Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Karlheinz Pichler · 17. Mär 2022 · Literatur

Fotografische Porträts, aus denen die Seele der Menschen spricht

„Ebenbilder“ von Fridolin Tschugmell ist als Fotoedition erschienen. Der liechtensteinische Pfarrer und Seelsorger mit österreichischen Wurzeln, Fridolin Tschugmell (1896-1981), gilt als erster professioneller Genealoge des Fürstentums. Er erforschte die Geschlechter der meisten liechtensteinischen Gemeinden, erstellte Familienbücher oder Stammtafeln für mehrere Gemeinden sowie tabellarische Stammbäume für rund 100 liechtensteinische Familien, wie dem Historischen Lexikon des Fürstentums Liechtenstein zu entnehmen ist. Tschugmell ordnete demnach alle Pfarrei- und Gemeindearchive des Landes neu, legte Sammlungen an (z.B. von Hauszeichen) und veröffentlichte mehrere lokalgeschichtliche Arbeiten zu seiner Heimatgemeinde Triesen.

„Er war ein Original, und jedermann von Balzers bis Ruggell kannte die hochragende Priestergestalt mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen, das Haupt bedeckt mit einem breitrandigen Hut, den hageren Körper eingehüllt in eine schwarze Pelerine“, schrieb Felix Marxer 1981 im Nachruf für den Historischen Verein des „Ländles“.
Dass Tschugmell auch ein begnadeter und leidenschaftlicher Fotograf war, blieb aufgrund seiner zahlreichen Aktivitäten bislang ein viel zu wenig beachteter Aspekt. Dabei darf er durchaus auch als fotografischer Alltagschronist bezeichnet werden. Als er beispielsweise von 1925 bis 1937 als Pfarrer in Mauren tätig war, porträtierte er zahlreiche Bewohner der Gemeinde. Zwar wurde bei einem Brand 1938 in Triesen, wo Tschugmell nach seinem Weggang aus Mauren lebte, viel fotografisches Material zerstört. Erhalten geblieben sind jedoch rund 800 Aufnahmen aus den 1920er und 1930er-Jahren aus Mauren, die Fridolin Tschugmell zugeschrieben werden können und die die Einwohner und das Dorfleben von Mauren fotografisch dokumentieren. Kultur- und gesellschaftsgeschichtlich für Liechtenstein ein regelrechter Schatz.

Fotoedition

Um den Blick einmal fokussiert auf das außergewöhnliche fotografische Schaffen Tschugmells zu lenken, haben der Liechtensteiner Literat und Künstler Hansjörg Quaderer sowie Ruth Allgäuer, die ehemalige Geschäftsführerin des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, eine prachtvolle Publikation herausgegeben. Unter dem Titel „Fridolin Tschugmell – Ebenbilder“ ist eine Edition erschienen, die 24 ausgewählte Aufnahmen Tschugmells aus seiner Zeit in Mauren sowie ein Begleitheft mit zahlreichen Informationen und Dokumentationen zum Leben und Wirken des umtriebigen Pfarrers enthält. Sowohl das Fotoportfolio als auch das Begleitheft sind eingebettet in eine exquisite, leinengebundene Hardcovermappe. Kein Wunder, dass die aufwendig produzierte und gestaltete Publikation bereits zu den schönsten Büchern Liechtensteins zählt.
Hansjörg Quaderer über den Fotografen Tschugmell: „Mit seiner ihm eigenen Handschrift fotografierte Tschugmell Kinder, Alte, Familien, Menschen an der Arbeit, auf dem 'Bänkle vorem Huus'. Lausbuben und -mädchen, Kleinschulkinder, Ministranten. Dorfszenen, Dorfwinkel, Häuser, den Bau der Pfarrkirche Schaanwald, die Renovation des Schulhauses Mauren, den Fasnachtsumzug 1936.“
Ein interessantes Detail der Aufnahmen ist, dass sie teils inszeniert wirken, obwohl andererseits die Dargestellten völlig unbefangen in die Kamera zu blicken scheinen, was ein besonders vertrautes Verhältnis zwischen Fotograf und „Modell“ voraussetzt. Tschugmell benützte im Übrigen vermutlich eine Rolleicord, eine etwas einfachere und günstigere Alternative zur Rolleiflex.

