Irene Villanueva Werk "Tourismusgelder erschließen die Welt" beim SilvrettAtelier. (Foto: Karlheinz Pichler)
Fritz Jurmann · 20. Jul 2023 · Musik

Im Zweifel mehr Komödie als Tragödie

Verdis „Ernani“ wird als Hausoper bei den Festspielen gefeiert.

Das war ein großer Wurf, zweifellos, der den Festspielen da zum Auftakt ihrer aktuellen Saison gelungen ist. Giuseppe Verdis Frühwerk „Ernani“ von 1844 ist ein pralles Stück Oper, randvoll zuvorderst mit Rachsucht, aber auch mit Liebe und Leidenschaft. Die Regie der Wiener Volksopern-Chefin Lotte de Beer zögert keine Sekunde, diese Eigenschaften einer verstaubten Schauerromantik in klaren Charakterstudien der vier Hauptpartien deutlich zu machen und ins Heute zu transferieren, kann sich letztlich schwer zwischen Tragödie und Komödie entscheiden.

Ihre in Vorgesprächen geweckten Erwartungen eines blutigen, brutalen Bühnen-Gemetzels als Analogie zur aktuellen weltpolitischen Lage bleiben jedenfalls im beliebigen Gerangel einer durchtrainierten achtköpfigen Stunt Factory stecken, das mehr ans Aufwärmen einer Zirkustruppe als an Kämpfe um Leben und Tod erinnert. Wie auch immer: Der Plot wurde am Mittwochabend vom prominent besetzten Premierenpublikum im ausverkauften Haus einhellig und lautstark bejubelt.
Für den früheren Festspielpionier Intendant Alfred Wopmann war das Werk 1987 im damals neuen Festspielhaus ein willkommener Anlass für die Untermauerung seiner viel gelobten „Bregenzer Dramaturgie“, in der er Blockbuster am See in spektakulären Inszenierungen mit Wiederentdeckungen von zu Unrecht vernachlässigten Raritäten im Haus wie eben Verdis „Ernani“ kontrastierte – eine Idee, die sich in Adaptionen bis heute erfolgreich bestätigt hat. Das Werk hatte damals und hat heute nicht weniger Anrecht auf eine sorgfältig gestylte, prächtig besetzte und musikalisch untadelige Umsetzung im Festspielformat, wie Bregenz das nun gelungen ist.

Meisterwerk an Italianità

Wer Ohren hat zu hören, dem erschließt sich an diesem Abend auch wirklich ein fantastisches Meisterwerk an Italianità, wie es Verdi in seiner gekonnten musikalischen Dramatik nach der literarischen Vorlage von Victor Hugo im Libretto von Francesco Maria Piave geschaffen und reichlich mit Belcanto-Perlen ausgestattet hat. Und auch bei Verdi kippt die Musik zuweilen vom Tragischen ins Heitere. Nicht umsonst war diese Oper zu ihrer Entstehungszeit in Italien ein Renner par excellence, bis sie dann in Vergessenheit geriet. Daran mag auch die reichlich verworrene Handlung des Vier-Personenstücks ihren Anteil haben, diese Geschichte vom verstoßenen Adeligen Ernani, bei dem es als Revolutionsführer in einem Kraftwerk der Gefühle immer ums Ganze geht. Er will seine Geliebte Elvira vor einer Heirat mit dem alten Adeligen Silva retten, was ihm unter vielen Mühen und Kämpfen auch gelingt. Doch mündet schließlich seine eigene Hochzeit mit ihr im Debakel eines Rache-Fluches: Ernani ersticht sich, Elvira sinkt leblos zu Boden, nachdem ein Großteil des Personals schon früher sein Leben eingebüßt hat.
Dennoch geht am Ende niemand tief betrübt aus dem Saal, weil die Tragik des Geschehens hier eine völlig andere ist als etwa bei „Madame Butterfly“ von Puccini am See. Auch weil sie hier immer wieder relativiert wird durch heitere Elemente, wie sie die findige und erfahrene Lotte de Beer immer wieder ins Geschehen einbringt. Sie hat dabei vor allem mit dem groß besetzten Prager Philharmonischen Chor unter der Leitung von Lukáš Vasilek einen großartigen und willigen Partner. In verschiedenen Szenen, etwa beim umwerfenden Hochzeitschor, beweisen die Sängerinnen und Sänger ihre komödiantische Spielfreude. Gesanglich bieten sie, wenn sie einmal richtig loslegen, eine Leuchtkraft und Klangqualität, die schwer zu toppen sein wird.

