Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Annette Raschner · 13. Mär 2013 · Literatur

Das Politische im Privaten aufspüren – Nadine Kegeles Debut „Annalieder“

Sie stammt aus Bludenz, ist vor fünfzehn Jahren – wie sie schreibt – nach Wien geflüchtet und zurzeit gerade dabei, ihre Diplomarbeit zur Positionierung des „Weiblichen“ im Neoliberalismus anhand Marlene Streeruwitz´ Roman „Kreuzungen“ zu beenden. Als Autorin war Nadine Kegele bislang lediglich Insidern ein Begriff; Veröffentlichungen ihrer Texte gab es in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien. Das sollte sich nun aber ändern! Unter dem Titel „Annalieder“ ist jetzt im Wiener Czernin Verlag ihr erstes Buch, ein Band mit zwölf Erzählungen, erschienen.

Doppelter Boden


Einen doppelten Boden haben sie alle, die Kurzgeschichten von Nadine Kegele, auch wenn sie meist ganz harmlos anheben. „Plastiktüten waren knitterfrei oder alt, manchmal prall gefüllt.“ Der Schein trügt. Was leichtfüßig daherkommt, ist akribisch komponiert und lässt sich nicht sogleich dechiffrieren.

Da taucht etwa in der Erzählung „Hinter Papa“ ein Konrad auf. Doch wer bitte ist Konrad? Ein Mann? Ein Kind? Erst einige Absätze weiter wird klar, dass es sich um ein Tier handelt, doch um was für ein Tier? Der ersten Beschreibung nach um eine Katze. Nein, es ist ein Hund oder besser gesagt es war ein Hund, denn er ist gestorben.

Nadine Kegele gibt ihre Erzählungen erst nach und nach frei. Es scheint ihr diebischen Spaß zu machen, Verwirrung zu stiften und falsche Fährten zu legen. So einfach will sie es schließlich ihren Lesern nicht machen! Und siehe da: Plötzlich entpuppt sich ein vordergründig schlichter Text als existenzielle Kurzerzählung über so große Themen wie Betrug, Scham und Schuld. „Wenn sie sie ansah, musste sie daran denken, dass sie es ihr sagen würde, wenn sie aufwachte, und dass sie nicht wusste, wie das zu sagen war.“

Erraten, eine Dreiecksgeschichte also! Doch nicht den Männern gilt Nadine Kegeles literarisches Interesse. Alle Geschichten sind jeweils aus der Perspektive einer weiblichen Figur erzählt. Jede der zwölf Erzählungen ist eine Art Moritat: ein Gesang auf eine Heldin, die stets jung, kinderlos und entweder bereits oder bald alleinstehend ist. „Was sie hat, ist eine Garconnière, klein und überteuert, einen Blick auf die barock geschnittene Allee des Städtischen Parks und die Aussicht darauf, dass er sich doch noch für sie entscheiden wird.“

In dieser Erzählung mit dem Titel „Nie einen Rosengarten“ ist Nadine Kegeles „Heldin“ arbeitslos, einsam, arm, ungebildet und depressiv. Mit dem geliebten Erbstück, einem Kontrabass auf dem Rücken, geht sie in ihrem von Motten zerfressenen Wintermantel spazieren. Im Rosengarten erinnert sie sich daran, wie ER SIE de facto abserviert hat.

Tragische Geschichten wie diese: Nadine Kegele würzt sie gerne mit Sarkasmus. „Das scharfe heiße Wasser rinnt ihren Gaumen hinab und wärmt sie von innen, was praktisch ist, weil von außen wird sie von gar nichts gewärmt, da die Heizung Geld kostet, das sie nicht hat.“

Sympathie für weibliche Randfiguren


Dass Nadine Kegele, die im zweiten Bildungsweg Germanistik, Theaterwissenschaften und Gender Studies studiert und sich ihr Studium unter anderem als Sekretärin finanziert hat, eine Sympathie für weibliche Randfiguren empfindet, ist klar erkennbar. Diese Frauen haben es nicht leicht im Leben, ihnen wurde nichts geschenkt, doch Nadine Kegele schenkt ihnen eine Chance. „Sie hatte eine Frau aufs Papier gemalt, die sich das nicht hätte sagen lassen, die stattdessen gesagt hatte, dass alles möglich sei, wenn das Frausein in hundert Jahren aufgehört habe, eine beschützte Tätigkeit zu sein. Die hundert Jahre waren jetzt.“

Nadine Kegele erzählt Lebensgeschichten, die eigentlich zum Heulen sind, erfrischend frech, erfrischend lakonisch, erfrischend anders. Sprachliche Aussparungen und Einschübe erzeugen den Eindruck, dass hier eine Autorin genau so schreibt wie sie auch denkt: Schnell, scharf, unkonventionell und manchmal auch wunderbar poetisch! „Sie bestellte Milchkaffee, weil das schöner klang, doch die Verkäuferin mit dem Malerhütchen auf dem Kopf hatte bloß Caffé Latte, also bestellte sie Caffé Latte, das Hütchen war mit Haarklammern befestigt, wie eine Kippa, dachte sie.“

Ein bemerkenswertes Debüt!

 

Nadine Kegele, Annalieder, 120 Seiten, Euro 17,90, ISBN 978-3-7076-0446-7, Czernin Verlag, Wien 2013