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Annette Raschner · 01. Feb 2022 · Literatur

Franz Michael Felder Lyriker

Ein Gespräch mit Jürgen Thaler, dem Leiter des Franz-Michael-Felder-Archivs, und dem Lyriker Norbert Mayer zur „Übersetzung“ der Mundartgedichte von F.M. Felder.

Der Bregenzerwälder Dichter und Sozialreformer Franz Michael Felder wollte die Welt zu einem besseren Ort machen; mit seinem engagierten Wirken und mit seiner Literatur. Neben Romanen, Erzählungen und der berühmten Autobiografie „Aus meinem Leben“ hat Felder auch Gedichte geschrieben, was vielen unbekannt ist. Lyrische Texte in Hochsprache und in Mundart. Um auch die heute schwer verständlichen Mundartgedichte lesbar zu machen, hat der Leiter des Franz-Michael-Felder-Archivs und Herausgeber des nun vorliegenden, letzten Bandes der Felder-Werkausgabe ,Jürgen Thaler, einen Autor mit einem speziellen Auftrag bedacht. Der aus dem Bregenzerwald stammende Lyriker Norbert Mayer hat in den letzten Monaten zwölf Mundarttexte von Franz Michael Felder „übersetzt“, was beim konkreten Projekt bedeutet: Er hat sie in eine zeitgemäße Sprache übertragen.

Annette Raschner: Der Obmann des Franz Michael Felder Vereins, Norbert Häfele, spricht im Zusammenhang mit der nun vorliegenden Edition von einer „unschätzbaren Erweiterung“. Warum war Ihnen dieser sechste und letzte Band der Werkausgabe wichtig?
Jürgen Thaler: Da muss ich zunächst von einer Begebenheit berichten. Als wir 2003 das Franz Michael Felder Museum in Schoppernau eingerichtet haben, rezitierte ich spontan auf der Stiege vor dem Haus aus Felders bekanntem Gedicht "Kathrinentag". Da kam eine Schoppernauerin vorbei, die den Ball aufnahm und das Gedicht weiter vortrug. Ich weiß noch, dass ich mir damals gedacht habe, dass die Gedichte von Felder von vielen unterschätzt werden. Als wir dann mit der Neuausgabe der Werke Felders begonnen haben, ist mir die Frau wieder in den Sinn gekommen. Was wäre, wenn sie ihren Kindern vorschlagen würde, die Gedichte Felders zu lesen? Es gäbe gar nicht die Möglichkeit. Aber jetzt gibt es sie.
Raschner: In dem neuen Buch sind rund fünfzig Gedichte und Reden Franz Michael Felders versammelt, zwölf sind in Bregenzerwälder Mundart geschrieben und wurden von Ihnen, Norbert Mayer, ins Hochdeutsche übertragen. Auf den ersten Blick sieht das überschaubar aus, aber die Aufgabe hat sich als kniffliger herausgestellt als ursprünglich angenommen.
Norbert Mayer: Das ist richtig. Meine ersten Probeläufe habe ich mit Jürgen Thaler besprochen, und als dieser gemeint hat, dass ich in diese Richtung weitermachen könne, war ich erleichtert. Aber ich musste Wort für Wort, Zeile für Zeile durchgehen und mich immer fragen, wie ich das in die heutige Sprache übertragen kann, ohne den Geist Felders zu verlassen.
Thaler: Wir waren in der privilegierten Situation, auf technische Übersetzungen zugreifen zu können. Ich fand es deshalb reizvoll, in eine andere Richtung zu denken, um nicht nur den Sinn der Wörter wiederzugeben, sondern ihnen einen gewissen "Spin" mithilfe eines hervorragenden Autors zu geben. Norbert Mayer hat die Energie, die in den Gedichten steckt, erfasst, und ich denke, dass sich das Ergebnis nun sehen lassen kann.

