Die Königsklasse des Liedgesanges
Der türkische Tenor Ilker Arcayürek kämpfte bei der ersten „Müllerin“ erfolgreich gegen seine Nervosität.
Franz Schuberts große Liederzyklen gelten gemeinhin als Meilensteine des Liedgesanges, ob ihrer Ansprüche zu Recht gefürchtet von Sängerinnen und Sängern, umso mehr aber geliebt vom Publikum, auch bei der Schubertiade. Da geht es rein inhaltlich, aber auch in der Befindlichkeit der Sängerpersönlichkeiten um Existenzielles. Die Zuhörer wollen nicht unbedingt steril perfekte, sondern spannende, bewegende Deutungen dieser Liedreihen hören, über die sich anschließend trefflich diskutieren lässt. Und da beginnt schon die Problematik, wie man sie am Mittwoch in Schwarzenberg beim türkischstämmigen, in Wien lebenden Tenor Ilker Arcayürek (39) und dessen Kampf um das Gelingen seiner ersten „Schönen Müllerin“ miterleben und -erleiden konnte.
Es gilt bei der Schubertiade durchaus als eine Art Ritterschlag, wenn junge Mitwirkende von Geschäftsführer Gerd Nachbauer mit einem solchen Zyklus betraut werden. Neben einem großen Vertrauensvorschuss ist da immer auch eine Portion Risikofreude mit im Spiel. So wird man auch diesmal etwas stutzig, als sich zu Beginn des Konzertes zeigt, dass entgegen des sonst meist ausverkauften Angelika-Kauffmann-Saales diesmal im hinteren Teil doch einige Reihen freibleiben. Der inzwischen auch international beachtete Ilker Arcayürek debütierte bereits 2019 bei der Schubertiade, scheint aber bisher keinen bleibenden Eindruck beim dortigen Publikum hinterlassen zu haben, wenn ihm trotz der Anziehungskraft einer „Müllerin“ doch viele Schubertianer:innen an diesem Nachmittag die Gefolgschaft versagen.
Texthänger in der „Ungeduld“
Und da machen sich zunächst doch einige Anzeichen bemerkbar, was denn die Gründe dafür sein mögen. Ausgerechnet im bekanntesten dieser 20 auswendig gesungenen Lieder, der „Ungeduld“ („Ich schnitt es gern in alle Rinden ein“), hat er einen Texthänger. Doch der bärtige, schwarzgelockte und äußerlich scheinbar lockere Künstler, den manche für ihre Tochter gern zum Schwiegersohn hätten, besitzt von Anfang an die Sympathien des Publikums, das ihm diese und andere menschliche und künstlerische Unzulänglichkeiten gerne verzeiht. Etwa auch, dass seine an sich schöne Tenorstimme am Anfang doch etwas verschleiert und flatternd klingt, wie hinter einem Vorhang, dass er in der Farbgebung, in der Dynamik oft zu einförmig bleibt, dagegen in der Agogik gemeinsam mit seinem absolut verlässlichen israelischen Pianisten Ammiel Bushakevitz in der Textumsetzung des Guten etwas zu viel tut und dadurch uneinheitlich wirkt.
Die Diktion kann man so gelten lassen, im oft etwas angestrengten Falsett dagegen gerät er leicht in einen Bereich, den man schon bei Liedlegende Peter Schreier respektlos als „Krähen“ bezeichnet hat, wenn er einmal bei einer seiner lebenslang Hunderten von „Müllerinnen“ nicht so gut drauf war. Und es wird bei Arcayürek von Lied zu Lied immer deutlicher, dass dieser junge Mann zunächst den wichtigsten Feind besiegen muss, bevor er zu seiner eigentlichen Form findet: Das ist seine Nervosität.
Schnellsprech-Wettbewerb
Der „Break Even“ passiert mit dem erfolgreich bewältigten Schnellsprech-Wettbewerb im Lied „Der Jäger“, etwa im letzten Drittel des Zyklus. Da hat er sich endlich freigesungen, findet auch ohne „Krähen“ zu traumhaften und unangestrengt hohen Pianotönen, gibt seiner Stimme in gekonnter Phrasierung auch jene Klarheit und Schönheit, die sie eigentlich besitzt. Und kann mit den letzten Liedern, wo sich die Handlung um den Müllerburschen zu dessen Freitod im Bach zuspitzt („Des Baches Wiegenlied“), endlich auch jene Erschütterung im Publikum auslösen, ohne die eine „Müllerin“ eben keine „Müllerin“ ist, sondern bloß ein beliebiger Liederzyklus. Da wird es auch mucksmäuschenstill im Saal, die Gedenkmomente nach dem letzten Ton sind lang, umso heftiger der Jubel und die Bravos der Zuhörenden, die sich schließlich sogar noch zu Standing Ovations entschließen können.
Es wäre vermessen, bei Ilker Arcayürek nach dieser anfangs doch noch etwas holprigen „Müllerin“ von einem neuen „Stern des Liedgesanges“ am Tenorhimmel zu schwärmen. Aber man sollte dem hoch talentierten, vielversprechenden Künstler die Möglichkeit zur Weiterentwicklung geben, zu lernen, auch seine Nerven im Zaum zu halten. Gerd Nachbauer hat schon vorab reagiert, indem er Arcayürek bereits bei der Schubertiade 2025 in der nächsten Stufe der „Königsklasse des Liedgesanges“ mit der ersten „Wintereise“ betraute.