„Memory“ - neu in den Vorarlberger Kinos (Foto: Teorema)
Markus Barnay · 08. Feb 2022 · Literatur

Der vergessene Ingenieur

Als der Autokonstrukteur Ferdinand Porsche 1938 in Stuttgart-Zuffenhausen einen Prototypen seines „Volkswagens“, damals noch – nach der nationalsozialistischen Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ – KdF-Wagen genannt, präsentierte, saß im schweizerischen Tessin ein 60-jähriger Ingenieur und ärgerte sich. Hans (Gianni) Varrone war nämlich der Meinung, dass eigentlich er den ersten „Volkswagen“ geschaffen hatte – und zwar mindestens 15 Jahre früher.

„Vorarlberger Erzeugnis“

Tatsächlich hatte Varrone in den Jahren 1923/24 ein Auto konstruiert, das er in Zeitungsanzeigen so bewarb: „Das Auto für den Geschäftsmann! Dreisitzig, 1 ½ Steuerpferde, 300 Kilogramm schwer“. Zusatz: „Vorarlberger Erzeugnis“. Varrone hatte nämlich in Hard am Bodensee eine Maschinen- und Fahrzeug-Fabrik gegründet, in der das von ihm entwickelte „VAR-Auto“ in möglichst großer Stückzahl gebaut werden sollte.
Doch während sich Porsche, der 1934 seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft gegen die deutsche eingetauscht und 1937 der NSDAP beigetreten war, der Protektion von Adolf Hitler und der Unterstützung der NS-Organisationen erfreuen durfte (und seinen „Volkswagen“ wegen des Kriegsbeginns im September 1939 dann doch erst nach 1945 in großer Zahl auf den Markt bringen konnte), hatte Varrone vor allem mit Pech und Pannen zu kämpfen, wie man im kürzlich vom Hörbranzer Gemeindearchivar herausgegebenen Buch „Varrone. Porsches vergessener Ingenieur“ nachlesen kann.

Selbstgebaute Seifenkiste

Varrones VAR-Auto, dessen Karosserie aus Gewichts- und Kostengründen aus Pressspan bestand (und ein bisschen aussah wie eine selbstgebaute Seifenkiste mit Dach), sollte zunächst mit Daimler-Motoren ausgestattet werden, doch die waren bereits verkauft. Ein von den Bregenzer Motorradproduzenten Ziehaus gebauter Motor erwies sich als „nicht verwendbar“, und als Varrone endlich einen passenden Motor gefunden hatte, mangelte es an Geldgebern, die ihm die Produktion der Autos finanziert hätten. „Niedergeschlagen kehrte er nach Hard zurück, denn ohne Geld hieß es, seine Pläne zu begraben“, war das Fazit in einem späteren Zeitungsbericht, den Varrone vermutlich selbst verfasst hatte.
Dabei war der in Wien geborene Varrone eigentlich ein ausgewiesener „Automobil“-Spezialist: Nach einem Studium an der Technischen Hochschule in Wien arbeitete er ab 1901 in verschiedenen Firmen, die sich mit dem Bau von Automobilen beschäftigten, unter anderem in den Daimler-Werken in Wiener Neustadt, wo sein Vorgesetzter Ferdinand Porsche hieß. Dort bezog Varrone ein sattes Gehalt, bewohnte eine vornehme Villa und war mit der Familie Porsche gut befreundet

„Ein Dilettant namens Plunder“

Nach mehreren Zwischenstationen zwischen Wien und Slowenien übersiedelte Varrone schließlich nach Hard, um dort die Bodensee-Werft zu leiten, die, so Varrone, „von einem Vorarlberger Dilettanten namens Plunder“ gegründet und von Ferdinand Porsche durch die Übernahme der halben Gesellschaft aus finanziellen Schwierigkeiten gerettet worden war. Doch schon nach neun Monaten in Hard wurde Varrone von den Gesellschaftern des „ungesunden Unternehmens“ fristlos gekündigt – mit der Folge eines jahrelangen Rechtsstreits, den er schließlich gewann, ohne wirklich entschädigt zu werden.
Von nun an trennten sich die Wege von Varrone und Porsche: Letzterer zog nach Stuttgart, wo er zunächst bei Daimler und dann in einem eigenen Konstruktionsbüro arbeitete und schließlich vom NS-Regime hofiert wurde, Varrone zog sich nach dem Scheitern seines Auto-Projektes zurück in die Heimat seiner Vorfahren, wo er – nunmehr als Gianni – noch in diversen Berufen tätig war, ehe er seine Lebensgeschichte niederschrieb und dann 94-jährig verstarb.
Eines der drei Kinder von Varrone war übrigens in Vorarlberg geblieben: Der 1903 geborene Kurt war ein begeisterter Segelflieger, der während der NS-Zeit in das Nationalsozialistische Fliegerkorps eingetreten war, was ihm beträchtliche Probleme mit seinem Schweizer Pass einbrachte (er war deutsch-schweizerischer Doppelstaatsbürger). Schließlich durfte er aber wieder in die Schweiz einreisen und seine Arbeit bei der Basler Chemiefirma CIBA wieder aufnehmen. In Vorarlberg war seine NS-Vergangenheit nie mehr Thema. Der 1989 in Dornbirn verstorbene Varrone erhielt stattdessen 1974 das „Ehrenzeichen für Verdienste um den Vorarlberger Sport in Silber“. Seinen Nachkommen ist zu verdanken, dass Willi Rupp auf Hans Varrones Memoiren und einen reichhaltigen Schatz an Fotografien zurückgreifen konnte, die er durch umfangreiche Zitate aus Zeitungen und anderen Quellen ergänzte.

Willi Rupp: VARRONE. Porsches vergessener Ingenieur.
Ein österreichisch-schweizerisches Erfinder- und Familienschicksal.
384 Seiten mit 318 großteils farbigen Abb., Verlag Weishaupt Gnas,
ISBN 9783705905412, € 34

Willi Rupp erzählt vom Schicksal des Gianno Varrone in Freitags um 5", dem Dialog über Geschichte im vorarlberg museum, am 25.2. um 17.00 Uhr.
www.vorarlbergmuseum.at