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Ingrid Bertel · 24. Sep 2013 · Literatur

Gesprächskultur – Sabine Benzer richtet die Frage „Warum macht uns Kultur so glücklich?“ an sieben Gesprächspartner

Es ist eine merkwürdige Frage, und sie enthält auch noch eine ziemlich skurrile Behauptung: „Warum macht uns Kultur so glücklich?“ Sabine Benzer, Geschäftsführerin des Feldkircher Theaters am Saumarkt, richtete diese Frage an sieben Gesprächspartner ganz unterschiedlicher beruflicher Herkunft. Und die Gespräche sind richtig spannend!

Wählerstimmen sind damit nicht zu gewinnen, Machtpositionen auch nicht. PolitikerInnen haben daher gemeinhin ein etwas distanziertes Verhältnis zur Kultur, und wenn sie davon reden, dann in jenem endlosen Unwort „Kunstundkultur“. Das soll glücklich machen? Für seine Freizeit wünscht sich der Mensch gemeinhin Freude und Freunde. Aber gleich „Glück“? Und warum soll das eher in der Oper zu Hause sein als am Grillfeuer?
Wann überlegen sich Menschen, ob sie glücklich sind? Sicher nicht, wenn sie um die blanke Existenz kämpfen, wenn eine Ungerechtigkeit sie auf die Barrikaden treibt oder Angst sie schüttelt. Für die Frage nach dem Glück, meint der Philosoph Michael Hampe, brauche man „eine gewisse Ruhe“. Und Hampe fügt hinzu: „Die meisten Menschen auf der Welt haben diese Ruhe nicht.“

Vom guten Leben


Glücklich also, wer sich fragen kann, ob er glücklich sei. Er lebt unter kultivierten Verhältnissen: die Grundbedürfnisse sind gedeckt, die persönliche Sicherheit und Freiheit sind gewährleistet. „Es hat mit Kultur zu tun, dass man sich nicht dauernd an die Kehle geht - nicht mit Kunst - aber dass wir die Kinder dahin erziehen, nicht jedem Impuls nachzugeben, das ist das, was Freud mit Kultivierung meint.“
Der Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen betont darüber hinaus die praktischen sozialen Kompetenzen, die Sicherheiten im Alltag – und die Handlungsspielräume des einzelnen: „Kultur und Glück haben wahnsinnig viel miteinander zu tun“, meint er. „Wenn wir Kultur im Sinne von Lebensführung verstehen, dann lassen sie sich gar nicht voneinander trennen.“
Kultur hat also längst nicht mit Kunst zu tun. Der Umkehrschluss gilt allerdings nicht. Aber wo bleibt dann jener bürgerliche Normenkanon, der uns als „Kunstundkultur“ geläufig ist? Gibt’s den noch? Und ist – oder war – er ein Glücksspender?
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann ist geübt darin, weit auszuholen: Kunst habe mit Spielen zu tun. „Jedes Kind, welches eine Geschichte erzählt bekommt, lernt sich in eine andere Denk- und Lernwelt hineinzuversetzen und bemerkt, welche Freude die Lust am Erzählen, die Lust am Schauen, die Lust am Nachahmen machen kann.“ Darin liegt Glück, meint auch Christian Felber, in der spielerischen Neugestaltung der Welt, „und meine Ansicht dazu ist, dass sich das individuelle Glück überhaupt nur erzählen lässt, dass man überhaupt keine Theorie darüber bilden kann.“

