Hochschulreif
Am Sonntagvormittag lud die Stella Musikhochschule zur traditionellen Matinee „Sinfonische Weihnacht“ ein. Das Hochschul-Sinfonieorchester unter der Leitung von Benjamin Lack spielte Werke von Edvard Grieg und Johannes Brahms.
Bis vor wenigen Tagen noch haben die Montforter Zwischentöne im Gebäude der Stella Musikhochschule Konzertformate der Zukunft ausprobiert, am Sonntagvormittag ging es aber zurück in die Vergangenheit, „to the roots“ sozusagen. Klavierkonzert und große Symphonie, beides Werke aus der Hochromantik, keine Uraufführung, keine Experimente, eine Matinee in der Tradition der Wiener Philharmoniker. Benjamin Lack: „Absolute Repertoirestücke, die ein Hochschulorchester unbedingt einmal gespielt haben muss!“ Eine Prognose sei gewagt: dieses Retro-Konzertformat hat sich einfach bewährt und wird noch lange nicht aussterben.
Seit einem Jahr ist das ehemalige „Kons“ nun schon Musikhochschule. Darüber hört man viel und durchaus Unterschiedliches, der Transformationsprozess scheint jedenfalls schmerzhaft zu sein und ist noch lange nicht abgeschlossen. In einem Solisten-Orchesterkonzert geht es aber um die Kernkompetenz des Hauses, nämlich um die Ausbildung junger Musiker:innen. Und wenn diese Leistung den aktuellen Zustand der Stella Musikhochschule widerspiegelt, muss man sich um deren Zukunft keine Sorgen machen.
Jugendliche Energie
Edvard Griegs a-moll Klavierkonzert und Johannes Brahms Erste Symphonie, das ist ein schnörkelloses wenn auch durchaus anspruchsvolles Programm, das ohne Pause gespielt wurde. Man soll ja mit Superlativen sparsam umgehen, aber die Aufführung der Brahms-Symphonie kann man durchaus als sensationell bezeichnen. Das klein besetzte Orchester unter Benjamin Lack entwickelte vom ersten Akkord an eine unwiderstehliche Stringenz, ein durchgehender Puls durchzog die vier unterschiedlichen Sätze und die musikalische Spannung übertrug sich von der Bühne ins Publikum. Obwohl Brahms bei der Veröffentlichung seiner Ersten Symphonie bereits 43 Jahre alt war, klang sie in Benjamin Lacks Interpretation jugendlich, vorwärtsdrängend, mit nie nachlassender Energie bis hin zum jubelnden C-Dur-Finale. Vor allem im ersten Satz kann diese Symphonie langatmig sein, behäbig, mit gebremstem Tempo und vielen Rubati. Nicht so bei Benjamin Lack, sein Brahms ist schlank, pulsierend und mitreißend.
Die Leistung der jungen Musiker:innen war beeindruckend. Gedanken wie „es sind ja noch Studenten“ oder „die jungen Leute müssen ja erst Erfahrung sammeln“ sind bereits nach den ersten Takten obsolet. Man weiß nicht, wen man zuerst loben soll – den souveränen Konzertmeister, die Damen und Herren an den Ersten Bläserstimmen, Flöte, Oboe, Klarinette, das Erste Horn oder die Pauke. Klangschön und intonationssicher präsentierten sich die hohen Streicher und es war verblüffend zu beobachten, wie die kleine Bassgruppe mit fünf Celli und vier Kontrabässen durch ihr stets präsentes, rhythmisch stabiles Fundament die Kolleg:innen durch die Symphonie führte. Ein großes Bravo an alle Beteiligten für diese hochprofessionelle und aufregende Aufführung der Ersten Brahms!
Sensible Klangfarben
Der Ausdruck „Nerd“ ist untrennbar mit der Entwicklung des Computers verbunden. Ein Nerd sitzt 24/7 vor einem Bildschirm, und das ohne Nahrungsaufnahme oder Kommunikation nach außen. Mit seinen zehn Fingern am Rechner vollbringt er allerdings Wunderdinge. Könnte es sein, dass es sich bei Mykola Myroshnychenko um einen Nerd am Klavier handelt? Wenn der junge Pianist aus der Ukraine den Stella-Festsaal betritt, erkennt man eines sofort: der Weg zum und vom Flügel auf der Bühne, das Verbeugen sowie der Handshake mit dem Konzertmeister sind eindeutig nicht seine Lieblingsbeschäftigungen. Kaum hat Mykola Myroshnychenko dann aber vor den weißen und schwarzen Tasten Platz genommen, verwandelt er sich in einen großartigen Pianisten, souverän, technisch makellos und mit großer Gestaltungskraft. Er kostet die verschiedenen Stimmungen des a-moll Klavierkonzertes von Edvard Grieg aus, besonders im langsamen Mittelsatz verzaubert er seine Zuhörer:innen durch sensible Klangfarben. Nach dem brillant gespielten Finale bedankte sich der Student der Klavierklasse Anna Adamik und Gewinner des Stella-Musikpreises 2022 mit zwei Zugaben beim heftig applaudierenden Publikum. Während der Zugaben schweifen die Gedanken ab: Wäre Mykola Myroshnychenko in der Ukraine geblieben, hätte man ihn vielleicht als Frontkämpfer zum Militär eingezogen. Mit einer Waffe in der Hand. Unvorstellbar.
In allen Musikrichtungen zu Hause
Obwohl sich Benjamin Lack mit Beginn des Studienjahrs vermehrt seinen neuen Aufgaben in Graz, genauer gesagt einer Professur an der dortigen Kunstuni, widmen wollte, ist er in Feldkirch nach wie vor äußerst präsent. In der KW 49 haben ihn die Grazer vermutlich nicht oft zu Gesicht bekommen. Am Donnerstag leitete der vielseitige Musiker ein Konzert seines Kammerchores mit Musik der Renaissance, drei Tage später dann diese in der Romantik beheimatete Orchestermatinee. Dazu kamen natürlich die Proben. Die Leitung des Hochschul-Sinfonieorchesters will Benjamin Lack ja weiterhin behalten. Es wäre ein Glücksfall für diese Institution.