Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Ingrid Bertel · 04. Dez 2017 · Literatur

Dr. Friebes Drachen-Salon - Der Paläontologe J. Georg Friebe wirkt als Kurator an der inatura und pflegt ein exquisites Hobby: Er widmet sich einem Tier, das nur der Mensch erfinden konnte.

Es ist ein Geschöpf menschlicher Fantasie, zusammengesetzt aus dem Körper einer riesigen Schlange und dem Kopf eines Krokodils, den Füßen eines Löwen, manchmal auch den Klauen eines Adlers. Dazu kommen Fledermausflügel und ein Kamm, ähnlich der Rückenflosse eines Hais. Besonders schön ist der Drache nicht, aber besonders eindrucksvoll. Und das liegt nicht nur daran, dass er zusammengestückelt ist aus furchteinflößenden Waffen. Es liegt vor allem am starren Blick, dem er seinen Namen verdanken könnte. Das altgriechische „dracon“ meint „der starr Blickende“ und hat im Gorgonenhaupt der Medusa, um das sich Schlangen winden und dessen Anblick jeden Menschen erstarren lässt, eine mythologische Spur hinterlassen.

In China hat der Drache dagegen ausschließlich positive Bedeutung, ist er doch Sinnbild des Himmelssohns, das heißt des Kaisers. „Der Chinese nennt den Drachen das gute, schaffende, erhaltende Prinzip, das Himmel und Erde beherrscht, die mächtige Ursache aller Veränderungen in der Natur.“ Dabei ist der chinesische Drache auch nicht viel hübscher als der europäische: Er hat einen Kamelschädel mit Hirschhörnern, Kaninchenaugen, Kuhohren, einen Froschbauch, einen Schlangenhals, Habichtkrallen, Tigerpratzen und Karpfenschuppen. „Dazu kommen ein Bärtchen und eine glänzende Perle am Hals“, bemerkt Yves Schumacher.

Der Drache – ein Archetyp?

Es ist schon merkwürdig, dass sich die Gestalt des Drachen in den unterschiedlichsten Kulturen findet. Friebe trägt Dokumente aus China und Südostasien, der islamischen Kunst und der europäischen Mythologie zusammen; er ortet das Fabelwesen in christlichen Heiligenlegenden, Märchen und Fantasy-Literatur, in Popsongs und auf Bierdeckeln. Denn für seinen Salon hat Friebe nicht nur Reiseberichte, Lexika und Zeitschriften zusammengetragen, sondern auch reiches Bildmaterial. Da findet sich barocke Elfenbeinschnitzerei neben der Glückwunschkarte aus dem China-Restaurant, Hans von Aachens Gemälde „Befreiung der Andromeda“ aus dem Jahr 1600 oder das Logo des Getränkekombinats Dresden und die Trademark „Made in Japan“. Den Titel „Drachen Salon“ darf man also durchaus wörtlich nehmen und das Buch als Quelle für animierte Gespräche nutzen.

Es gibt sich betont unangestrengt. Friebe breitet seine Schätze mit lässiger Geste aus, aber nach den ersten staunenden Blicken wird klar, wie viel Sorgfalt und welche gedankliche Präzision in diesem Drachen-Salon stecken. Dabei drängt sich eine Vermutung zur Herkunft des Drachen auf. Könnte es sich um die Inszenierung eines Sieges handeln, nämlich des siegreichen Patriarchats?

Marduk, Herakles und die andern Helden

In der assyrisch-babylonischen Mythologie etwa ist der Drache die Verkörperung der Mutter, die von ihrem Sohn Marduk ermordet wird. „Ohne Zeit zu verlieren, zerstörte Marduk ihre inneren Organe, teilte ihr Herz in zwei Teile und machte sich weiter über das entkräftete Wesen her, bis Tiamat, die Verkörperung des Chaos, nicht mehr lebte. Erst dann beendete er seinen Angriff, stellte sich stolz auf ihren Kadaver und vermittelte allen wortlos, dass er, Marduk, der Sieger und nun die höchste Macht war. Die alte Ordnung hörte auf zu existieren.“

Dass die Urmutter zum Ungeheuer dämonisiert und von den Söhnen zu Recht getötet wird, diese Erzählung begegnet uns von den griechischen Helden Herakles und Perseus über die Offenbarung des Johannes bis zum Nibelungenlied. Dort, so Winder Mc Connell, werde außerdem ein politischer Aspekt diskutiert: Siegfried, der Drachentöter, bedroht die höfische Ordnung, in die er sich über die Beziehung zu Kriemhild integrieren wollte. Sein Tod ist deshalb unvermeidlich, „Womit man allerdings nicht gerechnet hat, war die Verwandlung Kriemhilds in eine „vâlandinne“, die wie ein neuer Drache die Welt verwüstet und schließlich auch, nicht mehr als Mensch, sondern als Ungeheuer, von Hildebrand in Stücke zerhauen wird.“

Dennoch ist der Drache kein Archetyp im Sinne C.G. Jungs. In manchen Kulturen fehlt er, in anderen erweist er sich als erstaunlich wandlungsfähig. Als Europa sich aufmachte, die Weltkarte zu zeichnen, wurden die Meere mit Seeungeheuern in Drachengestalt besiedelt. Die nächste Station fanden sie dann in der Raumfahrt. „Und so treibt sich der Drache in unserer Medienkultur inzwischen meist als bösartiges biologisches Monster irgendwo zwischen Weltall und Erdmittelalter in Form von Außerirdischen oder überlebenden Sauriern herum.“

 

Dr. J. Georg Friebe, Dr. Friebes Drachen Salon. Ein Drachenbuch für die ganze Familie, unartproduktion, ISBN 978-3-902989-24-6, 294 Seiten, 128 farbige Bilder, € 26,-