Geschichten aus der Steckdose
Neue Ausgabe der Literaturzeitschrift V#40 zum Thema „Ach, KI! Literarische Beiträge zu sprachbasierter Künstlicher Intelligenz“
Sie sind zwischen 23 und 76 Jahre alt, widmen sich beruflich dem Schreiben – und damit zwangsläufig auch ChatGPT und co. Wie sich das anfühlt, davon erzählen 26 Autor:innen in der Literaturzeitschrift V#40.
Was ist dran an Dall-E und ChatGPT? Sabine Benzer und Marie-Rose Rodewald-Cerha haben für die aktuelle Ausgabe der Literaturzeitschrift V quer durch Österreich Kulturschaffende um Beiträge gebeten. Für den Umschlag zeichnet der Fotograf Gerhard Klocker verantwortlich – und der verlegt sich auf Humor. Nichts als Klischees hat er für sein KI-generiertes Foto ausgesucht: Kate Moss im gelben Bikini an einem Palmenstrand usw. Ziel erreicht: Weder das Model noch ein sich küssendes Paar machen einen halbwegs menschlichen Eindruck (geschweige denn einen attraktiven). Damit ist klar, welches Unbehagen viele Kulturschaffende angesichts der unaufhaltsamen Ausbreitung von OpenAI-Basteleien beschleicht.
Gnadenlose Redundanz nervt Linda Achberger an ChatGPT: „Sag es mir in maximal 500 Zeichen, bitte, danke, höre auf dich zu entschuldigen. Ständig. Bitte höre auf.“ Muhammet Ali Baş füttert das System mit Fragen zum Thema Menschenwürde, um mit dem Satz zu enden: „Erspare mir dabei deine Antwort.“ Katharina Klein spielt mit DAN und STAN, also jenen Jailbreak Prompts, mit denen man die ethischen Richtlinien von ChatGPT aushebeln kann. Wie böse das bisweilen endet, davon erzählt mit Witz und Esprit Günter Köllemann.
Antike Tragödien
Als „Prometheus 2.0“, als „digitale Variante des griechischen Helden, der den Menschen einst das Feuer brachte“, bezeichnete Eva Konzett im „Falter“ das Sprach-Spielzeug. Und auch Udo Kawasser bemüht in V#40 die Antike. Er ist ja nicht der einzige, den das entwürdigende Gezerre um die Bestattung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny an „Antigone“ erinnerte. Seltsamerweise aber stellt Kawasser in seiner Polemik „Warum ChatGPT nichts ,weiß‘ und darum kein Bernstein wird“ keine ethischen, moralischen oder politischen Fragen an die Open-AI, sondern solche nach lyrischen Formen. Dass die KI dabei blöd aussieht – geschenkt, schließlich sind antike Versmaße nicht unbedingt das primäre Ziel ihrer User:innen.
Mehrheitlich zeigen sich die Autor:innen in Spiellaune. Fragen, wie sie etwa Alexander Wachter im Epilog formuliert, werden allenfalls gestreift. Wie verhält es sich etwa mit Urheberrecht oder Quellenangaben, „wenn sämtliche Daten durch ihre Vorverarbeitung auseinandergepflückt und beliebig wieder zusammengefügt wurden“? Und wer beschäftigt sich mit der Gefahr, „dass Nutzer:innen in eine sogenannte Filterblase geraten, in der sie nur diejenigen Informationen erhalten, die sie erwarten“? Hat sich nicht die Radikalisierung in solchen Filterblasen bereits recht bedrohlich bemerkbar gemacht?
Fromme Wünsche
„Künstliche Intelligenz soll die Handlungsmöglichkeiten von Menschen erweitern und sie nicht verringern“, formulierte der deutsche Ethik-Rat. Ein frommer Wunsch, mehr aber auch nicht, vermutet Christine Hartmann, und „dass KI-Technologien das Potenzial haben, den kreativen Prozess zu erweitern“, glaubt sie schon gar nicht. Sie fragt vielmehr nach dem gigantischen Energieverbrauch, der in Richtung ähnlicher Umweltzerstörung wie bei den Kryptowährungen geht. Daniel Nachbaur sekundiert: „deine liebe“, klagt er ChatGPT an, „fließt aus der steckdose“. Als ein letztes bildungsbürgerliches Aufbäumen liest sich „Keine Ode an die Künstlichkeit“, wenn er reichlich Goethe, Rilke und Wittgenstein zitiert und OpenAI hinwirft: „deine poesie riecht nach großbäckerei“.
