Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Thorsten Bayer · 12. Mai 2011 · Kleinkunst, Kabarett

Das Alter tut ihm gut - Auch mit 83 Jahren zeigt Dieter Hildebrandt im Stadttheater Lindau politisches Kabarett auf höchstem inhaltlichen und sprachlichen Niveau

Scharfsinnig wie immer, aber weniger eifernd als in mancher ARD-„Scheibenwischer“-Sendung begeistert Dieter Hildebrandt mit seinem Programm „Ich kann doch auch nichts dafür“. Spielerisch baut er tagesaktuelle Ereignisse ein, spannt den Bogen von den Niederungen bayerischer Innenpolitik bis zum Krieg in Libyen. Die deutsche Bundesregierung, allen voran Kanzlerin und Außenminister, bleibt eines seiner Lieblingsthema. Aber auch vor sich selbst macht sein Spott nicht halt.

Die erste Pointe ist gleich eine gewagte. „Ich danke Ihnen, dass Sie sich im reichen Kulturleben von Lindau ausgerechnet diesen Abend mit mir ausgesucht haben“. So beginnt Dieter Hildebrandt sein rund zweistündiges Programm im ausverkauften Stadttheater Lindau. Ironie und Spott wenden sich bald ernsteren Themen zu, das Augenzwinkern aber bleibt. Und der Eindruck verfestigt sich: Wo er früher, gerade bei seinen Fernseh-Auftritten, arg eiferte und man ihm zurufen wollte: „Mensch, jetzt schalte doch mal einen Gang zurück!“, ist Hildebrandt heute milder, weniger aggressiv – ohne dabei in der Schärfe seines Urteils nachzulassen. Mit 83 Jahren wirkt er weiterhin auf der Höhe seines Schaffens.

Der Mann hat noch eine Menge zu sagen

Die Politik, vor allem in seiner bayerischen Wahlheimat, liefert ihm einfach immer noch so viel Stoff, dass er sich unmöglich zur Ruhe setzen und in die Rolle des verständnislosen, aber stillen Beobachters wechseln könnte. Der Mann hat einfach noch etwas zu sagen, und zwar noch eine ganze Menge. Immer wieder im Fokus: Die FDP mit ihren Hauptdarstellern Guido Westerwelle im Außen- und Rainer Brüderle im Wirtschaftsministerium. Letzteren bezeichnet er als den aktuell wertvollsten Politiker für Kabarettisten. „Brüderle ist ein sehr begabter Komiker. Er ist ein Sprachrohr seiner eigenen Verwirrung“, hat er vor kurzem in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll gegeben. Aber auch „Renten-Uschi“ von der Leyen kommt nicht gut weg; von der Kanzlerin ganz zu schweigen.

Linker Kritiker im CSU-Land Bayern

Seit über vierzig Jahren lebt der gebürtige Niederschlesier in Waldperlach, am Stadtrand von München. Daher steht für ihn, zumal er sich auch als „SPD-Sympathisant“ bezeichnet, die bayerische Landespolitik der CSU im Fokus. Dem Ministerpräsidenten Seehofer wirft er beispielsweise eine künstlich christliche Haltung vor: „Der heilige Horst hat doch immer zum Beten einen Kameramann dabei. Der frömmelt doch in die Kamera.“ Doch neben einzelnen Protagonisten stört sich Hildebrandt mehr noch an grundsätzlichen, allgemeinen Verlogenheiten in der Politik.
Immer wieder entlarvt er hohle Phrasen. „Es ist richtig, wenn Politiker immer wieder behaupten: `Der Mensch ist Mittelpunkt.´ Falsch ist nur die Schreibweise. Gemeint ist: `Der Mensch ist Mittel. Punkt.´ Hier zeigt sich auch seine einzigartige Kunstfertigkeit im Umgang mit der deutschen Sprache. Er springt gedanklich oft um mindestens eine Ecke - das Publikum macht gerne mit und springt hinterher.

Sympathisch selbstironisch

Glaubwürdig und sympathisch wird Hildebrandt vor allem daher, weil er sich selbst und sein fortgeschrittenes Alter auf die Schippe nimmt. So denkt er einmal laut darüber nach, was passieren würde, wenn er bei Google Street View sein Haus schwärzen würde: „Wenn ich das tue, dann wissen doch die Einbrecher: Da ist was zu holen. Und wenn ich es lasse, dann kommen die Fans. Ach was – die sind heute auch nicht mehr so gut zu Fuß.“ Oder auch, wenn er ohne Brille bei der Zeitungslektüre die falschen Schlüsse zieht und er beispielsweise bei der Berichterstattung zur Wahlschlappe der CDU in Baden-Württemberg „Waschlappen der CDU“ entziffert. Zum Schluss des Programms – die Zuschauer lassen ihn erst nach zwei weiteren Zugaben gehen – versucht sich der Grimme-Preisträger in einer völlig ungewohnten Rolle und stimmt den „Rentner-Rap“ an.

In eigener Liga

Mit „Substanz entscheidet“ hat einmal das Düsseldorfer Handelsblatt für sich geworben. Dieser Claim könnte auch das Programm von Dieter Hildebrandt zusammenfassen. Sowohl was die Fülle seiner behandelten Themen, als auch deren sprachliche Umsetzung angeht, kann ihm wohl kaum ein Kollege das Wasser reichen. Er spielt ganz offensichtlich in einer eigenen Liga. Apropos Fußball: Dieses Thema streift er nur kurz, lässt es bei einigen Spitzen gegen selbst ernannte Fußball-Philosophen bewenden. Wahrscheinlich ist das Thema für ihn, einen großen Fan von 1860 München, das momentan gewaltige finanzielle Probleme hat und auf die Hilfe des großen FC Bayern angewiesen ist, einfach zu schmerzhaft. In jedem Fall widerlegt er den Titel des Abends im besten Sinne: Er kann doch sehr viel dafür – für das Vergnügen seines Publikums.