Die Seele Franz Michael Felders erfassen

Raschner: Angeblich haben Sie sich derart intensiv mit den Gedichten befasst, dass sie sogar davon geträumt haben. Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Mayer: Ich habe die Originaltexte mehrfach laut gelesen, um in die Seele Felders vorzudringen. Dann bin ich an meine Spracharbeit gegangen. Manche Wörter waren nicht klar, dann musste ich mir die technischen Übersetzungen ansehen. Teilweise habe ich auch bei älteren Menschen im hinteren Bregenzerwald nachgefragt. So sind die neuen Gedichte langsam gewachsen. Summa summarum denke ich, dass es schon ein „Guss“ geworden ist. „Wies i mach" heißt ein Gedicht von Felder. Eben genau so. Auf meine Art.
Raschner: Franz Michael Felders Literatur beruht auf der Zweisprachigkeit von Dialekt und Hochsprache, sie ist - so schreiben Sie Jürgen Thaler - „im besten Sinne bilingual“. Das trifft auch auf seine Gedichte zu. Wann hat Felder die Hochsprache, wann hat er die Mundart verwendet?
Thaler: Da bleibt ein Fragezeichen stehen. Man weiß nicht, was Felder mit den hochsprachlichen Texten beabsichtigt und getan hat. So gesehen kann man behaupten, dass die Mundartgedichte vielleicht eher für den Vortrag gedacht waren. Das muss aber nicht so gewesen sein. Interessant ist schon allein die Tatsache, dass er beides gemacht hat. Viele glauben immer noch, dass die Mundart etwas Konservatives, Heimatverbundenes oder gar Biedermeierliches an sich hat. Aber in Wirklichkeit ist sie die Sprache, die gegen die Hochsprache, die Sprache der Verwaltung und der Institutionen gerichtet ist. Damit hat Felder sicher gespielt.
Raschner: Die Gedichte sind - mit Ausnahme etwa von „Katharinentag“ und „di vorliobt Wäldari“ - eher unbekannt. Zu Recht oder zu Unrecht? Wie ist es um die literarische Qualität der Texte bestellt?
Thaler: Man muss sich beim Lesen natürlich darüber im Klaren sein, dass diese Texte in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Da gab es noch keinen Hofmannsthal, keinen Baudelaire oder Trakl. Das war eine Lyrik, für die traditionelle Reimschemata und Formen verwendet wurden. Felders Gedichte sind witzig, und man findet in ihnen sowohl interessante Dialektbegriffe, als auch sozial-gesellschaftliche Motive. Es geht darin beispielsweise um Abhängigkeitsverhältnisse, aber natürlich auch um Liebe. Keine Lyrik ohne Liebe!
Raschner: Norbert Mayer, die Arbeit an den Gedichten Franz Michael Felders war Ihr erstes derartiges Projekt. Normalerweise schöpfen Sie als Autor aus Ihrem eigenen Erleben und verwandeln es in Literatur. Wie hat sich diese Art der Kontaktaufnahme mit einem längst verstorbenen Autor, der immer auch ein großes Vorbild für Sie war, angefühlt?
Mayer: Zunächst einmal war ich sehr überrascht, weil ich nicht gewusst habe, dass Felder auch Gedichte geschrieben hat. Und ich hatte mich schließlich seit Schulzeiten mit ihm befasst. Als ich in Felders Welt eingetreten bin, habe ich mir versucht vorzustellen, wie das alles möglich war: dieses Werk und dann noch sein anstrengendes Leben. Er hat Landwirtschaft betrieben, Sozialpolitik gemacht, Genossenschaften gegründet und so weiter. Wann hat der Mann eigentlich geschlafen? Vermutlich nie! Also, so nah dran war ich noch nie an diesem Franz Michael Felder.

Franz Michael Felder: „Gedichte"
Norbert Mayer (Übersetzung), Ingrid Fürhapter und Jürgen Thaler (Hrsg.),
Libelle Verlag AG, 2021, 168 Seiten, Kartoniert, Paperback,
ISBN 978-3-905707-71-7, € 19,90