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Mirjam Steinbock · 21. Nov 2016 · Gesellschaft

Gehen lassen statt loslassen - Vier Persönlichkeiten teilen ihre Erfahrungen mit Sterbebegleitung bei den Montforter Zwischentönen

Weder Lesung, Konzert noch Vortrag und schon gar keine Performance ist diese Veranstaltung, die anlässlich der Montforter Zwischentöne unter dem Thema „sterben. Über das Loslassen“ stattfindet. Wer klare Zuschreibungen und Kategorisierungen mag, sollte bei dem Festival in Feldkirch, das den Namen zum Programm macht und mit Zwischentönen spielt, gewohnte Modelle möglichst über Bord werfen und sich überraschen lassen.

„Quintett für Sterbegleiter und Cello“ ist der Name des Abends und die Betitelung ist treffend gewählt. Um ein Musikstück mit fünf Stimmen handelt es sich wahrlich und jede Stimme, die hier ein Solo erhält, entfaltet ihren vollen, sonoren Klang. Der Festsaal des Landeskonservatoriums bietet den feierlichen und würdevollen Rahmen dieser Vorstellung. Die Bühne ist schlicht gehalten mit einem weißen Hintergrund und gedämpftem Licht. Lediglich eine Holzbank und ein Mikrofon gehören zur Ausstattung. Bereits vor Beginn der Vorstellung sitzen die ExpertInnen -  ein Arzt, ein Priester, eine Angehörige und ein Hospiz-Begleiter - auf der Bank und warten. Auch der Cellist Peter Bruns hat inmitten des Publikums auf einem Podium Platz genommen. So wartet man gemeinsam auf den Beginn während sich im gut besetzten Saal ganz langsam eine dem Thema entsprechende Atmosphäre ausbreitet.

Resonanzverstärkung mit Cello

Peter Bruns, renommierter deutscher Cellist mit Engagements weltweit, spielte unter anderem mit der Akademie der Alten Musik Berlin. Mit seinem knapp dreihundert Jahre alten Cello, das auch schon im Besitz des spanischen Musikers Pablo Casals war, läutet er den Abend ein. Bruns´ Spiel ist passioniert, das wird beim ersten Strich deutlich. „Ich versuche, auf dem Instrument zu sprechen.“, sagte er einmal selbst. Tatsächlich ist sein Strich ein intensiver, er scheint den Klang des Cellos aus dem Innersten des Resonanzkörpers herausatmen zu wollen. Auf das Cello-Stück folgt die erste Erfahrung des Abends mit Karl W. Bitschnau. Der Leiter des Caritas-Bereiches „Hospiz Vorarlberg“ beginnt über sein Erleben mit Sterbenden und ihren Angehörigen zu erzählen. Bitschnau trägt dies wie auch die anderen ExpertInnen frei vor. Einzig sieben vorab gestellte Fragen bilden die Basis für eine Struktur und machen die einzelnen Erzählungen miteinander vergleichbar. Welche Erlebnisse mit sterbenden Menschen besonders berührend waren, was das Sterben erleichtert und erschwert, welche Auswirkungen Sterbebegleitung auf das eigene Leben hat oder wie die Vortragenden selbst sterben möchten, waren einige der anregenden Impulse.

"Hospiz Vorarlberg" ist die beratende Anlaufstelle für Menschen mit schweren Erkrankungen sowie deren Angehörigen. Rund 200 ehrenamtlich Tätige sorgen dafür, dass in ganz Vorarlberg eine würdevolle Sterbebegleitung stattfinden kann. Karl W. Bitschnau fiel während seiner langjährigen Tätigkeit auf, dass Sterbende selbst oft sehr gut mit der Situation zurecht kommen, die Sorge um die Angehörigen hingegen eine große Herausforderung für sie darstelle. „Sterben gehört zum Leben“, sagt Bitschnau und erläutert, wie wichtig es der Hospiz Vorarlberg ist, für eine wohltuende Nähe zu sorgen - eine, die Freiheit für die Betroffenen schafft. Auf die Frage, wie er selbst sterben möchte, gesteht er: „Heute muss ich sagen, am liebsten gar nicht.“ Hoffnung hege er jedoch, zufrieden auf sein Leben zurückblicken zu können und schließlich alle wiederzusehen.

Im Gespräch bleiben

Elmar Simma, Pfarrer in Göfis und langjähriger Caritas-Seelsorger gibt ebenso eindrücklich seine Erfahrungen mit Sterbebegleitung preis. „Wir weinten natürlich“, erzählt er von einer Begebenheit mit einer Trauerfamilie und appelliert gleichzeitig: „Wenn wir akzeptieren, dass wir endlich sind, können wir endlich leben.“ Wie wichtig Gespräche sind, auch das erläutert Simma anhand konkreter Beispiele. Und er betont, dass der Sterbeprozess eines Menschen individuell ist und für andere manchmal überraschend sein kann. Simma klingt betroffen, wenn er von einer Sterbenden erzählt, die aus dem Fenster sprang. Sie habe ihn, der sie mit Gesprächen und Präsenz begleitete, an diesem Abend weggeschickt und dann ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt. Von stillen Trauerfeiern, die in Vorarlberg immer öfter zu beobachten seien, hält der Pfarrer nicht viel. Dass eine Gemeinschaft die Möglichkeit hat, Trauer mitzutragen und ein Grab zu besuchen, erachtet er als immens wichtig. Und auch wieder eine Kultur des Trauerns zu schaffen, die Kinder mit einbezieht. „Kinder gehören dazu. Sie haben eine natürliche Begabung, mit dem Tod umzugehen. Wenn sie zu viel haben, dann gehen sie eh“, sagt Simma. Von seinem eigenen Tod würde er sich wünschen, diesen letzten Akt des Lebens ganz bewusst miterleben zu können.

