Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Niedermair · 05. Mai 2022 · Literatur

Gespräch mit Wolfgang Gruber zu „Menschen im Wandel. Erkenntnisse aus Begegnungen.“

Wolfgang Gruber bin ich vor Kurzem in der Galerie.Z in Hard bei der Eröffnung von Marco Spitzars aktueller Ausstellung begegnet. Dort – vor den „verklebten Bildern“ des Künstlers – entstand die Idee zu diesem Gespräch über ein hier anzuzeigendes Buch, das 2021 im Eigenverlag erschienen ist. Dieses enthält eine Fülle von lesenswert formulierten klugen, unprätentiösen Weisheiten über das Leben und Begegnungen mit Menschen.

Peter Niedermair: Auf das Cover deines 2021 erschienen Buches hast du einen „Herren im Mantel“ gestellt, auf dessen rechtem Schuh eine Frauenfigur en miniature, ebenfalls in Schwarz wie der Mann, steht. Deren Blick ist auf das untere Schienbein der kolossalen, stattlichen, in Relation übergroßen Figur des Mannes gerichtet. Dessen Gesicht bleibt ausdrucks- und blicklos, dessen Hände sind körpermittig ineinander gelegt. Was suggeriert das Bild von Marco Spitzar, dem vorarlbergischen Künstler und Grafiker, der insbesondere durch seine künstlerischen Spielversionen mit UHU bekannt ist und aktuell in der Galerie.Z in Hard ausgestellt wird?
Wolfgang Gruber: Das Bild von Marco habe ich als Cover ausgewählt, weil es für Leser und Betrachter viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Mich hat vor allem die Kraft des Bildes fast schockiert. Ich sehe darin sowohl Chance als auch Gefahr in den Handlungsmöglichkeiten des Menschseins: Aus klein wird groß und aus groß wird klein, sowohl im positiven aus auch im negativen Sinne. Die Geschlechtersituation nämlich „kleine Frau am Fuß des großen Mannes“ stach mir erst ins Auge, als ich das erste Druckexemplar in der Hand hielt.
Niedermair: Du bist 1949 in Bonn geboren und hast dich nach dem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften für Vorarlberg entschieden. Hier und darüber hinaus bist du durch dein berufliches Engagement bei der Arbeiterkammer in Feldkirch und medial durch deine gewinnende angenehme Radiostimme bekannt geworden. Welche weiteren biographischen Ereignisse bilden die Schatzkiste und den Hintergrund für die lesenswerten Erkenntnisse aus den vielen verschiedenen Begegnungen?
Gruber: Feldkirch durfte ich schon als Baby erkunden – mein großes Glück, da mein Vater seine Bonner Ehefrau mit Kindern nach dem Krieg und nach zwanzig Berufs- und Kriegsjahren zu einem Umzug in seine alte Heimat Feldkirch bewegen konnte. Meinen Erfahrungsschatz für meine Erkenntnisse bilden die Tausenden von Beratungen aus der Zeit der AK Konsumentenberatung, meine politische Tätigkeit als Kommunalpolitiker, meine persönlichen Kränkungserlebnisse, die mich zum Berufswechsel als PR Manager in die Industrie mit gleichzeitigem „Kulturschock“ führten und mich schlussendlich zum Austritt aus der Politik und Eintritt in die Selbständigkeit mit dem Schwerpunkt „menschliches Verhalten und seine Optimierung unter besonderer Berücksichtigung von Kränkungen und Konfliktbewältigung“ führten.
Niedermair: Im Zentrum deiner sozial zugewandten menschenfreundlichen Betrachtungen steht für mich als Leser deine humanistisch an der sozialen Haptik orientierte Sprache, die voller Respekt und Empathie mit anderen und über andere spricht. Was sind die Fundamente deines Menschenbildes?
Gruber: Mein Fundament ist die Einzigartigkeit des Lebens in all seiner Vielfalt und Zerbrechlichkeit, auf die wir achten sollten. Das funktioniert durch Achtsamkeit, Zuhören und Reflektieren. Daraus wächst steigendes Verstehen und damit die Basis für ein Wertschätzen des anderen im Sinne von Respekt vor der Andersartigkeit. Wenn wir uns selbst und den eigenen Standpunkt nicht mehr als das Nonplusultra postulieren, öffnen unsere Gefühle die Möglichkeit, nach dem anderen Motiv beim anderen zu fragen bzw. zu suchen, um neue Erkenntnisse, auch zur Konfliktbewältigung zu gewinnen.
