Neu in den Kinos: "The crow" (Foto: Leonine)
Peter Füssl · 29. Aug 2024 · CD-Tipp

Giovanni Guidi / James Brandon Lewis / Thomas Morgan / Joao Lobo: „A New Day“

Exzellente Piano-Trios können ganz schön langlebig sein, wenn die Chemie stimmt, die musikalische Kommunikation läuft und zumindest einer dabei ist, der die Ideen sprudeln lässt. Auch der durch seinen ersten großen Mentor, den Trompeter Enrico Rava, ins internationale Jazz-Geschehen eingeführte Pianist Giovanni Guidi, der US-Kontrabassist Thomas Morgan und der portugiesische Drummer João Lobo erfreuen sich nun schon seit mehr als zehn Jahren an der hohen Kunst des Trialogs, was auf den Alben „City of Broken Dreams“ (2013) und „This is The Day“ (2015) sowie auf der mit den beiden Italienern Tenorsaxophonist Francesco Bearzatti und Gitarrist Roberto Cecchetto zum Quintett erweiterten Produktion „Avec le temps“ (2019) wunderbar nachzuhören ist.

Für „A New Day“ setzt Mastermind Guidi, aus dessen Feder vier der sieben Stücke stammen, nun auf zusätzliche Inspirationen und eine Erweiterung des musikalischen Spektrums durch den gleichermaßen einfallsreichen wie vielseitigen US-amerikanischen Tenorsaxophonisten James Brandon Lewis. Der stammt aus Buffalo, lebt in New York und schöpft aus der schwarzen Musiktradition von Gospel bis Blues, R’n‘B und natürlich den unterschiedlichsten Ausformungen der Jazz-Historie – für Begeisterung sorgten unter anderem seine brillante Jackson-Hommage „For Mahalia, with Love“, diverse Produktionen auf dem Schweizer Intakt-Label, oder erst kürzlich seine Kooperation mit dem Post-Punk-Power-Jazz-Trio The Messthetics. Schon auf dem Opener „Cantos Del Ocells“, einem von Joan Baez auf ihrem 1966-er Bestseller-Album "Noël“ als „The Carol of the Birds“ international bekannt gemachten, katalanischen Weihnachtslied, veredelt Lewis mit kraftvoll-melancholischen Linien das lyrisch beseelte Trio-Spiel. So funktioniert dieses melodienselige Christmas Carol selbst im Hochsommer! Auf den folgenden expressiven und soundfarbenreichen Stimmungsbildern – dem von Morgans Bogen-Spiel geprägten „To A Young Student“ und dem mit knapp acht Minuten längsten Stück des Albums, dem experimentierfreudigen, Percussion-orientierten „Means For A Rescue“ – bleibt das Trio unter sich. Bei der darauffolgenden Gruppenimprovisation „Only Sometimes“ beweist Lewis dann mit einem voller Inbrunst geblasenen, zwischen Sentiment und Attacke changierenden Solo, wie nahtlos er sich in den kreativen Kommunikationsprozess des bestens aufeinander eingespielten Dreiers einzufügen versteht. „Luigi (The Boy Who Lost His Name)“ startet mit einem ausdrucksstark gezupften Bass-Solo Morgans, ehe sich Guidi und Lewis mit emotionalen Statements wechselseitig inspirieren und antreiben, von Morgan und Lobo durch einfallsreiche Rhythmusarbeit zusätzlich kreativ befeuert – ganz großes akustisches Kino, zu dem nur noch die bewegten Bilder fehlen. „My Funny Valentine“, die einzige Fremdkomposition, dient weit weniger der Standards-Pflege als vielmehr als kreative Spielwiese für sensible Trio-Kommunikation. In Guidis teils nachdenklichen, teils verhalten hymnischen Komposition „Wonderland“ demonstriert James Brandon Lewis dann zum Abschluss nochmals eindrücklich seine einfallsreiche und tiefschürfende Melodiengestaltung – schöner geht’s nimmer!

(ECM/Universal)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR September 2024 erschienen.