Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Ingrid Bertel · 13. Jul 2020 · Literatur

Köhlmeier, Lang und Dornig auf „onepage“ - Es war einmal

Ausgabe 22 der bibliophilen Edition „onepage“ präsentiert ein Märchen von Michael Köhlmeier und ein Gedicht von Maximilian Lang in einer hinreißenden grafischen Gestaltung von Kurt Dornig. Nein, einen Stil wolle er nicht haben, sagt der Buchgestalter Kurt Dornig. Wenn er sich dabei ertappe, einen Stil zu haben, höre er auf. Kurt Dornig präsentiert nicht sich selbst; er lässt sich auf Texte ein. Die setzt er für so edle Editionen wie „Die andere Bibliothek“ oder den traditionsreichen Kinderbuchverlag NordSüd ins Bild. Er definiert das Erscheinungsbild von Kunstkatalogen, Sachbüchern, Romanen, Essays. „onepage“ aber, erzählt Kurt Dornig, war eine besondere Herausforderung.

Die 2018 von der Liechtensteinerin Doris Büchel mittels Crowdfunding gegründete Wandzeitung sucht die Interaktion von Sprache, Gestaltung, Druck und Papier. Auf einem A1-Format finden sich jeweils ein Prosatext und ein Gedicht, verteilt auf neun Felder. Das Blatt kann zu einem A4-Bändchen gefaltet oder als Plakat aufgehängt werden. Wichtig ist Büchel, dass es animiert zu einem zweiten und dritten Blick auf einen Text, denn so entdecken wir Leser*innen Feinheiten, Zwischentöne, Bezüge. „onepage“ generiert damit für die Literatur etwas Neues. Ein Bild hängen wir an die Wand, ein Musikstück können wir uns immer wieder anhören. Nur ein Buch verschwindet, einmal gelesen, für immer im Regal. Liebe kann so nicht entstehen, und weil das schade wär, gibt es „onepage“.

Ein verlorener Sohn

Erstmals gibt es nun eine Vorarlberg-Wien-Ausgabe. Michael Köhlmeier hat eigens ein Märchen dafür geschrieben. Es spielt in Wien, auf der Mariahilferstraße und im Café Bräunerhof. Und dieses Märchen hat es in sich: Susanne oder Susi oder Sanne oder Mama ist eine böse Stiefmutter wie aus dem Grimm’schen Märchenbuch. Den Buben verführt sie nach allen Regeln der Kunst, das Mädchen soll dabei zusehen – und als der Vater den Sohn verstößt, läuft sie weg und überlässt den Scherbenhaufen der Tochter. „Das Böse ist böse um seiner selbst willen“, hat Michael Köhlmeier in seinem Essay „Von den Märchen“ betont. Und deshalb gibt es in seinem Märchen keinerlei moralische Verurteilung von Susanne/Susi/Sanne/Mama. Aber zugleich erleben wir, wie dieser Sirene jede Form menschlicher Zuwendung vollkommen fehlt.
Weil das Märchen nicht nur vom Begehren handelt, sondern auch vom Tod, findet sich auf „onepage“ ein zweiter Text: ein sehr zartes, tieftrauriges Gedicht über einen, der gestorben ist und nichts als Weh hinterlassen hat. „Was übrig blieb“ heißt dieses Gedicht von Maximilian Lang.

An seinen Blick durch den Türspalt
erinnere ich mich noch,
an ein paar Worte, ohne die Stimme
im Ohr.

„ES WAR 1X“ – Diese Schriftfolge zieht sich über acht Felder des Plakats; auf dem ersten aber steht die Zahl 22 – denn es ist die 22. Ausgabe von „onepage“. Nein, Michael Köhlmeier beginnt sein Märchen vom verlorenen Sohn nicht mit der klassischen Formel – aber die grafischen Hinweise von Kurt Dornig legen die Textgattung fest und eröffnen gleichzeitig ein Fenster in die Geschichte. So könnten wir sie lesen, als Märchen. So müssen wir sie aber nicht unbedingt lesen.
Er habe diese Ausgabe deutlich unterscheiden wollen von der klassischen Schweizer Gestalterschule, die die bisherigen Wandzeitungen von „onepage“ auszeichnet, sagt Kurt Dornig. Er hat die neun Felder mit handgezeichneten Buchstaben, Zahlen, Chiffren markiert, sie dann auf einem Foamboard eingeschnitten, als Kartonschiene eingesetzt, um sie als „dreidimensionales“ Bild in den Text einzusetzen. Um die entsprechenden, sehr fein gesetzten Schatten, habe sich der Fotograf Günter König gekümmert.
Das „Handgemachte“ der Buchstaben betont den Märchencharakter des Textes. Rundungen zu schneiden, das habe sich als Herausforderung erwiesen, sagt Dornig. Und so ist das „s“ von „es war einmal“ besonders schlank und langgezogen. Als Farbe wählte er ein pastoses Olivgrün, und für den Fließtext ein dunkles Blau und die Schrifttype „Ingeborg“ der Typejockeys aus Wien. „Das ist eine Antiqua mit romantischem Touch“, schwärmt Dornig, und für Märchen besonders gut geeignet. Die Ausgabe ist in zwei Varianten erhältlich: klassisch gefaltet auf das A4-Format oder aber als glattes – und von Köhlmeier, Lang und Dornig signiertes Plakat – eine der „Königsdisziplinen“ im Grafikdesign.
Er beobachte zur Zeit einen Trend zu illustrierter Literatur, sagt Kurt Dornig noch unter der Tür, ein intensives Eingehen der Gestalter auf den Text. Das sei vielleicht eine Gegenbewegung zur Digitalisierung. Eins ist sicher: Kindle und Co können diese Qualität, die den Text intensiviert, nicht bieten. Mein Blick fällt auf das neunte Textfeld: Wie eine zarte Fahne führt das „x“ aus dem Plakat hinaus, ein fragiler Rahmen für die Verse von Maximilian Lang, der sich an den toten Vater erinnert,

An einen starken Arm,
der mich hochhebt.
An eine Hand,
nach hinten gestreckt
für den Sohn.
 

Die von Kurt Dornig gestaltete Ausgabe 22 von „onepage“ ist – wie alle anderen Ausgaben – online zu beziehen über www.onepage.li

Ingrid Bertel ist Redakteurin des ORF-Landesstudios Vorarlberg