Niedermair: Beim Lesen ist mir aufgefallen, wie du mit dem federleichten Flügelschlag deiner Sprache eigentlich auf so viele grundlegende, die Existenz und die Lebensperspektiven des Menschen konfrontierende Fragen eingehst, die ohne besserwisserische Handlungsmaximen formuliert sind und stilistisch im sprachlichen Duktus menschenfreundlicher Zeitgenossenschaft daherkommen. Deine Begegnungen reflektieren die Sozietät und das größere gesellschaftliche Miteinander der Menschen. Was inspiriert diese deine Haltung für Begegnungen?
Gruber: Ich habe gelernt, den eigenen Ärger und den inneren Widerspruch zu anderen Positionen als eigene Schwäche und als Eitelkeit bei mir selbst zu diagnostizieren. Das öffnet mir ein Zugehen auf den anderen Menschen in Demut, ohne recht haben zu wollen oder zu müssen. Das ist aber eine tägliche Herausforderung für mich und jeden von uns. Da spielt auch die Persönlichkeit eines jeden eine große Rolle. Wenn ich einen Tag so abschließen kann, dann bin ich stolz.
Niedermair: Aufgefallen ist mir auch deine differenzierende Liebe zur Heimat. Diese spiegelt sich in der Wertschätzung für die Gesellschaft und die kulturellen Lebensgrundlagen, die wir hier in Vorarlberg vorfinden. Feldkirch gehöre dein Herz, heißt es an einer Stelle. In den aufmerksamen Seitenspiegeln deines Lebens erwähnst du wiederholt Orte, Menschen und künstlerische Ereignisse, denen du eine große Bedeutung für dein Leben zuschreibst.
Gruber: Es ist mehr eine sentimentale Reminiszenz und Freude, in so einem schönen friedvollen Ort zu leben. Ein Motiv, mich mit dem Thema Heimat zu beschäftigen, war die Flüchtlingssituation noch vor dem Ukrainekrieg.
Niedermair: Subjektives Glück, wie die Leser:innen an mehreren Stellen im Echo deines Sprechens und Schreibens erfahren, entsteht im Wesentlichen u. a. durch intensive Begegnungen, durch Vertrauen in andere Menschen sowie durch selbstkritisches und kritisches Kommunizieren. Systeme, wie wir von Niklas Luhmann, dem zentralen Begründer der Systemtheorie wissen, entstehen durch Kommunikation. Dein wunderbares Buch, das zahlreiche lebensneugierige Leser:innen finden wird, ist eigentlich das Praxishandbuch der angewandten Sprachwissenschaft, sprachlich bemerkenswert gut geschrieben, hervorragend lektoriert, verständlich, nachvollziehbar und: bescheiden. Es öffnet Türen, die angelehnt offen stehen. Für mich gehörst du zu jenen Menschen, die „man sich“ und ich mir bei einem Abendessen vis-a-vis wünsche. Du gehörst zu jenen Menschen, bei deren Betreten eines Raumes sich deren Größe weiter öffnet.
Gruber: Du machst mich verlegen und gleichzeitig glücklich mit deinen Komplimenten. Ich möchte mit meinem Verhalten andere Menschen, wenn möglich, glücklich machen und mit meinen Gedanken anregen, über das Leben und die eigene Unvollkommenheit nachzudenken, um daraus mit eigenen Erkenntnissen Positives zu bewirken.
Niedermair: Danke für das Gespräch!

Buchpräsentation und Lesung: Wolfgang Gruber „Menschen im Wandel - Erkenntnisse aus Begegnungen“
mit Dorit Wilhelm und Raphael Brunner (Akkordeon)
6.5., 20 Uhr
Anmeldung unter kulturbuehne@ambach.at oder Tel. +43 5523 64060
Junker Jonas Schlössle, Götzis

Das Buch ist erhältlich am Büchertisch mit einer CD als Geschenk oder im Buchhandel unter ISBN 978-3-902923-73-8 ohne CD

Weitere Informationen und Hörproben unter www.wolfgang-gruber.at