Kubus als starkes Element

Für die Ausstattung ist, wie schon bei der gemeinsamen Arbeit 2017 an „Moses in Ägypten“ von Rossini, Christoph Hetzer am Werk. Er stellt am Beginn das Halbrund eines Globus dar, wie das Leben auf einem fernen Planeten. Auf dem zeigt sich später ein zentraler, nach vorne offener weißer Kubus als eine Art Zelle für Elvira, in der sie Geschenke ihres Verlobten Silva ablehnt und sich lieber mit Ernani zum Techtelmechtel trifft. Der Kubus wird später auch zum recht beengten, aber spartanisch kühnen und klaren Element der Handlung. Die Kostüme sind aus grobem Stoff, haben etwas Unfertiges, das viele Deutungen zulässt. Alex Brok als Lichtzauberer schafft für alles das rechte Lichtdesign.
Nicht umsonst feiert das offenbar kundige Premierenpublikum bereits nach der Pause sowie am Ende den grenzgenialen Dirigenten Enrique Mazzola, seit dem Vorjahr stolzer „Conductor in Residence“ bei den Festspielen, und die unter ihm klangschön, temperamentvoll und tänzerisch aufspielenden Wiener Symphoniker mit einem rauschenden Sonderapplaus. Den Musikern aus Wien liegt dabei der Dreivierteltakt eines Johann Strauß hörbar näher als jener von Verdi, und so spielen sie auch dessen Walzer wie Zuhause mit der leicht „verhatschten“ Drei – ein liebenswertes Markenzeichen. Mazzola aber fordert das ihm verbundene Orchester zu Höchstleistungen, ist stets mit jeder Faser aber auch bei den Sängern, atmet mit ihnen, gibt ihnen Freiraum zur Entfaltung und ist auf höchste Präzision und Klangbalance bedacht.

Exzellente Besetzung

Da ist der Albaner Saimir Pirgu in der fordernden Titelpartie des Ernani, praktisch omnipräsent, der mit seinem höhensicheren Tenor zwischen Belcanto und Verdi-Dramatik, mit Kraft und Ausstrahlung seiner schauspielerischen Fähigkeiten auch dominant die Fäden zieht. Seine Geliebte Elvira wird von der Chinesin Guanqun Yu gegeben, der Liù aus „Turandot“ am See. Sie verfügt mit ihrem lyrischen Sopran im Belcanto auch über fein gestrickte Koloraturen und Triller und ist eine quicke, erfreuliche Erscheinung. Ihr Liebesduett, das sie am Boden liegend mit Ernani singt, verlangt besondere Bewunderung. Der Italiener Franco Vassallo als Don Carlo hüpft mit seiner viel zu großen Königskrone und ständig „oben ohne“ herum und sorgt so für manchen Lacher, freilich auch für Bewunderung für seinen edel geführten, warmen Bariton. Eine berührende Charakterstudie liefert der Kroate Goran Juric als alter Don Ruy Gomez de Silva im Kampf um seine Verlobte Elvira. Hinter der Szene sorgt ein Ensemble der Stella Vorarlberg Privathochschule für stimmige Bühnenmusik.               

Guiseppe Verdi: „Ernani“
weitere Aufführungen:
So, 23. Juli, 11 Uhr/ Mo, 31. Juli 19.30 Uhr
Festspielhaus, Bregenz
TV-Aufzeichnung: So, 6. August, 21.30 Uhr, ORF III       

https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/ernani