Irene Villanueva Werk "Tourismusgelder erschließen die Welt" beim SilvrettAtelier. (Foto: Karlheinz Pichler)
Michael Löbl · 26. Aug 2024 · Musik

Reines Kammermusikglück in Schwarzenberg

Die Musikstücke sind bestens bekannt, dasselbe gilt für die Interpret:innen. Und doch ist fast jedes Schubertiade-Konzert durch das unglaublich hohe musikalische Niveau ein Juwel in der Vorarlberger Kulturlandschaft. So auch am Sonntag im Angelika-Kauffmann-Saal.

Renaud Capuçon und Guillaume Bellom (Violine und Klavier) sowie der Pianist Francesco Piemontesi sorgten in zwei aufeinanderfolgenden Konzerten für Gänsehauteffekte und stürmische Begeisterung beim Publikum.

Die Schubertiade steht ja in dem Ruf, ihre Programme und die darin enthaltenen Werke regelmäßig zu wiederholen, was natürlich vor allem der Konzentration auf Franz Schubert und dessen Umfeld geschuldet ist. Die Zuhörenden scheint das aber nicht zu stören. So hat Renaud Capuçon sein Eröffnungsstück, Schuberts g-moll Sonatine D 408, erst vor zwei Jahren in Schwarzenberg gespielt, im Juni 2025 wird er sie dem Schubertiade-Publikum schon wieder präsentieren, dann sogar mit demselben Klavierpartner Guillaume Bellom. 

Wildern im Klarinettenrepertoire

Für gewöhnlich bedienen sich Musiker:innen, deren Instrumente von bedeutenden Komponisten stiefmütterlich behandelt wurden, in artfremdem Repertoire und bearbeiten Werke für ihre Zwecke. Selten geschieht dies allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Die beiden Sonaten op. 120 hat Johannes Brahms für den Klarinettisten Richard Mühlfeld geschrieben und alle Spieler:innen dieses Instrumentes sind dem Komponisten für diese Meisterwerke unendlich dankbar. Dass sich ein Geiger hier bedient, scheint zunächst einmal seltsam, denn seine Zunft kann sich ja über einen Mangel an Sonaten mit Klavier überhaupt nicht beklagen. Muss man da wirklich im Revier der armen Klarinettist:innen wildern, obwohl es doch drei explizit für Violine und Klavier komponierte Sonaten von Brahms gibt? Die Renaud Capuçon auch kommenden Juni in Schwarzenberg spielen wird? Tatsächlich aber war es der Komponist selbst, der diese dritte Fassung (die zweite ist für Viola) für Violine und Klavier erstellt hat, mit einigen Änderungen sowohl in der Streicherstimme als auch beim Klaviersatz. Der Reiz dieser Version besteht darin, dass die Violine häufig auf den drei tieferen Saiten zu hören ist und nicht ständig die höheren Regionen der e-Saite erklimmen will. Die Sonate in Es-Dur op. 120/2 ist jedenfalls in allen Fassungen ein wunderbares Stück und funktioniert perfekt mit allen drei Instrumenten.
Renaud Capuçon spielt eine Violine von Giuseppe Guarneri del Gesú, die sich früher im Besitz des berühmten amerikanischen Geigers Isaac Stern befand. So schön dieses unglaubliche Instrument bei Schubert und Brahms klingt, ihr volles Potential können der Geiger und sein Instrument erst nach der Pause ausschöpfen. In Richard Strauss‘ Violinsonate op. 18 laufen Renaud Capuçon, die Guarneri del Gesú aber auch der Pianist Guillaume Bellom zur Höchstform auf. Der intensive Klang, den Capuçon und seine Violine in den großen Steigerungen des ersten und dritten Satzes entwickeln, kombiniert mit der perfekten Kammermusik-Akustik des Angelika-Kauffmann-Saales, das hat hohes Suchtpotential. 

Singen am Flügel

Knappe drei Stunden Verschnaufpause bis zum nächsten Konzert mit dem aus Locarno stammenden Pianisten Francesco Piemontesi, wie Renaud Capuçon ebenfalls ein langjähriger Schubertiade-Stammgast. Bekannt ist er in erster Linie für seine Mozart- und Schubert-Interpretationen, seine letzte CD ist allerdings Musik von Franz Liszt gewidmet und in der kommenden Saison wird er unter anderem in Japan Bela Bartóks Drittes Klavierkonzert aufführen. Sein Auftritt zeichnete sich durch eine grandiose Steigerung von Beethoven zu Schubert aus, mit dem Höhepunkt der ersten Zugabe, Johann Sebastian Bachs „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni. Francesco Piemontesi baute hier eine derartige Spannnung auf, dass es das Publikum wirklich von den Sitzen riss. Selbst einen erfolgsverwöhnten Musiker wie ihn schien diese Reaktion zu überraschen. Das Programm hatte begonnen mit Ludwig van Beethovens „Waldsteinsonate“ op. 53, zwar sehr gut gespielt, aber noch weit entfernt vom Niveau des weiteren Konzertverlaufes. In der darauffolgenden Beethoven-Sonate E-Dur op. 109 begeisterten die Kontraste der gesanglichen Teile im ersten und dritten Satz mit dem packenden Zugriff des dazwischenliegenden Prestissimo. Francesco Piemontesi bringt den Steinway-Flügel zum Singen, das wurde dann im zweiten Konzertteil deutlich. Selbst für hohe Schubertiade-Maßstäbe war seine Interpretation der Impromptus D 935 außergewöhnlich. Jedes der vier Stücke hatte eine eigene Sprache und Dramaturgie, die Tempi waren perfekt gewählt, die lyrischen Passagen bekamen Zeit sich zu entfalten und erinnerten an Liedgesang in höchster Vollendung. Die virtuosen Teile, auch jene der den Impromptus vorangestellten „Grazer Fantasie“ D 605a, gelangen makellos und zeigten, dass Francesco Piemontesi auch ein großartiger Techniker ist. Bravorufe, Standing Ovation, Zugaben – siehe oben!

www.schubertiade.at