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Peter Füssl · 01. Jul 2025 · CD-Tipp

Fred Hersch / Drew Gress / Joey Baron: The Surrounding Green

Alle Beteiligten zählen seit Jahrzehnten zur vielbeschäftigten Crème de la Crème der experimentierfreudigen New Yorker Jazz-Szene und spielen auch schon seit Mitte der 1980-er Jahre miteinander, aber es blieb ECM-Chef Manfred Eicher vorbehalten, die drei erstmals gemeinsam auf eine Bühne, nämlich ins Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano zu bringen. Und alle spielten schon im Fred Hersch Trio, nur nicht gleichzeitig. Als Drew Gress dort Bassist war, hießen die Drummer Tom Rainey und Nasheet Waits. Und als Joey Baron im Fred Hersch Trio die Trommeln rührte, waren Charlie Haden bzw. Marc Johnson am Kontrabass zu hören.

Dieses Trio ist also von den Biographien der Akteure her eine logische Konstellation, die eigentlich längst überfällig war, was zuallererst in einer unglaublichen Sensibilität für ein wirkungsvolles Zusammenspiel und einer hochgradigen Bereitschaft zur musikalischen Kommunikation spürbar wird. Dies kommt einem vielschichtigen und reichhaltigen Programm zugute, das aus drei Hersch-Kompositionen und vier höchst unterschiedlichen Fremdkompositionen besteht. Herschs Titelgebung „Plainsong“ verweist auf gregorianischen Gesang, und tatsächlich entführt der mit einem längeren lyrischen Piano-Solo eingeleitete Opener und die anschließende, in höchster Feinarbeit ausgeführte rhythmische Grundierung und Umrahmung der zeitlosen Melodie in himmlische Gefilde. Während dieses Stück auch schon auf einem der zahlreichen Solo-Alben des umtriebigen Pianisten („Open Book“, 2017) erschienen ist, sind die beiden anderen Originals bislang unveröffentlicht. Herschs melodische Stärke und emotionale Gestaltungskraft kommen im farbenreichen Titelstück „The Surrounding Green“ zu tragen, während das Trio mit dem latin-haft bes(ch)wingten, aber von den Harmonien her auch etwas wehmütigen „Anticipation“ in die Welt der Saudade entführt. Der schon 17-mal für den Grammy nominierte Fred Hersch ist bekanntlich ein unglaublich fleißiger Komponist, der von seinen unzähligen Werken auch schon rund 80 in Rillen gepresst hat. An eigenem Material mangelt es also beileibe nicht, weshalb man umso gespannter auf seine Auswahl an Fremdkompositionen sein darf.


 

 


Da lassen sich durchaus biographische Bezüge ausmachen, die alle irgendwie mit dem Jazz-Geschichte schreibenden Bassisten Charlie Haden zusammenhängen, der bereits 1987 beim Album „Sarabande“ der Trio-Partner von Hersch und Baron war. So hatte Ornette Coleman sein „Law Years“, mit dem sich Hersch & Co. nun von ihrer luftig-freien und gleichzeitig kräftig zupackenden Seite her präsentieren, auf seinem legendären 1972-er Album „Science Fiction“ mit Charlie Haden am Bass veröffentlicht. Aus dessen Feder wiederum stammt die wundervolle, 1990 erstmals aufgenommene Ballade „First Song“, die Drew Gress mit einem zweiminütigen, warmtönenden Bass-Solo einleitet, ehe sich auch Hersch und Baron – in wohligen Tönen schwelgend – dazugesellen. Auch Egberto Gismontis in unterschiedlichsten Formationen aufgenommener Klassiker „Palhaço“ dient dem hochkarätigen Dreier nun als wundervolles Vehikel zur Zelebration der hohen Kunst des ausgefeilten Trio-Spieles. Farbenreich, lebendig, mit nahezu hymnischen Akzenten. Dass „Palhaço“ gleich zweimal, nämlich auf den ECM-Alben „Magico“ (2012) und „Carta De Amor“ (1980) von Gismonti, Garbarek und – natürlich – Haden eingespielt wurde, muss nicht extra erwähnt werden. „Embraceable You“ umarmt das Trio mit unbekümmerter Lässigkeit und interpretiert den Song mit einer Frische, als wäre der unsterbliche, bald einmal 100 Jahre alte Gershwin-Evergreen nicht schon von Legionen unterschiedlichster Jazzer eingespielt bzw. eingesungen worden (1961 auch vom Ornette Coleman Quartet mit Charlie Haden). Man kann natürlich der Meinung sein, in Sachen Piano-Trio sei schon alles gesagt. Aber hier bündeln drei exzellente Musiker, Komponisten und Bandleader völlig uneitel und unaufgeregt ihr Können und schaffen ganz Großes – und wenn Schönheit weh täte, müsste man ganz laut schreien.

(ECM/Universal)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der „KULTUR" Juli/August 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.