Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Ingrid Bertel · 17. Feb 2022 · Literatur

„Der Mensch versteht es nicht."

Fast einen Roman ergeben die drei langen, ineinander verflochtenen Erzählungen in Christian Futschers neuem Buch. „Statt einer Mütze trug ich eine Wolke“ blickt ohne Wehmut auf eine wilde Jugend zurück.

Eigentlich ist es zum Heulen: Seit Jahrzehnten versorgt Christian Futscher uns Leser:innen mit blitzenden Ideen, beschwingten Sprachspielen, Fröhlichkeit und grundehrlichen Szenen aus dem österreichischen Alltag – aber ein Bestseller ist aus keinem seiner Bücher geworden. Liegt es daran, dass der Literaturmarkt auch nicht anders funktioniert als der für Fashion oder Billigmöbel? Jedenfalls hat es schwer, wer aus der Reihe tanzt, und Christian Futscher tanzt mit Hingabe.
Carlo widmet er sein neues Buch, und Carlo ist einer aus der Jugendclique rund um Schnuffi, der so heißt, weil er gerne an Menschen schnuppert. Die andern sind Erwin, Ernesto, Cowboy-Joe, Porno-Paul und Huscherl. Sie machen das, was herangewachsene Buben so machen: mit dem Auto über Bananen fahren, mit rohen Eiern schmeißen, sich mit selbstverständlicher Arroganz über all die Schnarchnasen lustig machen, die zu blöd für Schnapsideen sind. Dazu viele Biere trinken und alles, was die Popgeschichte hergibt, auch selbst klampfen. Deshalb finden sich zahllose Songzeilen verstreut über das ganze Buch, und manchmal ergibt sich daraus auch ein Kalauer: „Rust never sleeps, sang Neil Young, er meinte damit nicht die burgenländische Gemeinde.“

 „Ich mache aus der Not eine Jugend.“

Wer „Tristram Shandy“ für das ultimative Hauptwerk der Abschweifungen hält, kennt Christian Futscher nicht. Die Tunesien-Reise zum Beispiel, der die erste der drei Erzählungen („Das Lied“) gewidmet ist, lässt lange auf sich warten, und als Futscher dann doch von diesem Katastrophen-Urlaub erzählt, erledigt er das in ein paar Zeilen: „Wir sahen Ruinen, Berber-Höhlen, Suks, wir stapften hierhin und dorthin, die Orte hießen Tunis, Sousse, Karthago, Sfax, Kairouan. Ich hasste die Ahhhs und Ohhhs der Reisegruppenmitglieder, die Witze auf dem Niveau von: Hätt ich jetzt gern ein Schnitzel und Wenn die kan Almdudler ham, geh’i wieder ham!
Schnuffis Bruch mit Freundin Lisa ist damit auch besiegelt. Lisa nämlich findet die Reise wunderbar. Noch schlimmer: Lisa findet auch André Heller wunderbar. Das geht einfach nicht. „Ich hielt Hellers Pathos nicht aus, wenn er von ,Phantasie‘ sprach, stellte es mir die Haare auf, wenn er das Wort ,Poesie‘ aussprach, bekam ich Brechreiz, und hätte ich ihm länger zuhören müssen, hätte ich einen Hautausschlag bekommen, wenn nicht Schlimmeres, da war ich mir sicher.“

