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Florian Gucher · 17. Dez 2022 · Literatur

Neuer Kriminalroman von Christian Mähr: „Die Lukasch-Vermutung“

Kann es sein, dass ein einzelner Mensch unbemerkt so großes Unheil über seine Widersacher bringt, ohne die leiseste Ahnung von seiner Fähigkeit zu haben? Dieser Frage geht Christan Mährs neuer Kriminalroman „Die Lukasch-Vermutung“ auf die Spur. So wie der fiktionale Protagonist, ein Autor namens Theodor Lukasch, im wahrsten Sinne des Wortes Gespenster sieht, sein Bekannter Hans-Jörg Fulterer den Verdacht fortlaufend bestätigt und die anderen Figuren sich machtlos in den Reigen rund um Glauben, Aberglauben, Mystizismus, Schicksal, Fügung und Zufall einfügen, gewinnt die langsam anfahrende Handlung dann deutlich an Fahrt. Um nicht zu sagen, dass sie ausartet. Denn was mit kleinen Streitigkeiten beginnt, treibt sich sukzessiv weiter bis hinein in existenzbedrohende Sphären mit kolossalen Auswirkungen und mündet letztlich in Verstrickung, Intrige und Tod. Doch bändigen, das lässt sich der Zauber bis zum jähen Ende nicht.

Mährs „Die Lukasch-Vermutung“ holt die unerklärlichen Dinge des Lebens empor, zeigend, dass unser Dasein auch Pfade fernab der rationalen Vernunft betritt. Und was, wenn man die eigene magische Gabe erkennt und mittels Vernunft einzusetzen versucht? Das, wie der Roman eingängig beweist, kann wohl nur zwangsbedingt schiefgehen.

Die Stimme aus der jenseitigen Dimension

Wer sich mit ihm mal angelegt hat, dem scheint das Pech als Fatum auf den Füßen zu kleben. Geradezu angsteinflößend ist die Vorstellung, dass ein einzelner Mensch eine solche Kraft ausströmen kann und eine derartige Gabe besitzen soll, als eine Art Ausstrahlung, die weit über eine bloße schlechte Aura hinausreicht, bis hinein in Sphären, wo es gruselig zu werden scheint. Aus diesem Hirngespinst heraus schuf der Vorarlberger Schriftsteller Christan Mähr einen schwungvollen, flüssig geschriebenen Roman voller Lebensweisheiten, die aber keineswegs gewöhnlich sind, sondern vielmehr aus den Untiefen rätselhafte Vermutungen hervorgekramt und hinein in metaphysische Ebenen, jenseits des Erklär- und Fassbaren, driften. Nicht allzu selten scheinen Begebenheiten unserer Welt nur allzu weit weg von jeder rationalen Begründung, in der Literatur kann man diese Magie auskosten bis zum bitteren Ende. Und so treibt der Autor Gedankenspiel um Gedankenspiel weiter, wie er das Absurde zum beständigen Teil des Lebens macht und die Geschehnisse wie von Geisterhand zum immer wilderen, bunteren Wirrwarr ausarten lässt. Sowie sich dann auch Lukasch aus reiner Not heraus zu einer folgenreichen Entscheidung zwingen lässt, um die Fulterer-Magie zu stoppen, setzt er eine ganze Kette an Ereignissen in Gang, die sich von Mal zu Mal in ihrer Intensität steigern und nicht von dieser Welt scheinen. Doch wer würde ihm glauben? Nichtsahnend, dass sich dieser Zauber auch übertragen kann, wenn der Betroffene das Zeitliche segnet, handelt Theodor Lukasch mit guter gesellschaftlicher Absicht im Alleingang und gibt der Geschichte zeitgleich eine ganz eigene Wendung. Der fiktive Autor ist auf reine Güterabwägung aus, ohne sich im Klaren darüber zu sein, was er da anrichtet, ja wie er den Faden von Protagonist:in zu Protagonist:in weiterreicht. Die Lukasch-Vermutung spinnt sich dann weiter auf andere Personen und Handlungsstränge, auf Morde und Todesereignisse, deren Zauber mit dem Ableben der unmittelbar betroffenen Unheils- wie Heilsversprecher in fremde Hände übergeht. Und wenn die Geschichte am Ende sich allem Halt entzieht, sich vom Figurenpersonal trennt, sagend, dass es eigentlich jeder und jede sein kann, die den Zauber in sich trägt, wird den Leser:innen noch eine Botschaft des Lebens mitgegeben, die auf ewigwährenden Frieden pocht.

Die Sache mit der Vorstellungskraft

Christian Mährs Kriminalroman verbindet Mystizismus mit Realität und gibt dem Unerklärbaren unseres Seins eine lautstarke Stimme. Dass ein solches Buch gerade von einem durchwegs rational denkenden und agierenden Chemiker kommt, mag überraschen, zeigt aber nur allzu deutlich, dass es eine Sehnsucht in uns gibt, die jenseits aller rationalen Begründungen nach einer gewissen Logik sucht: „Ich sehe das von außen. Wenn man sich etwas einbildet, wird man immer wieder Tatsachen finden, die diese Einbildung bestärken“, betont der in Dornbirn lebende Autor. Womit sich eine Brücke zu aktuellen Entwicklungen bis hin zu den Verschwörungstheorien schlagen lässt. Wobei Mähr in seinem Roman die Fäden dann völlig entgleiten lässt, bis hinein in die absurdesten Geschehnisse, die gar nicht allzu fern von uns passieren und durchaus denkbar sind. Und gerade, dass die unerklärlichen Dinge unserer Lebenswelt entstammen, macht den Roman dann wohl auch so packend und unheimlich. Mit dieser Magie spielt der Autor geradezu. Vollgepumpt von überspitzen Wendungen und einer mächtigen Portion schwarzen Humors, lässt Mähr dann seine Protagonisten gegen Ende des Buches auch absichtlich den Zauber zum Wohle der Gesellschaft einsetzen. So wird gestritten bis zur ärgsten Verwünschung, gekämpft bis zum Kollaps und nicht zuletzt gerächt und gemordet.

Verbindung von Ebenen

Selten schreitet ein Kriminalroman in derart fiktive Welten hinein, wiewohl er stets in der Realität verhaftet bleibt und sogar so manche politischen Entscheidungsträger:innen unseres Landes aufs Korn nimmt. In diesem Roman vermischen sich die Sphären, bis sie ein nicht mehr unterscheidbares, dicht verknotetes Konvolut bilden. Und wo die Fortuna oder der Teufel letztendlich ihre Finger im Spiel haben, ist alles eine Frage der Verkettung unglücklicher Umstände. Oder doch der nicht erklärbaren Mächte? Ob reiner Zufall oder Schicksal, das muss jeder und jede für sich selbst entscheiden. Im Buch überwiegt letzteres und das auf humoristische wie bitterernste Weise gleichermaßen. Eines wird jedenfalls deutlich: Der böse Zauber oder besser gesagt schlechte Stern scheint gar nicht mehr so ein Ding der lebensfernen Mystiker und Heilsversprecher zu sein, sondern lebt plötzlich mitten unter uns auf.

Christian Mähr: Die Lukasch-Vermutung. Kriminalroman. Hirnkost Verlag, Berlin 2022, 280 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-949452-75-8, EUR 20,60