Wenn Augen sprechen, wovon Münder schweigen

Im Begleitheft ist auch ein einfühlsamer Essay der Vorarlberger Schriftstellerin Gabriele Bösch enthalten, in dem sie sich unter dem Titel „Wenn Augen sprechen, wovon Münder schweigen“ persönlich mit den Aufnahmen Tschugmells auseinandersetzt. Zu den porträtierten Erwachsenen etwa schreibt die Autorin: „Sie alle wirken so stark, so sicher in sich ruhend, als wäre die feste Verzahnung der jeweiligen Person mit dem dazugehörenden Leben durch nichts zu erschüttern oder in Frage zu stellen. Es ist, wie es ist, vermutlich gottgewollt. Es liegt eine Ergebenheit in den Gesichtern, die zeitlos ist, weil sie kein Bedauern nach rückwärts und keine Sehnsucht nach vorwärts kennt. Es ist. Es ist zu arbeiten. Aber, so frage ich mich: Wäre diese unerschütterliche Klarheit in den Gesichtern auch gegeben gewesen, wenn da ein 'Städter' gekommen wäre, um zu fotografieren, und nicht der dorfeigene Herr Pfarrer? Ist es vielleicht die Unerschütterlichkeit von Fridolin Tschugmell, jenes Mannes, der am Isonzo viel Elend gesehen haben muss und Brüder im Krieg verloren hat, die sich vom Menschen hinter der Kamera bis zu den Menschen vor der Kamera ausdehnt und sich in jenen Gesichtern widerspiegelt? Im Nachspüren mag ich eine Art gemeinsame Eingeschworenheit aller Beteiligten verorten, die sich allerdings nicht auf ein Programm oder eine Lehre bezieht. Sie bezieht sich auf das Leben selbst. Dieses Leben ist kein abstraktes Leben, das von hoher Geistigkeit getragen wäre, es ist ein Tun. Es ist ein handelndes Leben. Es ist ein Pflügen, Ackern, Pflanzen, Mähen, Heuen, Ernten und Verarbeiten. Die Kraft, die für diese Arbeit aufgewendet werden muss, ist als Gewicht in den Gesichtern zu lesen, in den klaren Augen. Die Münder sind geschlossen, sie müssen keine Geschichten erzählen, weil sie alle die gleiche Geschichte erzählen.“
Seine Maurer Bildersammlung, oder das, was nach dem Triesener Brand übrigblieb, übergab Fridolin Tschugmell in den 1970er-Jahren an Adolf Marxer. Ende der 1970er-Jahre dann gelangte die kostbare Sammlung, die rund 800 Fotografien umfasst, ins Gemeindearchiv Mauren, wo sie auch heute noch aufbewahrt wird. Die Gemeinde digitalisierte die Aufnahmen und stellte markante Beispiele der Sammlung, die nicht nur eigene Fotos Tschugmells enthält, sondern auch von diesem gesammelte, online. Sie können über die Webplattform www.tschugmell-archiv-mauren.li abgerufen werden.
Die von Ruth Allgäuer und Hansjörg Quaderer zusammengestellte Edition „Fridolin Tschugmell – Ebenbilder“ gibt einen zwar kleinen, aber dafür umso beeindruckenderen Einblick in die Vielfalt des fotografischen Schaffens des Liechtensteiner Originals.

Fridolin Tschugmell: Ebenbilder.
Portraits aus Mauren aus den 1930er-Jahren.
Ein Portfolio von 24 Aufnahmen mit Begleitheft.
Hrsg. v. Ruth Allgäuer und Hansjörg Quaderer, mit einem Essay von Gabriele Bösch.
edition eupalinos 2021

www.eupalinos.li