Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Florian Gucher · 02. Okt 2022 · Literatur

Neuer Lyrikband von Michael Donhauser – ein vergehender Grashalm im Tanz mit dem sanften Wind

Wenn sich am Ende auch das scheinbar Fassbare im Nichts auflöst, bleibt alleine die Erinnerung als ferner, lieblicher Klang und Nachhall über. Michael Donhausers neuer Lyrikband lässt wie auf einer Wolke über den Boden schweben, erkennend, dass wir höheren Mächten unterworfen sind, die schier unbegreiflich bleiben. Und so strahlt Michael Donhausers „Wie Gras“ eine Magie aus, die uns auf existentielle Weise ergreift, am Rande dessen, was erzählt werden kann.

Intimste Empfindungen des Lebens

Nach „Wie Gras“ ist nichts mehr wie es war. Der Autor scheint in einer Sphäre lyrischer Vollendung angekommen zu sein, den Leser:innen reißt es quasi buchstäblich den Boden unter den Füßen weg, bereit, den Segen unseres Daseins fernab äußerer Wahrnehmungen zu finden. Nicht nur, dass Michael Donhauser mit der knapp 100 Seiten umfassenden Sammlung kurzer, zusammenhängender Legenden eine lange verfolgte und mit den beiden Büchern „Schönste Lieder“ und „Variationen in Prosa“ begonnene Trilogie vollendet, er hebt auch die Fabulierkunst lyrischer Prosa auf eine neue Ebene. Weil alles Materielle, Faktische und Eindeutige hier über Bord geworfen wird, Platz macht für das, was jenseits unseres Horizontes liegt und so unsagbar scheint. Der aus Vaduz stammende und in Wien lebende Schriftsteller nimmt sich dem an, indem er das Unbeschreibliche als intensives Gefühl in Form und Sprache gießt und schwebend macht. Er trabt dabei durch die Jahreszeiten hindurch wie zeitgleich durch die Etappen des menschlichen Lebens. Doch der Versuch, die Erscheinungen des irdischen Daseins akribisch festzuhalten, ihnen ein Gesicht zu verleihen, weicht dem Abheben und Loslassen als versöhnendes Moment mit der Endlichkeit alles Irdischen: „Gewissermaßen ist ‚Wie Gras‘ der endgültige Abschied von den in den 1980er Jahren von mir begonnenen Dinggedichten. Man kann die Dinge gewissermaßen nicht mehr so benennen, wie ich es damals versucht habe, es ist in eine Sphäre gehoben, wo das Klangliche deutlich an Relevanz gewonnen hat und über den Inhalt gestellt wird. Für mich ist es auch der Gipfel lyrischer Ausdrucksweisen, wo ich nicht weiß was danach noch kommen kann “, so Donhauser zu seinem Werk. Tiefenempfindung ersetzt Flüchtigkeit, das wäre womöglich eine passende Beschreibung des Bandes in drei Worten. Die ursprünglich in den Nächten entstandenen und erst allmählich akribisch ausgefeilten Texte geben dabei ein ganzes Konvolut an Erinnerungen, Eindrücken und Leseerfahrungen wieder, die sich nachträglich so genau nicht mehr auseinanderhalten lassen. Aber das sollen sie auch gar nicht. Vieles verschwimmt auch innerhalb des kleinen Bändchens, was durchaus so intendiert ist, entziehen sich doch die Texte allem Konkreten und erteilen diesem eine Absage.

