Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Michael Löbl · 27. Feb 2023 · Musik

Klavierabend mit Yunus Kaya in Bludenz

Kulturelle Benefizveranstaltungen in Vorarlberg haben einen Namen: Maria Müller. Seit über 30 Jahren bringt sie im Rahmen der Reihe Kultur.LEBEN national und international renommierte Künstler:innen und Vortragende nach Bludenz und Umgebung. Alle Eingeladenen verzichten auf ihr Honorar und der gesamte Erlös der Veranstaltungen kommt einem Projekt der Caritas für Aids-Waisenkinder in Äthiopien zugute.

2023 sind 16 Abende in Bludenz und Nüziders geplant, und die Liste der Protagonist:innen ist wie immer beeindruckend: Rainer Honeck, Klaus-Maria Brandauer, Birgit Minichmayr, Josef Hader, Karl Markovics, Reinhard Haller, Angelika Kirchschlager oder Alfred Dorfer werden in dieser Reihe auftreten. Für ihr Engagement hat Maria Müller 2017 den Dr.-Toni-Russ-Preis erhalten.
Am Samstagabend war der Pianist Yunus Kaya im Rahmen von Kultur.LEBEN in der Remise Bludenz zu Gast. Der Vorarlberger Musiker mit türkischen Wurzeln hat am Landeskonservatorium bei Ferenc Bognár und am Mozarteum Salzburg studiert. Seit 2013 ist er selbst Dozent an der Stella Musikhochschule in Feldkirch. 2021 erschien seine erste Solo-CD mit späten Klavierstücken von Johannes Brahms. Die Einspielung erhielt von der internationalen Presse herausragende Kritiken und wurde von der deutschen Musikzeitschrift „Fono Forum“ mit dem „Stern des Monats“ gekürt.

Pianistische Herausforderung

Yunus Kaya macht es weder sich selbst noch dem Publikum leicht. Für sein Programm hat er drei der anspruchsvollsten und schwierigsten Werke der Klavierliteratur ausgewählt, auch pianistisch ist diese Kombination eine Herausforderung. Zunächst die Sonate op. 1 von Alban Berg, ein Werk am Scheideweg zwischen Spätromantik und Zwölftontechnik. Man denkt an Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht", auch bei Alban Berg werden Tonarten und harmonische Funktionen schon dermaßen überspannt, dass der Befreiungsschlag der kurz darauf entwickelten Zwölftontechnik absolut logisch erscheint. Auch die klassische Sonatensatzform ist zum großen Teil bereits aufgehoben, was es dem Zuhörer nicht leichter macht, dem musikalischen Fluss zu folgen. Yunus Kaya gelingt es, die extrem verästelten Stimmführungsdetails in Bergs Sonate hörbar zu machen und die zahlreichen harmonischen Wechsel plausibel zu gestalten. Wenn ein Pianist es schafft, die unzähligen Vortragsbezeichnungen, Tempo- und Dynamikangaben des Komponisten in Musik zu verwandeln, verdient das schon einmal Bewunderung. 

Keine Entspannung

An Entspannung war nicht zu denken, Beethovens letzte Klaviersonate op. 111 stand als zweites Werk auf dem Programm. Gemeinsam mit der Hammerklaviersonate op. 106 ist sie wahrscheinlich die Krönung des Beethovschen Kosmos‘ seiner insgesamt 32 Klaviersonaten. Das Werk des damals bereits fast völlig gehörlosen Komponisten besteht nur aus zwei Sätzen. Dem schroffen, wilden und zerklüfteten Kopfsatz folgt eine fast 20-minütige Arietta, ein Variationssatz über ein wunderschönes, einfaches („molto semplice") Thema mit teilweise irrwitzigen Veränderungen bis hin zu einem doch etwas abrupten und unerwarteten Schluss. In diesem Satz kann Yunus Kaya seine pianistischen Stärken voll ausspielen: der runde, ausbalancierte Klang, seine Fähigkeit, langen musikalischen Linien Form und Richtung zu verleihen, gepaart mit einer teilweise sehr freien Agogik, die manchmal der Musik einen improvisierten Charakter verleiht. Auch der etwas kleinere Steinway-Flügel der Remise begünstigte den unteren Dynamikbereich, was in den etwas hart klingenden Forte-Ausbrüchen im ersten Satz der Beethoven-Sonate zu spüren war.
Johannes Brahms, selbst ein ausgezeichneter Pianist, hat einige bei Berufskollegen gefürchtete Werke hinterlassen: die Händel-Variationen op. 24 zum Beispiel oder sein zweites Klavierkonzert. Auch seine dritte Klaviersonate fällt in diese Kategorie. Die fünf Sätze sind gespickt mit pianistisch unangenehmen Sprüngen und Akkordfolgen, die aber wie selbstverständlich klingen sollen. Auch in dieser Sonate, die nach der Pause folgte, überzeugte Yunus Kaya ganz besonders in den eher ruhigen, verhaltenen Teilen wie dem zweiten Satz oder dem Intermezzo zwischen Scherzo und Finale. Hier kann er wiederum frei gestalten und seine Qualitäten ausspielen, die er selbst anlässlich der Veröffentlichung seiner ersten CD so beschrieben hat: „Seit meiner ersten Berührung mit den Klavierstücken von Johannes Brahms spüre ich eine besondere Nähe, eine tiefgründige Verbindung zu ihnen. Mich ergreift das Intime, die Innerlichkeit dieser Werke, die letztlich nicht für ein Außen bestimmt ist.“
Aus aktuellem Anlass wurden die Spenden für dieses Konzert spontan an die Erdbebenopfer in der Türkei umgeleitet. Das Publikum „erklatschte" sich zwei Zugaben, neben Brahms auch ein Stück von Fazil Say, in dem vor allem die originellen Klangerweiterungen des Flügels für Begeisterung sorgten.

https://www.caritas-vorarlberg.at/ueber-uns/kulturleben

https://yunus-kaya.com