Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Anita Grüneis · 11. Jun 2019 · Literatur

Der Vagabund wird sesshaft - Das Liechtensteiner Literaturhaus erhält ein eigenes Domizil

Noch wird an der Poststraße Nr. 27 gehämmert und gebohrt, Leitungen warten auf ihre Anschlüsse und die Betonwände sind nackt. Doch bei einem Rundgang wird rasch klar, dass sich hier ein ganz besonderes Kulturzentrum in der Schaaner Gemeinde entwickelt: Literatur, Film und Fotografie präsentieren sich dort ab Juni gemeinsam. Damit bekommt nicht nur der ewige Vagabund, das Literaturhaus Liechtenstein, seit seinem 18-jährigen Bestehen ein festes Zuhause. Auch der Filmclub mit seinen beiden Spielstätten TaKino und Schlosskino Balzers, das Antiquariat von Hansjörg Quaderer und die engagierte Buchhändlerin Bernadette Kubik-Risch erhalten hier ein neues Domizil. Am 14. Juni wird das neue Literaturhaus eröffnet, am Tag danach findet dort ein Lesefest mit 20 AutorInnen statt.

Ein neues kulturelles Zentrum in Schaan

Die Idee dazu hatte Markus Wille, der seine beiden Kinos mit großer Begeisterung aber ebenso großen finanziellen Mühen in der neuen Überbauung Poststraße unterbrachte. Da in diesem Gebäude ein 62 m2 großer Raum noch nicht verplant war, fragte er bei Hansjörg Quaderer an. Der Künstler und Literat HJ Quaderer organisiert seit 18 Jahren gemeinsam mit Mathias Ospelt die Liechtensteiner Literaturtage. Auch sie hatten kein festes Zuhause. Ein Gespräch mit Roman Banzer, dem Präsidenten des Liechtensteiner Literaturhauses, machte dann rasch klar, dass dies eine einmalige Gelegenheit war, um allen literarischen Vagabunden ein Zuhause zu geben.

Von der Gemeinde unterstützt

Die Gemeinde Schaan mit ihren rund 6.000 Einwohnern lässt sich das Ganze auch etwas kosten, so wird sie das Literaturhaus drei Jahre lang jedes Jahr mit 25.000 Franken unterstützen, das Kino erhielt einmalig 79.600 für die Bestuhlung der zwei Kinosäle. Der Kinobetrieb mit einer Bar und die Aktivitäten des Literaturhauses Liechtenstein, eine Buchhandlung und ein Antiquariat sowie ein Literaturcafé und Lesesaal werden den kulturellen Alltag im Zentrum von Schaan bereichern. Damit ist ein neuer Ort der Begegnung und des Austauschs entstanden.   

Große Eröffnung mit kritischem Geist

Zur offiziellen Eröffnung am 14. Juni wird die Kulturministerin Aurelia Frick anwesend sein wie auch der Schaaner Vorsteher Daniel Hilti. Zudem wird der Literaturkritiker Stefan Zweifel über die „Dringlichkeit der Literatur“ sprechen. Der 52-jährige Schweizer Journalist und Literaturwissenschaftler schrieb bereits im letzten Jahrbuch einen spannenden Beitrag zu diesem Thema. Stefan Zweifel hat zahlreiche Werke französischer Schriftsteller neu übersetzt. Im Tagesanzeiger schrieb Stefan Zweifel in einem Artikel über Roland Barthes auch über das Lesen an sich: „Wenn wir lesen, dann wollen wir aus dem Kerker unseres gepanzerten Ichs hinaus. Das geschieht immer dann, wenn uns ein Satz ins Auge fällt, der uns verunsichert. Wir können ihn mit all unserem Wissen, mit dem ganzen Gepäck unseres ‚Studiums‘ nicht erklären. Er wendet sich an uns, bringt unsere Fantasien und Fantasmen ins Spiel.“

Jeden Freitag ist Literaturtag

Mit diesem Festredner weist das Literaturhaus einen neuen Weg im neuen Domizil. „Vom Herbst an ist das Literaturhaus ein Treffpunkt für Kulturinteressierte, ob Lesung, Kino oder einfach an der Bar über neue Trends reden, all das ist nun möglich“, meint Roman Banzer, Präsident des Liechtensteiner Literaturhauses. So sieht das Freitags-Programm Lesungen vor mit Autoren wie Fritz Senn, Michail Schischkin, Susanne Lange, Klaus Merz, Arno Camenisch, Ruth Schweikert, Peter von Matt, Leo Tuor, Zsusanna Gahse und Clemens J. Setz.

