Franz Kabelka: „Kubanische Krokodile“
Was kommt nach den Castros? In seinem Krimi „Kubanische Krokodile“ wirft Franz Kabelka einen listigen Blick auf das politische Tauwetter zwischen den USA und Kuba.
Das kubanische Krokodil ist eine bedrohte Spezies, und das liegt an den aus den USA eingewanderten Spitzkrokodilen – „die größte Bedrohung ist, dass sie sich mit den Kubakrokodilen vermischen!“ Der Witz ist gut. Schließlich betrachten die Amerikaner Kuba als Bedrohung und überziehen die Insel seit Jahrzehnten mit Sanktionen. Von Vermischen kann höchstens in umgekehrter Richtung die Rede sein; bekanntermaßen sind hunderttausende Kubaner nach Miami ausgewandert. Aber vielleicht ändert sich ja gerade etwas an den kubanisch-amerikanischen Beziehungen. Und vielleicht passt das manchem Trump-Anhänger gar nicht.
Die Journalistin Frieda Prohaska – Kabelka Leser:innen schon bekannt aus „Gesundes Gift“ und „Kaltviertel“ – reist nach Kuba, und zwar für eine Reportage anlässlich der Beerdigung von Fidel Castro. Damit erweist ihr der Chefredakteur des Magazins „opinion“ eine Gefälligkeit. Er weiß, seine Kollegin ist nach dem Tod ihres elfeinhalb Monate alten Sohnes Rafael psychisch angeknackst. Die Reise soll sie ablenken – und dem österreichischen Publikum ein bisschen Weltpolitik erklären. Was hat zum Beispiel das Treffen zwischen den Präsidenten Barack Obama und Raúl Castro gebracht?
Bacardi, Cienfuegos und die Rolling Stones
Wenn Franz Kabelka einen Krimi schreibt, dann begibt er sich erst einmal vor Ort. Davon zeugt unter anderem ein spezielles Feature in diesem Krimi: Über einen QR-Code gelangt man zu Fotos – fast ausschließlich Portraits – die er auf Kuba gemacht hat. Außerdem gibt es noch einen weiteren Code, mit dem sich Leser:innen eine E-Book-Version herunterladen können. Und was die Recherchen des Autors angeht: Die erstrecken sich nicht nur auf karibische Politik, bunte Oldtimer, Zigarren, Rum und Son. Es geht zum Beispiel auch um das kurzfristige Engagement der Familie Bacardi gegen den Diktator Batista und für Fidel. Es geht um den Jahrzehnte zurückliegenden Flugzeugabsturz von Castros Kampfgefährten Camilo Cienfuegos oder das legendäre Rolling Stones-Konzert „Havanna Moon“ oder um die Boxer Teófilo Stevenson und Odlanier Solís. Schließlich ist eine der Romanfiguren, der in die Kriminalität stolpernde Osvaldo Rivera Costas, ebenfalls Boxer. Besser gesagt ein ehemaliger Boxer. Die Verletzung, die ihn ausgeknockt hat, verdankt er dem vergeblichen Versuch, seine Eltern zu retten. Ihnen hat er eine Bruchbude im „Roten Bunker“ verschafft, deren Dach beim ersten Erdbeben einstürzte und die Eltern erschlug. Seit er nicht mehr boxt, hält sich Osvaldo finanziell mit einem Taxi über Wasser, einem auch für kubanische Oldtimer außergewöhnlichen, 75 Jahre alten Willys Americar.