Von der zweckfreien Kunst


Kunst hat keinen unmittelbaren Zweck, sie muss nicht nützlich sein. Kunst generiert einen Freiraum, betonen übereinstimmend die Gesprächspartner von Sabine Benzer. Und das Schauen, meint Liessmann, das „aktive Schauen“, sei bereits in der Antike als kontemplatives Denken zum Glücksbringer ernannt worden. „Glücklich im aristotelischen Sinn ist wirklich der, der die Freiheit hat, die Welt sinnend zu betrachten. Es ist nicht voyeuristisches Schauen, es ist nicht sozusagen der Augenreiz, es ist schon das sinnende, nachdenkliche Betrachten. Aber es ist kein reines Denken, sondern ein Denken, das einen Gegenstand hat, den es betrachtet, ein Bild, in das es sich versenkt. Schopenhauer machte daraus dann eine Philosophie der Kunst.“ Auf eine leise ironische Art zitiert Liessmann da Benjamins Begriff der Aura: Am „Horizon Field“, jenen Figuren, die Anthony Gormley in Vorarlberger Gebirg aufgestellt hatte, wurde eine Skulptur von einem Unbekannten beschädigt. „Wenn es ein Baum gewesen wäre und er hätte diesem Baum einen Ast abgeschnitten, wäre das niemandem aufgefallen. Er hat aber keinen Ast abgeschnitten, sondern dieser nackten Figur den Penis abgeschlagen und damit für einige Aufregung gesorgt. Aber warum eigentlich? Weil es eben kein Stück Natur ist, sondern hier hat jemand offenbar sehr bewusst einen auratischen Raum durchschritten und hat dabei diese Grenze übertreten.“
Das ist eine absichtsvolle Profanierung des Schönen – und unsere Kultur ist derart geübt darin, dass das Schöne sich kaum mehr in einer unironischen, unverkrampften, unverkünstelten Gestalt behaupten kann. Berauben wir uns damit nicht eines ganz elementaren Glücks? Na ja, in der romantischen Vorstellung sorgte ja der zutiefst unglückliche Künstler für das Glück der Betrachter. Muss einer so verzweifelt sein wie Kafka oder van Gogh, um uns dann glücklich zu machen? Liegt dem Schönen der Schmerz zugrunde, wie Kierkegaard vermutete? Und sind wir süchtig danach uns in solche Werke derart zu versenken, dass wir uns selber und unser eigenes Unbehagen darüber vergessen?

Von der Umwegrentabilität


Im kulturellen Diskurs der letzten Jahre wurde bis zum Erbrechen betont, dass Kunst wichtig sei, weil sie einen Standortfaktor im wirtschaftlichen Wettbewerb darstelle, einen Beitrag zur Wertschöpfung leiste, Umwegrentabilität generiere. Pius Knüsel, langjähriger Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia kann da nur lachen. Das habe er in seinem Buch „Der Kulturinfarkt“ als herbeigeredeten Unfug nachgewiesen. Kunst könne Gemeinsinn stiften, darum gehe es. „Jetzt haben wir nur noch die Stiftung von Nischensinn.“

Warum besuchen wir Theater, Museen, Konzerte? Um etwas zu sehen oder hören, das wir schon kennen und um uns sozial zu positionieren, meint Knüsel. „Das soziale Glücksempfinden (ah, ich war an der und der Premiere!) stellt sich zuverlässig ein, das ästhetische hingegen bleibt wechselhaft. Deshalb zieht es die Menschen immer wieder in dieselben Kultureinrichtungen.“

Da Kunst also der sozialen Distinktion diene, hätten die Versuche, sie allen zugänglich zu machen, nie wirklich funktioniert. Wer zum Frequency-Festival geht, möchte nicht mit den Eltern zusammen sein, und wer sich eine Oper von Olga Neuwirth anhört, tut das lieber nicht zusammen mit 1000 Bustouristen. Knüsel plädiert – eine gut eingeübte Provokation - für ein Ausdünnen der Subventionen für zeitgenössische Kunst. Die freiwerdenden Mittel will er in „bürgerschaftliches Engagement“ investieren – und das sieht er etwa am Feldkircher Theater am Saumarkt. Denn dieses sei ein Gemeinschaftszentrum. Nun ja! Es gebe immer weniger solche Einrichtungen, betont Knüsel. Alles was den Gemeinsinn betreffe sei ausgelagert an die Sozialarbeit – und die ist dem Schönen und Zweckfreien bekanntlich eher abhold.

„Warum macht uns Kultur so glücklich?“ ist ein merkwürdiges Buch, und eines, das Fragen formuliert, über die sich das Nachdenken lohnt. Man könnte wunderbar darüber diskutieren!

 

„Warum macht Kultur uns so glücklich. Gespräche über die Zusammenhänge zwischen Kunst, Kultur und Glück – Mit Zeichnungen von Viktoria Tremmel“, Sabine Benzer (Hg.), 19,90 Euro, ISBN 978-3-8525-636-8, Verlag Folio, 2013

 

Buchpräsentation: 25. September, 19 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz.