Kris Lemsalu im Magazin 4 im Rahmen des Bregenzer Kultursommers (Foto: Magazin 4)
Annette Raschner · 05. Jun 2024 · Literatur

Helle Momente inmitten des Vergessens

Zum neuen Gedichtband von Willibald Feinig

30 Jahre war Willibald Feinig AHS-Lehrer am B.O.RG Dornbirn Schoren in den Fächern Französisch und Deutsch. Aber viel länger schon schreibt der 73-jährige Germanist, Romanist und Theologe Gedichte. Unter dem Titel „Land und Gedenken – Pays et Mémoriaux“ sind Gedichte/Poèmes aus den Jahren 1974 – 2024 im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen. Der Band umfasst 400 Seiten.

„Gelingt ein Vers, gar ein Gedicht, kommt Erstaunliches zur Sprache. Die Ferne und die vertraute Nähe – Beides nimmt den Atem und gibt ihn –, der Mut zur Selbstverteidigung und die späte Knospe, der unverblümte Blick auf Enttäuschung und Melancholie, das gewöhnliche, alljährliche, lebenslange und darum umso mehr tabuisierte Neue." (aus: „Waschzettel des Autors“)
Willibald Feinig sitzt in seinem blauen Holzhaus in Altach und erzählt mit leiser Stimme: von seinem Aufwachsen als Bauernsohn in Kärnten, von der Internatszeit in Graz und seinen fünf Jahren im Kloster Kremsmünster. Dort habe ihm der Abt erlaubt, den Tassilokelch zu zeichnen, der in der Schatzkammer des Stifts aufbewahrt ist. Dazu habe er dann auch eines seiner ersten Gedichte geschrieben. Im Buch befinde sich nun die vermutlich zwanzigste Überarbeitung dieses Textes. Viele Gedichte habe er bis zu ihrem Knochengerüst überarbeitet, immer und immer wieder. Das Älteste im Buch, eine Celan-Übersetzung, wiederum nicht. „Das hält noch.“ Aber insgesamt, sagt Willibald Feinig, sei das Gedichteschreiben eher ein Laster als eine Tugend. „Man muss damit zu Rande kommen."

EIN GEDICHT

 

ist ein heller Moment inmitten Vergessens.

Ein Gebet

zwischen Zweifel und Angst wie der Herzschlag.

Ein Gedicht ist ein dunkler Moment

im hellen Zweifel.

 

Hilde Domin hat ein Gedicht geschrieben, in dem jedes Wort selbst der Titel
[stimmt,

Hölderlin auch. Als ich es vortrug

(ich war jung), musste ich weinen.

 

Je mehr man die Sprache in ihrer Vielfalt nützen lerne, desto gewisser werde ihr Sinn und der aller Kunst, sagt Willibald Feinig, der viele seiner Gedichte auf Deutsch und auf Französisch schreibt, weil es einfach nicht wahr sei, dass man ein gutes Gedicht nicht übersetzen könne. „Das Gegenteil ist der Fall. Was nicht übersetzbar ist, ist nix.“ Manches, was er schreibe, verstehe er selbst nicht, „aber manchmal muss man etwas ins Unverständliche hinüberziehen, allerdings darf man das auch nicht kultivieren.“ Zögerlich vorantastend, mäandernd und fragend nähert sich Willibald Feinig auch schweren Themen. 
Weil Gedichte schreiben für ihn auch eine Möglichkeit sei, sich zu vergewissern und vor allem auch, den Schmerz anzunehmen.

 

DIE WIEDERGEBORENE

 

Du hast mich zu den Eichen geführt,

zu den Wurzeln, zum Kies

an das Wasser.

Du tauchtest ein

in das wechselnde späte Licht, in den Herbststrom

lange. Als du herausstiegst, warst du das Leben.

 

Willibald Feinigs Haus ist von einem hübschen Gärtchen umgeben, das er und seine Frau bewirtschaften. Beim Riebel-Kochen erzählt er von Landschaften, die ihn inspirieren und immer wieder Impulse für sein Schreiben liefern. „Für mich gibt es nur schöne Landschaften. Die Geformtheit der Erde und das Unverwechselbare jedes Landstrichs sind fantastisch.“
Willibald Feinig verwendet hin und wieder musikalische Parameter in seinen Gedichten. Aber der Musiker ist nicht er, sondern Nikolaus Feinig, einer seiner drei Söhne. Laurenz war maßgeblich an dem Buch beteiligt; er hat es gemeinsam mit Marcella Merholz grafisch gestaltet. Das feine Ergebnis kann sich sehen lassen!
Und als Leser von Gedichten? Da ist Willibald Feinig äußerst wählerisch und liest lieber wenige, dafür manche immer wieder. „Hölderlin ist für mich der Größte. Da stimmt jedes Wort. Wunderbar ist auch Christine Lavant. Rilke mag ich nicht besonders, außer die Duineser Elegien.“
Als studierter Theologe fühlt sich Willibald Feinig dem Katholizismus verpflichtet. „Auch wenn mir die Sprachlosigkeit beim Thema Mann, Frau und Sexualität ein Leiden ist. Ich versuche da eine neue Sprache zu finden.“

BRIEF

 

Möcht ich nicht alles von dir wissen, hören,

dein Sein und Bleiben,

und wer du warst und wirst

und was dich ärgert, was erstaunt,

was du ersehnst

und wie es kam, dass du so gastlich bist, so hilfreich,

und nicht ermüdest

und aus gewohntem Wasser immer neu entsteigst?

 

Und deine Sorgen, deine Not,

dein Denken, Lassen,

Zögern, eignen Sinn und Kraft?

Und bin ich neidig auf den Gast an deinem Tisch nicht

Und die Matratze, die bei Nacht dich trägt,

und möcht ich stolpern nicht, wo du dir weh getan

und deine Träume tun und nahe bei dir sein,

dem Neuen treu, das bleibt?

 

Gebrechliche, Starke,

doch wenn du in der Tür stehst,

wenn du mich musterst, prüfend,

wenn du mich grüßt mit einem Ton

wie ein Vogel, Gesang und Wort,

weiß alles ich von dir,

brauch nichts zu wissen, selig

juble.

 

Willibald Feinig: Land und Gedenken – Pays et Mémoriaux, 211 Gedichte in deutscher und französischer Sprache aus den Jahren 1974 bis 2024. Gestaltung: Marcella Merholz und Laurenz Feinig Bibliothek der Provinz, Weitra 2024, 400 Seiten, gebunden, ISBN 978 3 99126 282 4, € 24

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Juni 2024 erschienen.

Buchpräsentation und Lesung:
Fr, 7.6., 20 Uhr, B.O.RG Schoren, Dornbirn, Mod. Jürgen Thaler
Sa, 8.6., 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch, Mod. Thomas Sojer
Do, 27.6., 19 Uhr, DenkBar, St. Gallen, Mod. Patricia Begle
weitere Präsentationen außerhalb der Region: 
14.6. Atelier Jungwirth, Graz; 23.6. Ruprechtskirche, Wien; 31.8. Haus Flatz, Ebersbrunn

www.willibaldfeinig.at
www.bibliothekderprovinz.at