Neues und Bewährtes

Daneben gibt es natürlich noch weitere Projekte, wie die Fortsetzungsreihe „BaschiPromiBuch“. Dabei befragt der Künstler und Filmregisseur Sebastian Frommelt jeweils einen Promi zu seinem/ihrem Leseverhalten. Gestartet wird am 23. August mit der Kulturministerin Aurelia Frick. Sieben Tage später, am 30. August wird das „Urgestein“ des Literaturhauses, Iren Nigg, aus ihren Prosatexten lesen. Titel des Abends: „Von Herz zu Herzen soll es gehen“. Dabei wird die Autorin Texte aus ihren unveröffentlichten Manuskripten vorstellen. Iren Nigg eröffnete im Jahr 2003 das erste kurzzeitige Zuhause des Literaturhauses in der alten Weberei Triesen. 

Liechtenstein erzählen – die Aufbrüche

Am Sonntag, den 1. September wird im Literaturhaus der zweite Band der Reihe „Liechtenstein erzählen“ präsentiert. Dabei geht es um „Aufbrüche“ in Musik, Kunst, Gesellschaft, Architektur und Literatur in den Jahren 1964 bis 1974 in Liechtenstein. Roman Banzer, Hansjörg Quaderer und Roy Sommer befragten „Überzeugungstäter/-innen“, die das „Zittern in der Provinz, die emanzipativen Kräfte auf dem Lande und in den Gemeinden im Ringen um ein kulturelles Selbstverständnis“ aufzeigen. Dabei fallen Schlaglichter auf Beatbands, Theatergründungen, Künstlerleben, moderne Architekturen und andere merkwürdige, zeitgeschichtlich aufschlussreiche Ereignisse. Der erste Band dieser Reihe wurde übrigens unter dem Titel „Demokratische Momente“ an der Universität Liechtenstein sehr eindrücklich von Architekturstudierenden, dem Schauspieler Ingo Ospelt und der Regisseurin Eveline Ratering in Szene gesetzt. Ob dies auch mit dem zweiten Band geschehen wird, ist noch offen.

Kooperationen im Bodenseeraum

Auch Kooperationen im Bodenseeraum werden weiterverfolgt, diesbezüglich hat Roman Banzer bereits konkrete Ideen: „Geplant ist eine Life Writing Academy Bodensee. Dabei geht es darum, Menschen auszubilden, die dann anderen, die in prekären Lebenssituationen stecken, weiterhelfen können. Dabei kann Schreiben zu einem Werkzeug des Erinnerns werden, es kann Türen der Erinnerung öffnen und so dazu beitragen, dass sich Menschen wieder sich selbst bewusst werden.“ Daran wollen neben Roman Banzer mitarbeiten: Hansjörg Quaderer, Literaturtage Liechtenstein; Jürgen Thaler, Ingrid Fürhapter, Felder Archiv; Albert Kümmel, Uni Konstanz; Wolfgang Mörth, Literatur Vorarlberg und Jan Söffner, Zeppelin Universität Friedrichshafen. 

Die Jahrbücher

Ein wichtiger Stützpfeiler des Literaturhauses ist das Jahrbuch. Inzwischen gibt es zwölf Ausgaben, jede behandelt ein anderes Thema. Das letzte Jahrbuch hinterfragte, warum Literatur dringlich ist, warum der Mensch schreibt und liest. Herausgekommen ist ein Er- und Begründungs-Panoptikum. Das neue Jahrbuch ist unter dem Titel „Der aufrechte Gang“ dem Rechtsanwalt und Politiker Peter Sprenger gewidmet, der 2018 mit 64 Jahren auf tragische Weise in den Bergen zu Tode kam. Er war ein starker Kämpfer für die Rechte des Volkes, zudem ein Freund und Mäzen des Literaturhauses. 

Lesefest mit Liechtensteiner AutorInnen zur Eröffnung des Literaturhauses Schaan
Sa, 15.6., 11 Uhr, Lesungen im Viertelstundentakt
www.literaturhaus.li