Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Annette Raschner · 13. Sep 2016 · Literatur

Die wilden Sprünge des Panthers - Der neue Kriminalroman von André Pilz

Vor neun Jahren fand am Deutschen Theater Berlin die Uraufführung von „Weine nicht“ in der Regie Robert Borgmanns statt. Vorlage für die Bühnenfassung war André Pilz` umstrittener Erstlingsroman „No Ilores, mi qerida - Weine nicht, mein Schatz“, in dem sich der Skinhead Rico Steinmann in eine mexikanische Studentin verliebt. Fußballfan Pilz hatte dafür intensiv in der Hooliganszene recherchiert. Den Leidensweg einer jungen Frau aus Lateinamerika, die in Deutschland zur Prostitution gezwungen wird, zeichnete der Vorarlberger in seinem zweiten Roman „Bataillon d´Amour - eine Geschichte von Liebe und Gewalt“ (2007) nach, es folgten 2010 der viel gelobte Roman „Man Down“ und „Die Lieder, das Töten“; Ein Buch, das nach einer atomaren Katastrophe in einem deutschen Kernkraftwerk spielt. Der Roman war für den Kurd-Laßwitz-Preis in der Sparte „Bester Science-Fiction-Roman 2012“ nominiert. Seiner Vorliebe für brisante Themen kommt der in München lebende Autor auch in seinem neuen Kriminalroman „Der anatolische Panther“ (Haymonverlag) nach.

Das knapp 500 Seiten starke Buch erzählt vom Überlebenskampf des jungen, arbeitslosen, in Giesing lebenden, türkischstämmigen Kleinkriminellen Tarik, der von einem ehemaligen Kripobeamten dazu angestiftet wird, in die Moschee des Hasspredigers Abdelkader Al-Anbari alias der Derwisch einzubrechen. Der charismatische „Superstar unter den Islamisten in Deutschland“ wird verdächtigt, den Anschlag von Hamburg in Auftrag gegeben zu haben.

Wie schon bei den vorangegangenen Büchern waren auch diesmal wieder reale Personen, Orte und aktuelle Ereignisse Inspirationsquellen für den 44-Jährigen, der Charles Bukowski und Cormac McCarthy zu seinen Lieblingsautoren zählt. Als Autor fühle er sich jenen Geschichten verpflichtet, „die mich aufwühlen, weil die Ungerechtigkeit, das Leid, das Wegschauen für mich unerträglich sind“.

Zupackend und hart


Im Münchener Außenbezirk Giesing siedelte André Pilz bereits seinen viel gelobten Roman „Man Down“ an, in dem der einstige Dachdecker Kai nach einem Arbeitsunfall zum Hartz-IV-Empfänger und Drogenkurier wird. Einer von Kais „Freunden“, der türkische Dealer Shane, soll bei einer Lesung vor SchülerInnen diese derart beeindruckt haben, dass sie Pilz dazu ermutigten, einen „Typen wie ihn“ zum Helden seines damals noch ungeschriebenen Romans zu machen.

Voilà - Background und Milieu ähneln einander, Tarik wurde als Kind von seinem Großvater Baba, den er aufopfernd pflegt, nach Deutschland geholt, er liebt Fußball (Fan des TSV 1860 München), Joints, seine Kumpels Doogie, Yiannis und Sugo-Joe, sowie Nteba: Eine Medizinstudentin, die gleich am Beginn des Romans in ihre Heimat Kuba zurückkehren muss, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen sein soll. Dass es ihm gelungen ist, dieses unnahbare, schöne Mädchen zu erobern, das sich in ganz anderen Kreisen bewegt als er, darauf ist Tarik stolz. Stolz war er einst auch, als er bei den Münchner Löwen in der zweiten Bundesliga spielte, von einem Journalisten als Anatolischer Panther bezeichnet wurde und das Angebot erhielt, zum Traditionsverein St. Pauli zu wechseln. Doch der Coup missglückte ebenso wie Tariks Versuch, seinen Schulabschluss nachzuholen. Die Abwärtsspirale beginnt sich zu drehen…

Auch wenn André Pilz bei der Zeichnung seiner Figuren vor dem Klischeetopf nicht zurückscheut: Seine Hauptfiguren, allen voran Tarik, besitzen durchaus Tiefe und Komplexität. Die Sprache ist zupackend, hart, und Pilz treibt seinen Plot ohne Umschweife voran. Das ist stimmig und überzeugend. An die Grenzen - auch an seine sprachlichen - gerät der Autor allerdings, wenn er Tarik von seiner Nteba schwärmen lässt. Diese Passagen wirken zunehmend redundant und verkitscht, Nteba bleibt schemenhaft.

