Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Annette Raschner · 31. Aug 2012 · Literatur

„Nur in der Erinnerung bleiben wir“ – Wolfgang Hermanns neues Buch

In seinem neuen Prosaband „Abschied ohne Ende“ erzählt der Vorarlberger Schriftsteller Wolfgang Hermann vom Verschwinden der Zeit an einem Wintermorgen. Es ist jener Morgen, an dem der Ich-Erzähler seinen Sohn Fabius tot im Bett vorfindet. Das bei LangenMüller erschienene Buch hat Wolfgang Hermann seinem verstorbenen Sohn Florian gewidmet.

„So still war es nie im Haus. Ich schlug die Augen auf und wusste es. Aber es konnte ja nicht sein, es durfte nicht sein. Es war doch nur eine Grippe.“ Bereits im zweiten Kapitel, nach knappen drei Seiten, berichtet Wolfgang Hermann von „jenem Morgen“, an dem die Zeit verschwand. Genauso unvermittelt wie der Tod, der in Fabius noch so junges Leben tritt. „Ins helle Nichts fuhr ich hinauf, heraus aus diesem schwachen Körper, hinauf in höllenweißes ekelhaftes Nichts, das mich erstickte, ohne mich zu töten, das mich zu sich nahm, ohne mir das Mindeste zu lassen, nichts, nicht die Haut, die ich nicht mehr spürte, nicht meinen Körper, den ich verloren habe beim Blick in die toten Augen meines Sohnes.“ 17 Jahre ist Fabius alt, als er stirbt. Seit einem halben Jahr wohnt er bei seinem Vater in der Großstadt, der Ich-Erzähler war von Fabius Mutter Anna verlassen worden, als dieser noch nicht einmal ein Jahr alt war.

Angst als ständige Begleiterin

In kurzen Rückblicken, aus denen Selbstzweifel und die Trauer über Versäumtes sprechen, lässt Wolfgang Hermann die einst so große Liebe zu Anna Revue passieren. Beim Versuch, über die Gründe für das Nicht-Gelingen der Beziehung Klarheit zu gewinnen, richtet er sich eigentlich nicht an den Leser, sondern an den eigenen Sohn. „Ich habe bei der entscheidenden Weggabelung die falsche Abzweigung genommen. Ich wusste nicht, dass die Frau den Mann prüft. Sie sieht ihm zu, und wenn er zum wiederholten Mal nicht die Kraft hat, das Richtige zu tun, dann fällt sie ihre Entscheidung.“

Wie kann ein Mensch nach dem Tod seines Kindes weiter leben? Eine Antwort auf diese Frage spart Wolfgang Hermann aus. Auf die grenzenlose Lähmung des Ich-Erzählers folgt die Wut, auf die Wut wiederum die Erschöpfung, immer aber ist die Angst da – sie ist seit Fabius’ Tod die ständige Begleiterin des Icherzählers. „Der Tod hatte auch Macht über die Dinge. Sie verloren ihre Ränder, flossen konturlos aus dem Rahmen.“

Schonungslose Offenheit

Eine Herzattacke, die von den Ärzten als Tachycardie diagnostiziert wird, bringt den Ich-Erzähler selbst an die hauchdünne Schwelle, die Leben und Tod voneinander trennt. Doch noch hält ihn etwas – trotz aller Sehnsucht, Fabius nachzufolgen – am Leben. Doch was ist es? Vielleicht die noch stärker gewordene Verbindung zu Anna, ihr gemeinsamer Schmerz und ihre gemeinsamen Erinnerungen an den geliebten Sohn: an dessen leitmotivisch wiederholte Formel „Ach was!“, an dessen Gitarrenspiel zu seinem Lieblingssong aus Pat Methenys Album „Beyond the Missouri Sky“ und an die vielen Spaziergänge auf dem Kindheitsberg des Ich-Erzählers in der Provinz. „Es war, als drehte sich der Wald mit ihnen. Und der Mond folgte ihrer Spur, als wollte er sie nicht verlieren. Sie waren beide so nah am Atem des sanften Nachtwinds, der von den Hügeln talwärts strich.“

Wie rezensiert man ein Buch, das sich eigentlich jeglicher Kritik entzieht? Eines sei gesagt: Stilistisch schließt Wolfgang Hermann mit „Abschied ohne Ende“ an seine schönsten Bücher an. Dass das Thema erschüttert, liegt auf der Hand, doch die literarische Qualität wird durch das Vermeiden jeglicher Larmoyanz und durch schonungslose Offenheit gewährleistet.

 

Wolfgang Hermann, Abschied ohne Ende. 104 Seiten, 15,50 Euro. ISBN 978-3-7844-3291-5, LangenMüller Verlag, München 2012