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Anita Grüneis · 02. Apr 2022 · Literatur

Literaturhaus Liechtenstein: Stefan Sprenger und sein Manuskript „Nimmerlein“

„Mir ist wichtig, sichtbar zu machen, in welche Gesellschaft junge Leute hineinwachsen“, meinte der Autor Stefan Sprenger bei seiner Lesung im Literaturhaus Liechtenstein. Ein Thema, das er immer wieder aufs Neue anpackt – auch in seinem dreiteiligen Werk, dessen erster Teil „Die Krötenarie“ bereits erschienen ist. In diesem „Lesestück“ hatte er die Jahre von 1950 bis 1975 thematisiert, in denen sich Liechtenstein die Grundlage seines Reichtums schuf und damit eine tiefgehende Veränderung der Gesellschaft herbeiführte. Vor zwei Jahren begann der Autor unter dem Arbeitstitel „Nimmerlein“ mit dem zweiten Teil seiner Trilogie, der die 1980er Jahre aufgreift. Zwei Kapitel dieses Manuskripts stellte er an diesem Abend vor.

18 Jahre und kein Daheim

Die Hauptfigur des Romans ist die 18-jährige Schülerin Angela Purtscher. Warum er ein weibliches Alter Ego gewählt habe, fragte ihn die Moderatorin des Abends, Verena Bühler. „Ich wollte eine Perspektive einnehmen, die mir nicht vertraut ist“, so Stefan Sprenger. Damit schuf er sich zusätzliche Hürden für dieses Buch, dabei ist es eh schon eine Mammutaufgabe, denn bislang gibt es keine Geschichtsschreibung über die 80er Jahre in Liechtenstein. Somit  musste er selbst zum Historiker werden und da dem „Tiefgründler-Autor“ die Fakten nicht genügen, wurde er auch zum Archäologen. „Ich versuche zu verstehen, warum sich Politiker damals nicht für das Frauenstimmrecht eingesetzt haben“, meinte er an diesem Abend unter anderem.

Kein Recht des Vertraut-Seins

In „Nimmerlein“ erzählt die junge Angie Purtscher ihr Aufwachsen in Liechtenstein als Kind österreichischer Eltern. Von der Schaaner Bahnstrasse muss sie – unfreiwillig – mit ihnen ins Personalhaus der Hilcona-eigenen Landwirtschaft ziehen. Nach der ersten Nacht kehrt die Familie noch einmal zurück in die alte Wohnung. „Ich selber hatte eine Art Restwärme in der Wohnung erwartet, eine trotz anstehender Trennung gegenseitige Zusicherung innerer Verbundenheit von Bahnstrasse 71b OG mit den Purtschers – oder wenigstens mit mir. Fehler, wie üblich“, konstatiert Angie nüchtern, als würde sie mit dieser „Wohnungsheimat“ das ganze Land abhandeln. Und wenig später heißt es: „Mein ehemaliges Zimmer weigerte sich, mir, seiner Bewohnerin der letzten fünfzehn Jahre, weiter das Recht des Vertraut-Seins zuzuerkennen: Es bestand darauf, dass es und ich nicht nur ab jetzt Fremde füreinander waren, sondern, dass wir es schon immer gewesen sind.“

Überfremdung und keine Rechte

In diesen Sätzen steckt das Zentralthema dieses Werkes von Stefan Sprenger: Das Nicht-dazu-Gehören, das Ausgegrenzt-Werden, wie es sich auch im Parteislogan im Jahr 1982 manifestierte. Die VU (Vaterländische Union) gewann damals die Landtagswahlen mit einer Kampagne gegen die sogenannte „Überfremdung“ und mit dem Slogan „Weiter auf dem liechtensteinischen Weg“. Dazu meint Angie: „Schaan war meine Heimat, weil ich nur wenig anderes kannte und vieles hier liebte, aber Liechtenstein selbst war mir immer unheimlich geblieben und je länger je mehr: Frauen hatten 1981 kein Stimm- und Wahlrecht auf Landesebene, die Schaaner Hausböcke hatten im Oktober soeben ihren Frauen das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene verweigert, und zwar hochkant. 1981.“

Der Tod hinter dem Herbstwald

In ihrem neuen Quartier entdeckt Angie hinter der Herbstwald-Tapete Schauriges. „Bilder von Toten. Bilder von toten Soldaten. Neben abgeschossenen, rauchenden Panzern. Dazwischen farbige Nazi-Propaganda.“ Natürlich kann Angie nicht in diesem Zimmer schlafen. Auch hier wird die Wohnung wieder zu einem Statement, zu einer Hoffnung auf eine Heimat. „Hättest du wissen müssen, Angie. Oder wenigstens begreifen. Dass es nie vertraut gewesen. Nur dein Wunsch, das Dorfkleid, den Landmantel zu tragen. Reicht nicht, dass du berechtigt bist“, legt ihr Stefan Sprenger in den Sinn.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit dem Besuch des Gymnasiums in Vaduz, in  dem damals das Lernen im Sprachlabor der neueste Hit war. „Die Klasse hatte das Sprachlab bezogen, als ging’s zur vorkonziliären Schulmesse: Links die Mädchen, rechts die Knaben. Das geschah nur im Lab, weil hier unten kamen die Kircheninstinkte voll zur Geltung: Halbdunkel, Nachbeten, der erhöhte Altar vorne mittig, selbst das  ewige Lichtlein punktete rot am Lichtschalter rechts der Eingangstüre.“ Es folgten weitere Szenen des Unterrichts am Gymnasium. Das Gebäude selbst, erbaut von Ernst Gisel, nannte der Autor am Ende des Abends einen „Fluch der Perfektion - es war makellos schön.“ Und das sei nicht unbedingt eine räumliche Umgebung für junge Leute, die sich über das Gymnasium ein Fenster zur Welt erschließen können, indem sie sich am Lernstoff und an der Umgebung reiben.  

Wenn die Hand ausrutscht

Bei der anschließenden Fragerunde wurde klar, dass nicht nur Stefan Sprenger seine Volksschulzeit als „sehr gewalttätig“ in Erinnerung hatte, da den Lehrern schnell „die Hand ausrutschte“. Neben dieser „Gewalt ohne Kausalität“ wurde das Gymnasium, oder wie der Autor es nannte: „das zwischen Schaan und Vaduz hingebaute Programm“, trotzdem zu einem Reich des Lichts, obwohl es leer am schönsten war.
Der Abend gab einen sehr neugierig machenden Einblick in das neue Werk von Stefan Sprenger, das thematisch bis zur Verfassungsdiskussion reichen soll.

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