Wirklich zu berühren vermag Pilz, wenn er von dem fußballbegeisterten Zigeunerjungen Fonso erzählt, der schon wie ein großer Gangster spricht und trotz sichtbar fehlenden Ballgefühls Tariks Herz berührt. „Der Junge zieht aufgeregt seine Schuhe aus, markiert damit ein Tor, ich mache dasselbe, wir spielen beide barfuß auf dem immer noch warmen Asphalt.“ Über Fonso lernt Tarik dessen Cousin Ibo, den „schwarzen Teufel“ kennen, der es als Straßengangster zu einer gewissen Berühmtheit geschafft hat. Ibo ist ein stolzer Roma, der ein klares Ziel verfolgt: Stärker, klüger und schneller zu sein, als die anderen. „Wenn einer Scheißzigeuner zu mir sagt, dann setzt mich das unter Strom, dann gehe ich raus und will es dem Typen zeigen.“

Tarik und Ibo werden so etwas wie Freunde. Sie verbindet eine schwierige Herkunft, aber auch ein bewundernswertes Durchhaltevermögen. „Je härter sie dich schlagen, desto stolzer darfst du sein, wenn du die Schläge einsteckst und doch nicht aufgibst.“

Nach diversen Drogendelikten und einem unglücklichen Raubüberfall, bei dem eine alte Frau verletzt wurde, hat Tarik drei Jahre auf Bewährung bekommen. Als der von seinen Gegnern und seinen Fans gleichermaßen gefürchtete, ehemalige Kripobeamte Beer Wind davon bekommt, dass sich in Babas Wohnung ein gestohlener Flachbild-Fernseher befindet, stellt er Tarik vor die Entscheidung: Gefängnis oder Auftrag. Tarik soll sich in der Moschee des Derwisch etwas genauer umsehen.

Nicht schocken, sondern wachrütteln


Dort erhält Tarik auffallend schnell Audienz bei Abdelkader Al-Anbari, und es wird ihm eines klar: „Der Hassprediger macht aus diesen jungen Männern, macht aus den Verlierern und Gedemütigten Herrenmenschen. Er schwört sie ein auf das, was sie hören wollen: Fick die Judafisten, fick die Amis, die Zigeuner und die Christen, die nur mehr Götzen verehren, die Schlampen ohne Kopftuch und Schleier, fick die liberalen Moslems, die es sich gemütlich gemacht haben im Westen, ihren Glauben verraten haben.“

Er wolle nicht schocken, sondern wachrütteln, sagt André Pilz, und er macht dabei vor kaum einer Schmerzgrenze halt. Der Sog, den er (mit Ausnahme eines schwächelnden Mittelteils im Zug) erzeugt, ergibt sich aufgrund des sorgfältig recherchierten und glaubwürdig vermittelten Milieus, der mit viel Liebe und Leidenschaft gezeichneten Figuren, sowie einem ausgeprägten Talent für Spannungsaufbau und Dramaturgie.

In seinem Blog www.liebeundgewalt.blogspot.com findet Pilz deutliche Worte zu IS und Al Quaida, äußert Kritik am deutschen Verfassungsschutz und zeigt wenig Verständnis für die - wie er sagt - „demonstrative Gelassenheit“ angesichts der Terroranschläge.

In seinem Roman entpuppt sich der Plan des Derwisch als ein ganz großer. Tarik und Ibo haben ein Datum entschlüsselt: 12.07.1995. Es ist der Tag des Massakers von Srebrenica. „Und es sind nur noch etwas mehr als zwei Wochen bis dahin.“

Das ist keine Literatur, die im Elfenbeinturm, sondern mitten unter uns angesiedelt ist.

 

André Pilz, Der anatolische Panther, 540 Seiten,€ 12,95, ISBN 978 3 7099 78610, Haymon Verlag, 2016