Gehen lassen

Einen langen und ebenfalls sehr bewussten Sterbeweg erlebte Maria Hammerer. Mehrere Jahre begleitete sie ihre Mutter bis zu deren Tod. Die ehrenamtlich tätige Hospizbegleiterin erzählt, wie die Mutter es erst beim dritten Mal schaffte, sich vom Leben zu verabschieden. Viele gemeinsame Gespräche zwischen Mutter und Tochter zeigten, dass die Sorge um die Tochter den Tod behinderte. Auf Maria Hammerers Frage, was die Mutter denn bedrücke, sagte diese: „Weißt Du, ich würde so gern länger bei dir bleiben.“ Maria Hammerer ist der Meinung, dass ein Da-sein und ein Ja-sagen zum Sterbeweg in dieser Situation das beste sei - für die Sterbenden als auch für die Hinterbliebenen. Das Thema Loslassen sieht Hammerer aus einer anderen Perspektive: „Müssen wir einen Verstorbenen wirklich loslassen? Ist es nicht eher ein Gehen-lassen? Ich kann weiter mit meiner Mutter verbunden sein und muss sie nicht loslassen.“ Auf eine besondere Weise beschützt fühle sie sich jetzt, sagt sie. Sie habe mittlerweile eine neue Lebensfreude entdeckt, die sie vorher nicht kannte. „Das Letzte, was meine Mutter mich lehrte, war Sterben.“

Wichtig ist die Hoffnung

Die Erfahrungen von Otto Gehmacher, des vierten Experten, beruhen darauf, den Menschen bis zuletzt zu würdigen und ihm Hoffnung zu vermitteln. Gehmacher ist leitender Oberarzt der Palliativstation in Hohenems. Er setzt sich bei seinen PatientInnen für den Erhalt von Lebensqualität und Wohlbefinden ein. „Platz für Hoffnung muss immer bleiben.“, sagt der Arzt und erzählt, dass die Vermittlung von Sicherheit und Geborgenheit hilft, den Menschen auch in der Zeit des Sterbens stets mit Würde zu begegnen. Seiner Erfahrung nach haben viele Menschen mehr Angst vor dem Leiden als vor dem Tod selbst. Gehmacher bietet hier den Zugang zu schmerzlindernden Medikamenten. Als Option, die Trost spendet und den PatientInnen eine Entscheidungsfreiheit gibt. Er selbst würde sich einen schnellen Tod wünschen, im Schutz der Familie.

Sterben und sein würdiger Platz im Leben

Die einfühlsamen und mit ausdrucksstarker Präsenz vorgetragenen Berichte der vier SterbegleiterInnen machen Mut und geben Hoffnung. Der Abend, der ganz im Zeichen einer wertschätzenden Sterbebegleitung steht, wird sicher eine Weile nachklingen. Das Spiel von Peter Bruns bettet die Erzählungen ein, mit der Auswahl vor allem melancholisch anmutender Stücke verstärkt es jedoch eine zunehmende Stille im Publikum. Inwieweit das von den Veranstaltern gewollt ist, bleibt offen. Das Zusammenspiel der Stimmen, die der vokalen als auch instrumentalen, ist mehr zu erahnen als spür- und hörbar. Auch wenn es das verbindende Element der vorab gestellten Fragen gibt, bleiben die Erzählenden Solisten und ein lebendiger Dialog zwischen Musik und Worten mag sich nicht recht ergeben. Etwas Leichtes und Erheiterndes hätte die Vielfalt des Themas sicher bereichern können. Einen ermunternden Zwischenton, der das Thema Sterbebegleitung von einer lebensfrohen und bestärkenden Seite hätte darstellen können.

So bleibt eine gewisse Schwere zurück, verstärkt durch die Erinnerung an eine Liturgie, wenn die Vortragenden geduldig und fast unbewegt auf einer ungepolsterten Holzbank sitzen und auf ihr Solo warten. Dennoch wird das vorwiegend ältere Publikum die einzelnen, sehr berührenden Botschaften der Erzählenden sicher weiter tragen und dafür sorgen, dass über das Sterben gesprochen wird und dass es seinen würdigen Platz im Leben erhält.

Nächste Veranstaltung der Montforter Zwischentöne unter dem Thema „entscheiden! Im Ungewissen wählen...“ vom 24. bis 26. Februar in Feldkirch