Der Banden-Chef

Noch ein Ergebnis zeitigt die Tunesien-Reise, nämlich den Abgang von Walter Grosser, einem kleinen Dieb und Dealer. Er hat, ebenso wie Schnuffi, ein Zimmer bei Carlos Mutter gemietet. Die Dame mag nämlich nicht allein in ihrem großen Haus sein und vermietet deshalb immer wieder an Studenten. Walter Grosser ist ihr ein bisschen suspekt, und als er bei seinem letzten Job als Kellner gekündigt wird, weil er sich in der Kasse vergriffen hat, schmeißt sie ihn raus.
Es gibt aber auch einen Fußballer namens Walter Grosser. Der macht in den USA Karriere, und als er auf Österreich-Besuch weilt, löst eine Schlagzeile Panik bei Carlos Mutter aus: „Die Schlagzeile lautete: Bandenchef Walter Grosser in Österreich erwartet.“ Will Walter Grosser sich für den Rausschmiss rächen? Hat er Carlo entführt?  Plant er, Carlos Mutter zu erpressen? Die hat in ihrer Aufgelöstheit nicht beachtet, dass die Schlagzeile auf der Sportseite stand. Schnuffi kommentiert mit klarem Verstand: „Beim Hallenfußball darf der Ball die Bande berühren, der Spieler kann den Ball an die Bande schießen … Wer das Spiel über die Bande gut beherrscht, kann als Banden-Chef bezeichnet werden.“
Fußball, Popsongs und Literatur waren immer schon das wichtigste in Futschers Erzählungen. Und was die Musik angeht, hat er klare Vorstellungen, beweisbar am Schicksal der einstigen Freunde. Einen von ihnen, nämlich Cowboy-Joe, trifft er Jahrzehnte später wieder. Da spielt er, in einer Fußgänger-Zone auf dem Boden sitzend, und es ist Schnuffi sonnenklar, was ihn in diese erbärmliche Lage gebracht hat: „Die Liebe zur Country Music hat schon viele ins Verderben gestürzt.“
Futscher blickt zurück, bisweilen mit bemerkenswerter Kälte, immer mit bestechender Klarheit und ohne jede Wehmut. Schließlich behält Schnuffi ein Leben lang seine verspielte Persönlichkeit. „Immer schon habe ich gern gelogen, das Lügen versetzte mich manchmal in einen rauschhaften Zustand. Meine Phantasie sprudelte, ich wunderte mich oft selber, was mir alles einfiel. Und auch darüber, dass mir geglaubt wurde.“

Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden

Zu den Büchern, die Christian Futscher diesmal lobt und preist, gehört Boris Vians „Der Schaum der Tage“. Weil das Buch so jung und fantasievoll ist wie Schnuffi selbst. Weil es ihn zu Bildern inspiriert wie dem titelgebenden „Statt einer Mütze trug ich eine Wolke“. Weil er mit Erwin darüber nächtelang reden kann. „Es war die Zeit, als ich noch unangekündigte Besuche bekam – untertags, aber auch mitten in der Nacht. Es war die Zeit, als ich mir in einem Gastgarten spontan ein Bier über den Kopf leeren konnte, nachdem ich kurz zuvor einen Dackel beschimpft hatte.“
Um die Figur von Erwin zu zeichnen, braucht Futscher nicht mehr als die paar präzisen Striche eines Karikaturisten: „Er war lang und dünn, ganzkörperlich stocksteif, oft mit ausgestrecktem Zeigefinger, Brille, dahinter listige Äuglein, den Mund oft zu einem ironischen Schmunzeln verzogen.“
In der zweiten Erzählung („Der Schaum“) schließt Schnuffi sein Studium ab, heiratet, wird Lehrer und Vater von zwei Kindern. Ein Dauerzustand kann das nicht sein. Schließlich wollte Schnuffi nie „ein Mann ohne Schmutz und Tadel“ werden. Er erinnert sich an einen alten Mann, der ihm mit einem einzigen Satz Klarheit verschafft hat. Der Satz lautet: Der Mensch versteht es nicht. Und Christian Futscher, kurz und klar wie immer: „Der Satz brachte alles auf den Punkt, er passte immer.“
Was für ein perfektes Resümee für ein Buch, von dem man mit Christian Futscher sagen möchte, „der Text passt wie die Hand aufs Herz.“

Christian Futscher: „Statt einer Mütze trug ich eine Wolke“, Czernin Verlag 2022, 176 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-7076-0756-7, € 20

Lesung Christian Futscher: „Statt einer Mütze trug ich eine Wolke“
Mi, 6.4., 19.30 Uhr
Theater am Saumarkt, Feldkirch