lang in Graz, ehe sie in der Mehrerau in Bregenz ihre Ausbildung zur Krankenschwester begann. In das KZ Auschwitz ließ sie sich freiwillig versetzen, weil sie sehen wollte, „wie es wirklich ist“, schrieb ihre Schwester später in einem Brief an Hermann Langbein, was der in seinem Buch so kommentierte: „Andere stellten sich blind und taub, wenn sie etwas erfuhren, Maria Stromberger suchte die Wahrheit“.

Was Harald Walsers Stromberger-Biografie auszeichnet, ist die umfangreiche Dokumentation der Widerstandstätigkeit von Maria Stromberger: Während andere Historiker sich mit unbelegten Behauptungen und Hang zum Etikettenschwindel durchschummeln wollen (siehe die Rezension zur Biografie von Georg Schelling in der KULTUR 2/2020), hat Walser neue Quellen erschlossen, etwa den privaten Nachlass von Maria Stromberger, Berichte von Zeitzeugen im Archiv der Gedenkstätte Auschwitz, die Aussagen der ehemaligen Häftlinge beim Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–1965, und nicht zuletzt die persönlichen Gespräche und den Briefverkehr mit KZ-Überlebenden wie dem eingangs erwähnten Eduard „Edek“ Pyś, Artur  Radvanský und Hermann Langbein. Sie sind mittlerweile alle verstorben, umso wertvoller sind die persönlichen Aufzeichnungen und Erinnerungen von Harald Walser. Er stellt auch einige Objekte aus dem Nachlass von Maria Stromberger für die neue Ausstellung im Österreich-Pavillon in der Gedenkstätte Auschwitz zur Verfügung, die im Oktober nach langem Hin und Her endlich eröffnet werden soll.

Harald Walser: Ein Engel in der Hölle von Auschwitz. Das Leben der Krankenschwester Maria Stromberger, Falter Verlag, Wien 2021, 260 Seiten, ISBN 978-3854397021, € 24,90

Veranstaltungstermine:
Buchpräsentation: Do, 23.9., 19 Uhr, Aula des Klosters Mehrerau, Bregenz
Anmeldung:  office@malingesellschaft.at
Gespräch und Diskussion mit Harald Walser im Rahmen von „Freitags um 5“: 8.10., 17 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz