Peter Madsen / Adrian Mears: „Beginning Now From The Future – Live auf den Tagen der Utopie“
Im Zwei-Jahres-Rhythmus beschäftigen sich die von Hans-Joachim Gögl und Josef Kittinger gegründeten „Tage Der Utopie“ mit brennenden gesellschaftspolitischen Themen und stellen dabei vielfach visionäre Entwürfe und Lösungsvorschläge internationaler Expert:innen, Wissenschafler:innen und Künstler:innen vor. Nicht weniger Wert legt man dabei auch auf ein exquisites musikalisches Programm, das passend zu den Inhalten stimmig in den Ablauf der Festivalwoche integriert wird. Zum 20-Jahre-Jubiläum im Jahr 2023 engagierte man den amerikanischen Pianisten Peter Madsen und den australischen Posaunisten und Multiinstrumentalisten Adrian Mears, deren Auftragswerke – fünf aus der Feder Madsens, eines von Mears – auf der Kulturbühne Ambach in Götzis uraufgeführt wurden und nun in Vinylform vorliegen.
Die beiden Musiker verbindet neben der perfekten Beherrschung ihrer Instrumente und einem exzellenten Händchen fürs Komponieren auch ein ähnlicher Werdegang. Der bereits international erfolgreiche Madsen fand um die Jahrtausendwende der Liebe wegen den Weg von New York nach Vorarlberg, gründete mit dem CIA (Colletive of Improvising Artists) eine Plattform improvisierender Musiker:innen, der eine ganze Menge an interessanten Bands und Projekten entsprangen, und katapultierte dank seiner musikpädagogischen Fähigkeiten, seines enzyklopädischen Wissens und seines Charismas die heimische Jazz-Szene um gefühlte zwei Jahrzehnte nach vorne. Adrian Mears zählte zur australischen Jazz-Elite, als er in den 1990-er Jahren nach München zog, sich rasch in die deutsche Jazz-Szene integrierte, hierzulande aber vor allem als langjähriger Solist des Vienna Art Orchestra bekannt wurde – und seit zwanzig Jahren an der Musikhochschule Basel unterrichtet. Die Wege der beiden kreuzten sich unter anderem in Adrian Mears‘ New Orleans Hardbop oder für ein Musikprojekt Peter Madsens zur Valie Export-Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (2023). Man kannte sich also schon bestens, was die gar nicht immer so einfache Musik mit großer Leichtigkeit realisiert erscheinen lässt. Auf den verträumt balladesken Opener „The Wheel of Becoming“ folgt mit Mears „Interventions With Intentions“ ein experimentierfreudiges Stück mit geräuschhaftem, Beatbox-artigem Auftakt, unzähligen Twists und Turns, Ecken und Kanten und einem eigenwilligen Groove – hier kann der Posaunist sein breites Spektrum an Spieltechniken besonders reizvoll ausspielen und das Soundspektrum auf dem Didgeridoo zusätzlich erweitern. Madsen schlägt dann auf „So Many Paths to Take“ wieder zartere Töne an, die sich nach Mears kraftvollem Einstieg zu einer wundervollen Palette an emotionalen Klanggebilden erweitern. Das melodienselige „The We In Us“ klingt über weite Strecken so versonnen wie sein Titel, besonders reizvoll, wenn Madsen die tiefgrummelnde Posaune tastenreich umspielt. „Beginning Now From The Future“ ist mit Klangfarbenexperimenten auf der Posaune gespickt, während Madsen einen enormen, sich immer wieder dramatisch steigernden Drive entwickelt. Auch der Closer „They Went That-a-Way“ lässt die Klänge anfangs experimentierfreudig wogen, um dann zügig groovend drauflos zu preschen und in wilden Didgeridoo-Klängen zu gipfeln. Hier haben sich zwei Brüder im Geiste getroffen und wechselseitig zu Höchstleistungen inspiriert.
(www.tagederutopie.org)
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Juni 2024 erschienen.