Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Thorsten Bayer · 02. Mai 2011 · Kleinkunst, Kabarett

Helge Schneider hinterlässt beim Seelax-Festival gemischte Gefühle

Er ist und bleibt einer der kreativsten, wahnsinnigsten und multi-talentiertesten Künstler des deutschsprachigen Raumes. Im Kreis seiner sehr starken Begleitband fühlt sich Helge Schneider, die selbsternannte „singende Herrentorte“, unübersehbar wohl. Das ist auch an diesem Abend im Festpielhaus Bregenz nicht anders. Doch nach einem funkensprühenden Auftakt lässt er in der zweiten Hälfte des Programms „Buxe voll“ leider zu wünschen übrig, verliert sich in Beliebigkeit und Endlos-Songs.

Nein, auf die meisten seiner Künstler-Kollegen scheint Helge Schneider nicht sehr gut zu sprechen zu sein. Kaum einer, der bei seinen mal geistreichen, mal platten Scherzen ungeschoren davon kommt: Ob er Udo Lindenbergs Nuscheln parodiert, sich über die (überschaubare) Körperlänge von Peter Maffay oder Chris de Burgh lustig macht oder Michael Jackson mit einem unbeholfenen Moonwalk imitiert – das Publikum im fast ausverkauften Bregenzer Festspielhaus amüsiert sich prächtig. Solche Scherze auf Kosten von Dritten könnten bei anderen arrogant oder bösartig wirken. Helge Schneider hingegen kann sie sich so gut erlauben wie wohl kaum ein Zweiter. Seine eigene Position steht dabei außer Frage: Er, der so viele Facetten vereint, bewegt sich selbst jenseits der klassischen Rollen. Das macht ihn so unverwechselbar und auch so immun gegen (gute) Parodien anderer.

„Wir leben auch in albernen Zeiten“

Er erzählt von seinem Volkshochschulkurs „Backen ohne Mehl“, macht die derzeit schweren Zeiten am Tod des Berliner Eisbären Knut fest und bekennt angesichts von Songtiteln wie „Hast du eine Mutter, hast du immer Butter“ durchaus überraschend: „Ich singe Lieder mit sozialkritischem Hintergrund“. Mit „asozialkritischem Hintergrund“; wie er umgehend ergänzt. Es sind eben alberne Zeiten, wie er selbst sagt. Kritiker haben Schneiders Stil, der zu großen Teilen von Improvisation lebt, als „Antikomik“ beschrieben; die sich durch Respektlosigkeit, kindischen Unsinn und das Vermischen von Banalem mit Anspruchsvollem auszeichne.

Schräge Mischung im Programm und auf den Rängen

Umso erstaunlicher, dass ein Künstler, der derart schräge Auftritte zeigt, stets an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn, dennoch eine Art „Everybody´s darling“ ist; ein Künstler, auf den sich viele einigen können. Das zeigt auch die bunte Mischung des Publikums an diesem Abend – von acht bis achtzig Jahren, vom furchterregend tätowierten Punker bis zum seriösen Geschäftsmann, der sich zur Feier des Tages einmal den saloppen Look, ganz ohne Krawatte gönnt, – und das zeigt der Veranstaltungsort selbst: Das „Freudenhaus“ genannte Zelt auf dem Platz der Wiener Symphoniker ist die eigentliche Heimstätte des Seelax-Festivals. Wegen der großen Nachfrage bei Helge Schneider wurde dieses Konzert aber als einziges der Veranstaltungsreihe ins Festspielhaus verlegt.

Fantastische Musiker

So unterschiedlich seine Scherze ankommen mögen, zu den musikalischen Fähigkeiten von Helge Schneider – und erst recht zu denen seiner Band – gibt es keine zwei Meinungen. Schneider selbst zeigt an Piano, Hammond-Orgel, Keyboard und Vibraphon, warum ihn der Bundesverband Klavier 2008 zum Klavierspieler des Jahres ernannte. Vibraphon und Trompete beherrscht er ebenso mühelos wie spielfreudig. Sandro Giampietro glänzt an sämtlichen Gitarren, die er spielt, Bassist Rudi Olbrich sieht und hört man sein Alter (laut Schneider „91 oder 76 Jahre“) keinesfalls an, und Willi Ketzer gibt am Schlagzeug souverän den Takt vor. Bemerkenswert ist das blinde Verständnis des Quartetts: Egal, wie lange Schneider während eines Songs – oder auch zwischen zwei Titeln – abschweift, seine Musiker sind jedes Mal sofort zur Stelle; gerade so, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben.

Überragend gestartet, dann deutlich nachgelassen

Die erste Hälfte des Konzerts ist überragend: Die Band jazzt groß auf, Schneider wechselt vom Schlagersänger mit dunklem Timbre und „Hunderttausend Rosen“ (so auch der Titel der öligen Ballade) zur Jazztrompete und einem Stück, das an Louis Armstrong erinnert. Als Zuschauer weiß man manches Mal gar nicht, ob man noch über die letzte Pointe lachen oder bereits über die nächste musikalische Top-Leistung staunen soll. Meistens einfach beides. Nach der Pause aber scheint die Band leider ihr Pulver bereits zu großen Teilen verschossen zu haben: Zu langatmig, zu ähnlich sind die Songs zum Ende des zweistündigen Sets. Und so bleibt der Protest des Publikums zurückhaltend, als Helge Schneider ihm nach einer Zugabe folgende Zeilen mit auf den Heimweg gibt: „Ich dichte gern, ich dichte schlecht / Und nun, ihr Leute, muss ich wecht“.