aktionstheater ensemble: „Wir haben versagt“ (Foto: Stefan Hauer)
Ariane Grabher · 27. Nov 2016 · Literatur

Die Verbeugung des Fotografen vor der Landschaft: Mit "Zeitraum Örfla" stellt der Vorarlberger Gestalter und Fotograf René Dalpra sein erstes Buch vor

Es war 2004, als der Fotograf, Typograf und Buchgestalter René Dalpra anlässlich einer Ausstellung von s/w-Fotografien der Örflaschlucht in der Götzner Galerie Kurzemann das Erscheinen eines Buches ankündigte. Doch manchmal braucht gut Ding halt wirklich Weile, der Broterwerb geht vor und das Eigene wird hintenan gestellt. Aber manchmal lohnt sich das Warten. Und manchmal brauchen Dinge ihre Zeit. Auch dahingehend könnte man den Titel des ersten Buches von René Dalpra (geboren 1967 in Bregenz) lesen, das "Zeitraum Örfla" heißt und im Jänner 2017 im renommierten Salzburger Otto Müller Verlag, der sich unter anderem mit der Reihe „Edition Fotohof im Otto Müller Verlag“ als Plattform für künstlerische Fotografie etabliert hat, erscheinen wird.

Der überaus edel gestaltete und produzierte Band, in dem kein Text (liegt als Extra-Heft bei) die Bildfolge unterbricht, liegt nicht nur gut in der Hand, er überzeugt als Augen- und Seelenschmaus gleichermaßen. Die genau 49 Fotografien im Buch (die Zahl 49 stand für René Dalpra von Anfang an fest als Quadratzahl aus der magischen Zahl 7) sind eine präzise Auswahl aus rund 1500 Aufnahmen. Aufgenommen mit einer zweiäugigen Rolleiflex Mittelformatkamera aus den 1960ern, stellen sie die Essenz aus den fast zwanzig Jahren dar, in denen René Dalpra bereits in der Örfla-Region unterwegs ist - in allen Jahreszeiten, zu allen Tageszeiten und bei jeder Witterung. Eiszeitlich geschliffene Gesteinsformationen, Bachläufe und Wasserfälle, wo einst die Ur-Ill geflossen ist, dichtes Unterholz, umgestürzte Bäume, schroffe Felsen, Wiesen und Lichtungen, deren Konturen sich unter einer weichen Schneedecke auflösen, ein Schattenwurf in Herzform, Schnee, der sich in einer mächtigen Wolke wie ein weißer Waldgeist von den Ästen entlädt, kahle Bäume, die eine grafische Struktur abgeben, oder Grashalme, deren Spitzen gerade noch aus dem winterlichen Weiß herausragen - all diese Eindrücke stehen für die sich in permanentem Wechsel befindliche Erscheinungsvielfalt des kleinen Waldtals, das sich im Lauf des Emmebachs, der vom Kapf Richtung Götzis fließt, wie ein Stück unberührte, unbeteiligte Natur einfach querzustellen scheint. Unzählige Male hat René Dalpra die Gegend durchwandert. Mit dabei immer seine Kamera. Nie, so erzählt der Fotograf, gehe er mit dem Vorsatz los, heute ein Bild machen zu wollen. Vielmehr lasse er sich absichtslos treiben. Entgegen der Schnelligkeit und der Menge, mit der Bilder im digitalen Zeitalter entstehen, arbeitet die „alte“ Rolleiflex-Kamera mit nur einer Optik, und demzufolge einer fixen Brennweite, beinahe anachronistisch. Das heißt bei der sorgfältigen Wahl des Standortes oder des Blickwinkels: näher hin oder weiter weg vom Objekt statt zoomen. Das erfordert Konzentration und Reduktion in einer völlig anderen Form der Annäherung, eine Präsenz vor dem Motiv, die René Dalpra bis heute fasziniert, denn die klassisch quadratischen Formate werden weder nachbearbeitet noch beschnitten. Das Bild steht und entsteht im Moment des Auslösens, unverrückbar und über den Augenblick hinaus. Dass der Fotograf den Apparat nicht vor dem Gesicht hält, sondern von oben in den Lichtschacht der Kamera blickt und dabei den Kopf nach unten beugt, kommt für Dalpra fast einer Verbeugung vor dem Objekt gleich, wie das Ganze auch etwas Meditatives hat.

Die Schönheit im Gewöhnlichen

Kein schnelles Abknipsen, sondern eine innere Fokussierung, eine stille Poesie, eine Wahrnehmung von Schönheit, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt, die in den Fotos aber spürbar wird. „Das Foto ist ein schmaler Ausschnitt von Raum ebenso wie von Zeit“, wird Susan Sontag im Textbeitrag von Eva König, der „Von der Schönheit des Gewöhnlichen“ handelt, zitiert. Diese Schönheit des Gewöhnlichen, die Entdeckung des Besonderen im scheinbar Gleichen, liegt auch anderen Werkserien von René Dalpra, die sich beispielsweise mit Olivenbäumen, Weinreben oder Wasserfällen befassen, zugrunde. Schon in Jugendjahren für die Fotografie interessiert, setzt er sich seit Mitte der 1990er Jahre intensiv mit dem Medium auseinander. Nicht nur Fotograf hinter bzw. über der Kamera, reicht die Leidenschaft für die Fotokunst als gut informierter Sammler, der das Schaffen seiner Zeitgenossen und Kollegen mit viel Interesse und Kenntnis der Materie verfolgt, weit über das eigene Werk hinaus.

Der Zugang des Künstlers zu seinem Lieblingsmotiv, der Örflaschlucht, ist über die Jahre, trotz des langen Zeitraumes, der die Ernsthaftigkeit und die Wichtigkeit der Beschäftigung belegt, ein ähnlicher geblieben. Immer schon ein aufmerksamer Beobachter, immer noch und stets wieder aufs Neue zutiefst berührt von der Natur, hat sich der Blick in der Vergangenheit vielleicht noch mehr geschärft, die Wahrnehmung sich noch mehr verfeinert, sodass aus der Wiederholung eine Vertiefung und Verdichtung entstehen konnte. Viele Bilder hat René Dalpra bereits gemacht in den letzten Jahren. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch noch Bilder, die der Fotograf schon im Kopf hat, und die er gerne irgendwann machen möchte, wie jenes von einem Vogelschwarm über der Örfla. Nicht geschönt, nicht romantisierend und schon gar nicht heroisch. Einfach da sein, in genau dem einen Moment, und die Stimmung erfassen. René Dalpras Aufnahmen spiegeln seine Verbundenheit mit der Landschaft und sind eine Hommage an das Kleinod Örfla, haben zugleich aber auch etwas Allgemeingültiges, etwas die Zeit und den Ort Überdauerndes. Menschenentleert und von einer Stille, die man zu hören glaubt. 


René Dalpra, Zeitraum Örfla, 104 Seiten, 49 Fotografien, ISBN 978-3-7013-1252-8, Otto Müller Verlag, 2016, € 49
Buchpräsentation: 1.12.2016, 20 Uhr


Ausstellung: 2.12.: 16 – 19 Uhr

3.12.: 10 -17 Uhr
anschl. bis Jahresende nach tel. Vereinbarung: 0660 924 5901
Zeughaus Götzis, Zollwehr 2