Mit dem kutschiert er Frieda Prohaska und ihre Reisebekanntschaft, den amerikanischen Journalisten Ioannis Vazelios, nach Santiago de Cuba. „Als der Motor anspringt, wirft Frieda einen letzten Blick auf die Motorhaube des Wagens. Irgendwie erinnert deren geschwungene, vorne sich verjüngende Form an die Schnauze eines Hais, mit kiemenförmigen Lüftungsschlitzen und starren Schweinwerferaugen.“
Mei potschertes Leb’n
Krokodile und Haie – das klingt nicht nach einer gemütlichen Urlaubs-Reportage. Osvaldo indes setzt die beiden Fahrgäste ab und lenkt seinen Americar zum Rathaus. Dort wird das Testament seiner Eltern eröffnet. Osvaldos in Miami lebende Schwester Margy fehlt. Sie habe Krebs, erzählt ihr Mann Pedro, und habe deshalb die Reise nicht antreten können. Er, Pedro, versuche, das Geld für ihre Behandlung aufzutreiben. Möglich wäre das zum Beispiel mit einem Geschäft, etwas ganz Subtilem, einem Deal, an dem ausschließlich Familienmitglieder beteiligt sein sollen. „Eine Million Dollar. Das war der Betrag, der von Anfang an im Raum stand. Ein Viertel davon würde jeder der drei Akteure bekommen, das vierte Viertel war für Margys Behandlungen reserviert. Was ihm durchaus fair erschien.“
Die Verliese von El Morro
Und weil es ja um Vertrauen in der Familie geht, sieht Osvaldo ein, dass sein Zweitjob als Angehöriger des Sicherheitsdienstes der Festung El Morro bei dem Coup eine wichtige Rolle spielen soll. Dass die Geldübergabe bei der Erpressung eines prominenten Amerikaners per Drohne erfolge, mache die Sache todsicher, beteuert Pedro.
Frieda hat El Morro gerade mit Ioannis Vazelios besucht, fasziniert wie alle Touristen von jener „steinernen Festung, die die Spanier einst erbauten, um holländische und britische Piraten davon abzuhalten, Land und Schätze an sich zu reißen“. Hier will Ioannis jemanden treffen, der ihm „brandheiße Informationen“ versprochen hat.
Brandheiß sind die Informationen, die Frieda ihrerseits recherchiert hat, zwar nicht, aber interessant. Sie war am Rio Yumuri, wo einst die Taínos lebten, die Ureinwohner Kubas. Die Taínos wurden von den Spaniern ausgerottet, erfährt sie, oder sie brachten sich selbst um, „weil sie nicht als Sklaven in den Silberbergwerken schuften wollten“.
Willys Americar
Hier, am Rio Yumuri, liegt auch die Krokodilfarm von Léon, die Frieda nur aufsucht, um nach Ioannis Vazelios zu forschen. Denn Léon ist einer seiner guten Bekannten – und Ioannis spurlos verschwunden. Das ist Frieda nicht geheuer, weil der Amerikaner doch bloß eine Stunde veranschlagt hat, um an seine „brandheißen Informationen“ zu kommen. Als Frieda eine seiner Sandalen und sein Handy findet, ist sie restlos alarmiert, zumal der Handy-Dieb ihr von einem Auto erzählt, in dem er den Journalisten gesehen habe. „Willys Americar sieht man nicht mehr oft auf der Straße. Vor sechzig Jahren, ja, da war die Marke recht beliebt. Vor allem unter Batistas Leuten. Weil man von außen nicht feststellen konnte, wer auf der hinteren Sitzbank saß. Beziehungsweise dort misshandelt wurde.“
Frieda ist allerdings nicht die einzige, die nach Ioannis Vazelios sucht. Denn da gibt es auch noch ein ungewöhnliches Duo: John Martin, offiziell Verbindungsoffizier an der amerikanischen Botschaft, inoffiziell erfahrener CIA-Agent, und Colonel Victor Morales, Oberst im kubanischen Geheimdienst. „Wäre es nicht eine besondere Ironie der Geschichte, sollte der Amerikaner Vazelios ausgerechnet in einem Americar verschleppt worden sein? Und das 75 Jahre nach dem Bau des Wagens und ein halbes Jahr nach dem Beginn von Obamas Öffnungspolitik gegenüber Kuba …“
Die beiden Agenten mit Sinn für Ironie verstehen sich prächtig. Und dann wird auch noch Frieda an Bord geholt. Ob es funktioniert hat mit der Ablenkung vom Schmerz um ihr totes Kind? Das wird sie in der Redaktion von „opinion“ wohl nicht verraten. Und wie ihre Reportage gelingt? Gespoilert wird nicht.
Franz Kabelka, Kubanische Krokodile. Edition Tandem, Salzburg 2023, gebunden, 352 Seiten, ISBN: 978-3-904068-73-4, € 25, erscheint Ende Februar
Konzertlesung mit Steps to Heaven:
Helmut Klien, Altsax, Git., Dobro; Franz Kabelka, Tenorsax, Flöte; Wini Gerstgrasser, Akk.; Uwe Martin, Bass
1.3., 19.30 Uhr
Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz
Lesung: Franz Kableka, Stefan Alfare, Christian Mähr
15.3., 19.30 Uhr
Saumarkt, Feldkirch