Hirschfelds go to Izmir
Die neue Produktion der freien Kompanie walktanztheater.com ist eine Geschichte über jüdische Diaspora auf der ganzen Welt. Für „Hirschfelds go to Izmir“ sind Brigitte Walk und ihr Team den Spuren der Familie Hermann und Karoline Hirschfeld aus Hohenems gefolgt, die im 19. Jahrhundert nach Izmir ausgewandert sind, um dort Textilhandel zu betreiben. Die Uraufführung fand in der Garage der Firma Collini in Hohenems statt.
Die Vorarlberger Theatermacherin Brigitte Walk liebt aufwendige Recherchen, um Verdrängtes oder Vergessenes zu Tage zu fördern. In einem ihrer letzten Stücke („Stickstoff“) stand Vorarlbergs Textilgeschichte im Fokus, in „Hirschfelds go to Izmir“, einem Text, den der türkisch-jüdische Autor Aksel Bonfil nach Recherchen des Theaterteams verfasst hat, geht es um das Leben von Minderheiten damals wie heute.
Zwischen Historie und Gegenwart oszillierend
Özge und Suat, ein fiktives junges Paar aus Österreich, begibt sich auf eine Reise in die Hafenstadt Izmir in der türkischen Ägäisregion. Dort treffen sie auf Hermann und Karoline Hirschfeld, die soeben ihr erstgeborenes Kind verloren haben. Die Grenzen von Raum und Zeit verschwimmen, denn die Hirschfelds stammen aus einem anderen Jahrhundert. Die Begegnung bleibt nicht folgenlos, die Reise von Özge und Suat wird zu einer Suche nach den eigenen Wurzeln, nach dem Leben als Mann und Frau mit migrantischem Hintergrund im 21. Jahrhundert.
Jüdische Community in Izmir
Brigitte Walk ist unter anderem mit dem Filmemacher Cem Bariscan und dem Schauspieler Suat Ünaldi, der – wie auch seine Schauspielkollegin Özge Dayan-Mair – aus Izmir stammt, in die Hafenstadt gereist, um dort, im Austausch mit Historiker:innen zu erfahren, dass es noch immer eine jüdische Gemeinschaft mit rund 1.300 Menschen gibt, die ihre Religion und Tradition lebt. Das Izmir Jewish Heritage Project bemüht sich um den Erhalt der Synagogen, organisiert Veranstaltungen und entwickelt Programme zur Vermittlung jüdischer Geschichte. Die interkulturellen Begegnungen und die Reise nach Izmir wurden filmisch festgehalten und von Sarah Mistura zu Sequenzen geschnitten, die die Handlung des Stücks ergänzen und Bezüge zwischen den historischen Erzählungen und den aktuellen Konflikten herstellen. Zusätzlich sind Jugendliche aus Izmir und Lehrlinge der Firma Collini mit migrantischem Hintergrund, die sich per Zoom intensiv ausgetauscht haben, in das Projekt eingebunden worden. Auch diese Sequenzen sind Teil des Theaterabends.
Der 7. Oktober 2023
Ursprünglich wollte Brigitte Walk das Stück auf den Spuren der jüdischen Hohenemser Familie Hirschfeld bereits im vergangenen Jahr zur Uraufführung bringen. Doch der Terrorangriff der Hamas auf Israel hat das Projekt gestoppt, bis sich die Kompanie, auch im intensiven Austausch mit dem Direktor des Jüdischen Museums, Hanno Loewy, dafür entschied, das Stück doch noch aufzuführen. Eine richtige Entscheidung, denn die Geschichte ist zeitlos und das Thema der Migration beziehungsweise die Frage, wie wir alle mit Minderheiten umgehen, ein hochaktuelles, nicht nur in Vorarlberg, sondern auf der ganzen Welt.
Intensives Spiel
Expressiv und intensiv ist das Spiel der beiden Schauspieler Özge Dayan-Mair und Suat Ünaldi, die mühelos zwischen dem jungen österreichischen Paar und dem Ehepaar Hirschfeld hin und herspringen und denen es mit ihrer Darstellung gelingt, zu berühren. Ein weiterer Pluspunkt sind die Kompositionen von Marcus Nigsch, die die Szenen atmosphärisch stützen und die Handlung strukturieren. Das ist auch dringend notwendig, denn an so mancher Stelle fehlt es dem Text an Dichte und Schlüssigkeit, auch wenn das Bruchstückhafte, Fragmentarische mit den am Boden liegenden Scherben bewusst hervorgehoben wird. Am Ende formt sich als Gesamteindruck, dass es wichtig und gut war, diese Produktion zu zeigen, dass aber ein noch stärkerer dramaturgischer Zugriff auf den Stoff wünschenswert gewesen wäre.
weitere Vorstellungen: 18./19./21./22.10 jeweils 20 Uhr
Collini Garage, Schweizerstraße 53a, Hohenems
https://www.walktanztheater.com/