Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Thorsten Bayer · 27. Mai 2011 · Kleinkunst, Kabarett

Ein wortgewaltiger Star zum Anfassen: Bei Kabarettist Jochen Malmsheimer springt der Funke im Lindauer Zeughaus über

„Wenn Worte reden könnten oder 14 Tage im Leben einer Stunde“: So ist das Programm von Jochen Malmsheimer überschrieben, mit dem er seit elf Jahren tourt. „Der Titel sagt mir auch nichts“, gesteht er selbst. Doch das Motto bleibt das einzige Rätsel dieses Abends, alle anderen Pointen zünden. Größere Bekanntheit hat dem Bochumer die ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ gebracht, in der er regelmäßig auftritt. Zuschauer und Künstler amüsieren sich erstklassig bei den Geschichten des Wortakrobaten, die mit wenigen Schenkelklopfern, aber viel Niveau aufwarten.

Berührungsängste sind ihm offensichtlich fremd. Warum auch? Das Licht ist erst vor wenigen Augenblicken angegangen, das Publikum strebt langsam dem Ausgang entgegen, da steuert der Protagonist des Abends schon mit gepacktem Rucksack und Jeansjacke auf die Theke zu. „Mensch, was hab´ ich einen Brand“, sagt Jochen Malmsheimer, bestellt ein Weizenbier und kommt gleich mit einigen Zuschauern ins Gespräch. Wie er da so steht, mit Vollbart und rot-blauem Karohemd, könnte man ihn fälschlicherweise für den Chef des örtlichen Harley-Davidson-Clubs halten. Auf der Bühne spielt der 49 Jahre alte Kabarettist immer wieder mit dem Proll-Image, nach der letzten Pointe aber scheint er ganz bei sich zu sein: So isser halt, der Jochen aus dem Ruhrpott.

Außen Proll, innen klassischer Bildungsbürger

Die Optik täuscht. Hinter der lässigen Fassade verbirgt sich ein klassischer Bildungsbürger, dessen Tiraden längst nicht jeder folgen kann. Zwar sucht er seine Themen weniger in der großen Politik, sondern mehr im Alltag, etwa im Spielzeugmarkt oder bei der Kindererziehung. Doch wie er seine Geschichten aufbaut und ausformuliert, ist einzigartig. Mit seiner Wortgewalt können es nur wenige Kollegen aufnehmen. Das Angenehme dabei: Er sonnt sich nicht arrogant in seiner Fabulierlust, sondern hat sichtbaren Spaß am kunstvollen Formulieren. Einen Blödmann im Fitness-Studio bezeichnet er nicht einfach als solchen, sondern nennt ihn „subfontanell schlecht möbliert“. Seinen Hund hält er nicht schlicht an der Leine, sondern „ist ihm langledrig verbunden“.

Akademischer, unangestrengter Zugang zur deutschen Sprache

Nicht nur der Wortwitz zeichnet ihn aus, auch die Originalität seiner Ideen. Zum Beispiel lässt er in einer Geschichte alle Wortarten in einer Kneipe (die treffenderweise den Namen „Satz“ trägt) zusammenkommen: „Es wimmelte von Verben, Adjektiven, Substantiven, Präpositionen und Konjunktionen, dass es eine Art hatte. Die Verben, zumal die jüngeren, waren zwanglos im lässigen Infinitiv erschienen, während die Älteren, gebeugt, meist im knitterigen Imperfekt oder, noch schlimmer, in einem ungepflegt wirkenden Plusquamperfekt gekommen waren….“ An einer Stelle wie dieser wird klar, dass Malmsheimer trotz abgebrochenen Studiums (Germanistik und Geschichte) der deutschen Sprache durchaus akademisch verbunden ist – da war die anschließende Lehre zum Buchhändler sicher nicht die schlechteste Idee.

Variationen zur eigenen Unterhaltung

Seine Stärke ist auch der Live-Vortrag, bei dem er sehr lebendig verschiedene Charaktere wiedergibt und seine Stimme mal zornig-bebend, dann wieder leise-wispernd einsetzt. Weite Teile seines Programms bestreitet er auswendig, nur selten greift er zur Textvorlage. Und wenn es einmal einen kurzen Hänger gibt, meistert er die Situation souverän und charmant. Ein ums andere Mal entstehen diese kleinen Pannen ohnehin nur dadurch, dass Malmsheimer seinen Text spontan umbaut oder eine andere Idee den Vorzug erhält. Auf diese Weise wird es ihm auch selbst nie langweilig.

Nostalgie mit viel Humor

In Lindau hinterlässt der Träger des Deutschen Kleinkunstpreises einen starken Eindruck. Spätestens bei den Schilderungen der – ewig gleichen Regeln gehorchenden – Parties der 70er Jahre kommen die Zuschauer kaum mehr aus dem Lachen heraus. Graue Kellerräume, in die steile Treppen hinabführen, Getränkenotstand schon nach wenigen Minuten, dazu den unvermeidlichen Nudelsalat (der auf den Feten von Malmsheimer und seinen Kumpels stets „Walter“ genannt wurde): Ganz offensichtlich hat das Publikum ganz ähnliche Erinnerungen an diese Zeit. Nach rund zwei Stunden Spielzeit hat es sich der Künstler mehr als verdient, das eingangs genannte Bier zu trinken – oder wie er es nennt: „sich toxisch zu marinieren“.