Innerlich unbeteiligt am Dreck der anderen
In „Ragazzi del Mondo“ bringt das aktionstheater ensemble im Theater Kosmos die absurden Kontraste unserer Welt auf die Bühne.
Am Ende der Vorstellung ist die Bühne voller Dreck, die Lippen der Schauspieler:innen sind rot verschmiert und Benjamin und Kirstin haben sich wieder angezogen. Das neue Stück des aktionstheater ensembles dreht sich vor allem um die Kontraste einer Welt zwischen Bombenhagel, Machtgier und der eigenen Verteidigung, die entweder in Beschuldigungen oder völliger Teilnahmslosigkeit ausarten.
Wie immer reagiert der Regisseur Martin Gruber auf gesellschaftliche Entwicklungen, die er in rücksichtslosen Alltagsszenen verarbeitet und häppchenweise auf der Bühne verteilt. Politisches wird mit Privatem vermischt und aus der sozialen Bubble, in der sich die Schauspielerinnen und Schauspieler bewegen, kreiert Gruber eine Performance über die „Unmöglichkeit des Miteinanders“, in der er die Figuren aufeinander loslässt, aber auch das Publikum einiges aushalten muss.
Im Eroberungswahn
Neben Zeynep Alan, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Kirstin Schwab und Benjamin Vanyek ist als sechste Figur das schlechte Omen als Soldatenpuppe mit auf der Bühne. Thomas freut sich gerade noch darüber, dass das „Arschloch“ doch nicht Kanzler geworden ist, während sich Kirsten im Eroberungswahn am Boden wälzt und Benjamin mit seinen Online-Bestellungen am Mikrofon alles andere übertönt, weil irgendwie muss man sich ja ablenken vom Krieg und dem Verderben, das droht, wenn die Gehirne von US-amerikanischen Politikern von Fuchsbandwürmen zerfressen werden.
In intensiven 65 Minuten wird darüber gestritten, wer gehen muss und wer bleibt, wer wohin auswandert, was man schon und was man nicht machen kann oder wo man die Nazis dann unterbringt. Pizza wird in den Mund gestopft und wieder ausgespuckt, das Bier schäumt und Benjamin sorgt dafür, dass alle ordentlich mit Schlamm eingerieben sind. So ungustiös und roh wie das von außen aussieht, sind auch die Gespräche, mit denen das Theater die üblen und schwer verdaulichen Seiten unserer Welt aufzeigt. Geredet wird von gelben Waffen, dem Ermorden von Ziegenbabys und darüber, was „auch schlimm“ ist. Zeyneps Probleme sind jedenfalls „nicht so schlimm“.
Vom Aushalten der anderen
Wenn zwei streiten, hält sich der dritte in „Ragazzi del Mondo“ lieber raus und schleicht sich mit dem vierten davon. So wirken die Figuren noch viel losgelöster voneinander, wenn sie zwischendurch im Hintergrund ihre Kreise ziehen, bis sie genau dann wieder zur Stelle sind, wenn es darum geht, in den Fehlern und der Schuld der anderen kräftig herumzuwühlen. Thomas wird gehatet, weil er seine Oma nicht zum Sterben nach Italien bringt. Zeynep rechtfertigt sich für sich selbst, Benjamin reißt sich zusammen und niemand hört zu, wenn Kirstin irgendwelche Geschichten erzählt, die am Ende nicht mal stimmen. Es sind ja alle nur ehrlich und schließlich kann man nichts für sein Bauchgefühl.
Wie so oft ist das aktionstheater inhaltlich schwer fassbar, weil alle ständig durcheinander und aneinander vorbeireden, weil es keine wirkliche Handlung gibt, und trotzdem auf der Bühne viel und alles gleichzeitig passiert, was im Verlauf des Abends dann doch in einem gemeinsamen Gefühl endet. Diesmal wird das Stück nicht so sehr vom Humor getragen, sondern auf traurige Weise von der Absurdität unserer Welt, die auch ganz ohne Worte exzessiv durch die Musik (Andreas Dauböck und Pete Simpson) übermittelt wird. Das Absurde zeigt sich auch in den widersprüchlichen Bildern, in den abgestumpften Figuren und in Kirstins komplett irrem Blick, der allein schon das ganze Stück beschreiben kann.
aktionstheater ensemble: „Ragazzi del Mondo“
weitere Vorstellungen: 27./28. und 29. Juni, 20 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
https://aktionstheater.at/