Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Anita Grüneis · 07. Sep 2019 · Literatur

Schloss Werdenberg: Poesie zum Kuscheln, Lachen und Staunen

Literatur für eine Nacht – oder doch für länger? Bei der Literaturnacht im Schloss Werdenberg war so viel Spannendes zu hören, dass viele Nächte damit gefüllt werden könnten. Letztes Jahr war es eine „Literaturnacht am Kachelofen“, die das Thema der damaligen Schlossmediale „Wild“ einläutete. Dieses Jahr, passend zum Thema „Gold“, gab es literarische Fundstücke zu entdecken. Die Auswahl der sechs AutorInnen wurde von der Journalistin Doris Büchel und Schlossdirektor Thomas Gnägi getroffen. Im Anschluss lasen: Manuel Beck und Mathias Ospelt aus Liechtenstein, Elsbeth Maag, Angelika Overath, Andri Perl, und Nathalie Schmid aus der Schweiz. Anja Nora Schulthess performte zusammen mit der E-Bassistin Martina Berther. Den Schlusspunkt setztedie Reggae-Dancehall-Band Pitika Nation aus Buchs/Feldkirch/Basel.

Beschreiben, was alles so passiert

Die schwerste Aufgabe hatte wohl Manuel Beck übernommen. Am Vormittag half er noch beim Aufbau der Literaturnacht mit, mittags kam die Botschaft, dass Julia Weber aus Zürich nicht teilnehmen kann – da erinnerte sich jemand, dass Manuel an sich Lyriker sei. So sollte er nun auf einer alten Schreibmaschine den Abend fortlaufend literarisch festhalten und das Ganze später vortragen. Und schon klapperte die Schreibmaschine im Bistro und verströmte einen Hauch alter Tippzeiten. „Schade, dass du nicht kommen kannst“, schreibt Manuel Beck an Julia Weber, und fügt im Hinblick auf Ihre Schwangerschaft hinzu:“ Schön, dass da was kommen darf.“ In seinem Text werden die Schuhe der Besucher zu einem Tierpark und von den Schirmen steigt er auf die Haare der Benutzer nieder, auf die Glatzen darunter, die Kopfhaut und die Synapsen, die darunter kreisen und für die Kommunikation sorgen. 

Alte Sagen zu neuem Leben erweckt

Mathias Ospelt nahm sich alte Sagen vor, die er mit „der erbärmlichen Sehnsucht nach Reichtum“ zu neuen Zeiten führte. Er erzählte von einem Goldschatz in Stein-Egerta, den der Gründer Ruscheweyh dort vergraben haben soll, und den nun sieben tüchtige Kerle aus Schaan heben wollen, wofür sie drei Tage fasten und schweigen und dann doch vom Teufel begrüßt werden. Doppelbödige Sagen, die Liechtensteiner aufs Korn nehmen, wenn beispielsweise ein Reicher alle Vereine seines Dorfes auf seine Kosten schon neu einkleiden ließ und nun im Vatikan Gott regensichere Umhänge für die Engel anbietet. 

Ein Rapper mit Sinn für goldene Poesie

Mit dem Thema „Gold“ beschäftigte sich auch der Rapper Andri Perl aus Chur. Er las aus seiner lyrischen Erzählung „Rauschgold/Goldrausch“. Eine Geschichte, die spannend dahinfließt und lyrische Sequenzen eingebaut hat. „Ama See bima Baum Ama Stei, wo nid lacht“ sei das Gold vom Giuseppe Ginestra zu finden, das Pitt und Riccarda suchen. Andri Perl ist ein unglaublich stilsicherer Erzähler, der in Churerdeutsch eine Welt lebendig werden lässt.

Aus dem Alltag entnommene Dichtung

Die Aargauer Autorin Nathalie Schmid reflektierte im Turmkeller auf Situationen und Orte, so meinte sie über London: „Es gibt Rosenbüsche und Backsteinmauern und Menschen, die sich fürchten vor weiten Räumen“. Das habe sie vor dem Brexit geschrieben, fügte sie hinzu, aber es stimme eigentlich immer noch. Ihre Poesie findet die Autorin in der Alltagswelt, wie zum Beispiel in ihrer Nachbarin Frau Suter, oder in ihrer Oma, aus der „die Kraft herausströmte wie Regen“.

Wortzaubereien zum Mitnehmen 

Esther Maag schenkte den jeweiligen BesucherInnen in der ehemaligen Schlossapotheke „Lyrik to go“. Dabei ist ein eigener Gedichtband wie eine Kristallkugel, aus der sie ihre Gedichte hervorzaubert. „Seltsam wie die Wolken/dem Wasser gleichen/die Sterne dem Gras/die Vögel den Blumen“ heißt es da beispielsweise. Jeder Gast durfte sich zudem eine kleine Papierrolle mitnehmen – ein Gedicht der Autorin auf Büttenpapier, handgeschrieben und signiert! „Sie erhalten das Heilmittel Poesie, Sie gesunden, wenn Sie sich darauf einlassen“.  

Und dann ein Besuch in Istanbul

Den krönenden literarischen Abschluss gestaltete Angelika Overath, die aus ihrem Buch „Ein Winter in Istanbul“ vorlas. Die Autorin erzählte die Geschichte des Engadiner Lehrers Cla, seiner Verlobten Alva und des Kellners Baran mit einer unglaublichen Detailgenauigkeit. Jeder Ort begann zu tönen und zu riechen, entstand plastisch vor den Augen und blieb doch ein dichtes Kunstwerk. Es sind verletzte Bilder, in denen sich die Zeit dehnt oder Raum und Zeit im Streit miteinander stehen. „Das Denken muss das Gegenteil mitdenken“, heißt es bei ihr, und „Gott muss das Größte und das Kleinste zugleich sein. Gott ist der Zusammenfall der Gegensätze“.