Versöhnung mit der Endlichkeit

Wenn sich etwas trotz all des Entzuges paradigmatisch in den 81 Legenden festhalten lässt, dann ist es die Vergänglichkeit als Thema, immer wieder aufscheinend und doch so verworren bleibend, wie sie nun mal ist. Die Schauplätze sind dabei, sofern sie sich uns nicht als bestimmbare Erscheinungen entziehen, so banal, alltäglich und intim, dass sie fast ein Lobgedicht auf das Kleine, Unscheinbare singen und letztendlich jedoch genau so undurchschaubar bleiben wie das Leben selbst. Da erscheinen die Zimmer, Wege, Gärten, Wiesen und Wälder, an denen wir gemeinhin achtlos vorbeigehen plötzlich als Orte grundlegender Erkenntnis und Triebe des Lebens, die unser Dasein würdevoll machen. Donhauser fängt dies auf magische Weise ein, doch nicht beschreibend, sondern vielmehr klanglich in passende Wörter und Sätze gießend. In einem langen Prozess wohlgemerkt, denn Donhausers literarische Leckerbissen sind, wenngleich sie ursprünglich aus impulsiven Gedankenmustern hervorgegangen sind, alles andere als ohne Umwege entstanden. Wirken sie vielleicht gerade dadurch wie aus einem Guss? Jedenfalls benötigt der Autor geradezu das Ausscheren in weites, unbekanntes Terrain, um sich in den Untiefen des Alltags wie auch fernab davon zu verlieren, und letztlich erst zur eigenen Sprache zu finden: „Meine Literatur hat überhaupt nichts mit Spontaneität zu tun. Es ist als langer Prozess zu verstehen, bis alles ausgereift ist und sich eine gewisse Stimmigkeit einstellt. Doch nur weil ich von bestimmten Texten über dreißig Zweitfassungen habe, heißt das nicht, dass es mühevoll war für mich. Es ist schließlich meine Leidenschaft.“ Indem er sich selbst fragt, was da ist, was das Leben erst zum Leben macht, reist das Lesepublikum wie von selbst mit in eine Ebene, die weit über das Ding-Sein und Mensch-Sein an sich hinausweist und nach anderen Empfindungen sucht, die existentieller sind und nicht zuletzt über Intuition gehen.

Wenn der Klang den Rhythmus vorgibt

Der Titel „Wie Gras“ weist dabei bereits metaphorisch auf das, was in den folgenden Legenden kommen wird. Sich mit dem „Wie“ einer konkreten Benennung entziehend, wie gleichermaßen auf die Bibelstelle aus Jesaja 40 verweisend („Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume“), klingt hier bereits der Ton an, der als Ode an die Endlichkeit im Buch seine Kreise zieht. Menschliches Leben ist doch ähnlich wie Gras, aus dem Nichts vom Boden emporkeimend wie letztendlich wieder darin vergehend. Und damit spielt Donhauser auf den Grundtenor des Buches an: Das Leben entzieht sich unserem Verständnis, was bleibt ist ein hörbarer Schall von allen Erinnerungen und Erlebnissen, die ins Gedächtnis rufen, dass das und jenes mal war und in der Ferne noch ertönt. Wie ein Schimmer am Himmelszelt, oft klar und deutlich, oft nur in Umrissen, tauchen sie dann auf. In jedem Falle aber nur mehr spürbar und nicht mehr als Erscheinung beschreibbar. Dass das Bibelzitat in einem Requiem von Brahms musikalisch verarbeitet wurde und dem Autor erst den Geistesblitz für die Benennung des Bandes gab, zeugt von seiner musikalischen Vorliebe klassischer Musik, die klanglich als Ebenbild in „Wie Gras“ in Erscheinung tritt, aber auch von der besagten Intuition: „Der Titel verdankt sich einem günstigen Moment, war lange in Schwebe.“ Donhauser tanzt mit seinen Zeilen im Ton zur Musik. Wobei er deutlich darüber hinausschreitet, indem er sie als individuelle Empfindungen kenntlich macht. „Wie Gras“ klingt wie Musik in den Ohren, hallt nach und lädt zur intimen Erkundung des eigenen Selbst ein. Und das ganz befreiend, ohne Klammergriff und zeitgleich schwelgend im Auskosten der ganz kleinen, temporären Glücksmomente.

Michael Donhauser: Wie Gras. Legenden. Matthes & Seitz, Berlin 2022, 96 Seiten, gebunden, ISBN: 978 3 7518 0903 0, € 20,60

Lesung:
4.10, 19.30 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
www.theaterkosmos.at