Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Leo Haffner · 09. Sep 2013 · Literatur

Richard Wagners Mythen und Hitlers Wahn Vorschau auf den Auftritt Gottfried Wagners im Theater am Saumarkt

Als Gottfried Wagner, der Urenkel des Komponisten Richard Wagner, im Herbst 1988 im ORF-Funkhaus in Dornbirn zu Gast war, wurde er eingeladen, ein halbes Jahr später einen Vortrag über „Hitler und Wagner“ im ORF zu halten. Und zwar aus Anlass des 100. Geburtstags des „Führers“ am 20. April 1989. Einige Jahre später bekannte Gottfried Wagner in seiner Autobiografie[1] selbstkritisch, dass sein Dornbirner Vortrag von 1989 missglückt war. Denn er habe damals noch „in typischer Neu-Bayreuther Verdrängunsmethode“ versucht, die Musik Richard Wagners von dessen rassistischem Weltbild abzukoppeln. Er habe ferner trotz der extrem antisemitischen Schriften seines Großonkels Chamberlain, trotz der Hitlerbegeisterung seiner Großmutter Winifred und trotz der engsten Beziehung des Wagner-Clans zu Hitler noch nicht die schreckliche Gesamtvision in aller Konsequenz begriffen – oder nicht begreifen wollen: nämlich, dass bereits Richard Wagner selbst seinen Teil zum unauflösbaren Zusammenhang von Bayreuth-Theresienstadt-Auschwitz beigetragen habe.

Kampf gegen die angebliche „Verjudung der Kunst“


Warum, so fragte sich Gottfried wiederholt, hatte er mit seinem Vater Wolfgang, dem langjährigen Bayreuther Festspielchef, nie offen über das Thema Hitler und Wagner sprechen können? Ebenso nicht mit seiner Großmutter Winifred? Immerhin hätte er, falls seine Großmutter den Heiratsantrag von Hitler im Jahre 1930 angenommen hätte, Gottfried Wagner-Hitler heißen können. – Er begann nun selbst nach Antworten zu suchen. Es folgten Jahre der intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung Gottfrieds mit dem Komponisten Wagner, mit dem mächtigen Wagner-Clan und dem gesamten Komplex Bayreuth. Besonders seine Begegnung mit jüdischen Opfern des Nazi-Terrors, so schrieb er später, habe nachhaltig sein Denken und Fühlen geprägt. Dies habe schließlich zu seiner völligen Abkehr von den jährlichen Huldigungsritualen zu Ehren Richard Wagners bei den Bayreuther Festspielen geführt. Das Ergebnis der Forschungen Gottfried Wagners liegt nun in Buchform vor.[2] In seinem Porträt des Komponisten Wagner zeichnet er das Bild eines rücksichtslosen Egomanen, der z. B. seinem Bewunderer und Freund, dem Dirigenten Hans von Bülow, die Frau ausspannt; der Konkurrenten zuerst durch Schmeichelei gewinnt und im passenden Moment von sich stößt; sich höchst undankbar erweist gegenüber seinen eigenen, großherzigen Förderern, etwa Giacomo Meyerbeer und König Ludwig II; der Schmähschriften gegen die jüdischen Dichter Heinrich Heine und Ludwig Börne verfasst; gegen den jüdischen Komponisten Mendelssohn Bartholdy hetzt, überhaupt eine „Verjudung der modernen Kunst“ konstatiert und Juden generell die Fähigkeit zu künstlerischem Ausdruck und Empfinden abspricht.

Wagners „Tyrannensinn für das Kolossale“


In seinem „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal und auch in anderen Werken entwirft Richard Wagner sein Gegenbild zur „jüdischen Entartung“, wie die spätere NS-Propaganda dies zu formulieren pflegte: Der germanische Held Parsifal, durch sein arisches Blut, Wissen und Mitleid gestählt, macht sich auf, die Menschheit von der Knechtschaft der Juden und der dämonischen Verführungskraft der Frauen zu erlösen. – Laut Gottfried Wagner ist der Antisemitismus des Komponisten Wagner keine Äußerlichkeit. Er ist der aggressive Kern seiner Weltanschauung.

Den eingefleischten Wagner-Jüngern, die sich auf die Faszination und den Zauber von Wagners Musik berufen, hält er entgegen, dass es Wagner „nie allein um die Musik“ gegangen sei, sondern um die Durchsetzung seiner Weltanschauung. Schon Nietzsche habe die Abgründe in Wagners Charakter erkannt und seinen „Tyrannensinn für das Kolossale“ kritisiert. – Aus der Sicht seines Urenkels ist Richard Wagners Schrift ‚Das Judentum in der Musik’ „eine der widerlichsten antisemitischen Hetzschriften des 19. Jahrhunderts. [...] Wagner lässt keinen Zweifel daran, wodurch alles Unheil in die Welt kam: durch das geld- und machtgierige Judentum, symbolisiert durch den Nibelung Alberich im Ring des Nibelungen“. In seinem  Aufsatz ‚Erkenne dich selbst’ von 1881 führte Wagner erneut einen offenen Angriff gegen die jüdische Emanzipationsbewegung auf der Basis der Rassenlehre. Er verurteilte die „an die Juden ertheilte Vollberechtigung, sich in jeder erdenklichen Beziehung als Deutsche anzusehen“. Unter dem Einfluss des Schriftstellers Arthur de Gobineau baute Wagner seinen Rassen-Antisemitismus zu einer rassistischen Blutideologie aus – mit verheerender Spätwirkung:

Wagner als einziges Vorbild für Hitler


Für den Massenmörder Hitler war Wagner das höchste künstleri­sche Genie, das Vorbild schlechthin, dem es nachzueifern gelte. Hitler war hingerissen von Wag­ners kraftvollen Musikdramen, die eine „heroische“, entfernte, erhaben mystische germanische Vergangenheit wiedererweckten. Nur ihn erkannte er als seinen Vorläufer an. Aus Wagners Schriften bezog Hitler ideologische Wahnideen. Die von Wagner propagierte These, dem Judentum fehle jegliches Kunstempfinden, wurde zum zentralen Bestandteil der antisemitischen Ideologie des Nationalsozialismus. Aus der Sicht mancher heutiger Autoren ist Hitler ein Wiedergänger Richard Wagners, eines „Schreibtischtäters“, der quasi die Regieanweisung lieferte für die Inszenierung deutscher Geschichte der Vernichtung und Selbstvernichtung bis 1945, bis zum Finale der Götterdämmerung.[3]

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Wer am 25. September die Multimedia-Präsentation Gottfried Wagners im Theater am Saumarkt in Feldkirch besucht, wird somit den „ganzen Wagner“ erleben können. Der Kern  des Vortrags lautet: Richard  Wagners Weltanschauung ist mit den Grundsätzen menschlicher Ethik unvereinbar.

 

Gottfried Wagner, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – Ein Minenfeld, Propyläen Verlag/Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013, 304 Seiten, zahlreiche Abb., ISBN 978-3-549-07441-1

 


[1] Gottfried Wagner, Wer nicht mit dem Wolf heult, Autobiografische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels, Köln 2002, S. 278ff
[2] Gottfried Wagner, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – Ein Minenfeld. Berlin 2013
[3] http://mobil.zeit.de/1997/16/Hitlers_Wagner