Das mache gar nichts, findet Erika Kronabitter. Klar, die KI sei „nur ein Strudelteig“, aber schließlich backe heute niemand mehr einen Apfelstrudel mit selbst gezogenem Teig.
Systemrelevant sein
Einige polemische Fragen stellt Christian Kühn: Warum wirft sich die schreibende Zunft – vom PEN-Club über Autor:innenvereinigungen bis zu diversen Nobelpreisträger:innen derart euphorisch auf diese „schön debilen Textvariationen“? Aus reiner Eitelkeit, vermutet Kühne. So sei man „endlich systemrelevant … Priester:innen unseres kybernetischen Gottesdienstes … Da du das ultimative Update der diktatorischen Bürokratie- und Verwaltungssysteme der letzten Jahrhunderte warst, ernannten sich die Schriftsteller:innen zu deinen hochrangigsten Beamten.“
Slata Roschal überprüft ChatGPT auf literarische Tauglichkeit und stellt nüchtern fest: „… mit Ironie, Absurdität, Metasprache und vor allem künstlerischem Sprachgebrauch tat sich ChatGPT schwer. Im Bereich von Genreliteratur und Kitsch kann KI eine ernsthafte Konkurrenz für die Buchbranche darstellen.“ Für die Branche wohl nicht, aber für die Autor:innen, wobei man in V#40 vielen von ihnen, auch Slata Roschal, ein ordentliches Lektorat gewünscht hätte. Denn grosso modo zeigt sie ChatGPT grammatikalisch sicherer als so mancher Autor und manche Autorin. Und konstruiert auch nicht Satzmonster wie: „Auch ohne sich seiner ständig bewusst zu sein, macht sich das Leben schwer.“
Phrasen dreschen
An die Zeit, als ein Atari-Computer noch eine Sensation war, erinnert sich der 76-jährige Essayist Franz Schuh. Journalist:innen hatten überhaupt keinen PC. Sie pickten Textausschnitte „in der gewünschten Ordnung mit UHU zusammen“. Besser als heute waren die Texte deshalb nicht, aber auch nicht schlechter.
Wie programmiert lesen sich im Allgemeinen auch Fantasy und Science Fiction. Lisa Spalt kombiniert dafür automatische Übersetzungen mit Zitaten etwa aus Margaret Cavendishs „The Blazing World“, und man liest nicht ohne stilles Vergnügen: „Cavendishs literarische linke Hand pixelt zwar ein wenig, und zwei Finger scheinen verkehrt herum angenäht, aber die Figur ist erleuchtet, und ich weiß, ich muss ihrem Beispiel folgen.“ Wenn dagegen Michael Stavarič via „prompt writing“ ein Zukunftsszenario für die Stadt Zürich entwickeln lässt, entsteht eine Kitschszenerie, neben der Barbie-Land wie staubtrockene Realität aussieht. Ob das wohl all die zuckrigen Versprechen der OperAI auf den Punkt bringt?
Friendzone
Marlene Streeruwitz gibt keine Befehle ein. „My AI“ ist das durch und durch fremdbestimmte Aufwachsen eines Mädchens in den 1960er Jahren, wo man grundsätzlich alles „so“ macht, wie es vorgegeben wird. Nicht eben eine „friendzone“. Die aber entwirft Ines Strohmaier. Einen Roman soll ChatGPT für sie schreiben, und zwar einen Nobelpreis-würdigen, tiefgründig wie von Annie Ernaux, kritisch wie von Elfriede Jelinek. Und ChatGPT liefert sogar den Klappentext dazu – einen, der an Erbärmlichkeit schwer zu übertreffen sein dürfte: „In ,Zwischen den Schritten‘ führt uns der Autor durch ein Labyrinth der Gedanken, gewoben aus den Fäden des Lebens.“ Nein, für nobelpreiswürdige Romane kommt ChatGPT vorläufig echt nicht in Frage!
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Juni 2024 erschienen.
V#40 „Ach, KI! Literarische Beiträge zu sprachbasierter Künstlicher Intelligenz“, Hrsg. v. Sabine Benzer und Marie-Rose Rodewald-Cerha, literatur : vorarlberg, Feldkirch 2024, 256 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-903240-64-3
Präsentation V#40 „Ach, KI! Literarische Beiträge zu sprachbasierter Künstlicher Intelligenz“
mit Jürgen-Thomas Ernst, Christine Hartmann, Daniel Nachbaur, Ines Strohmaier, Siliarosa Schletterer
Do, 4.7., 19 Uhr
Firma Omicron, Klaus
www.literatur-vorarlberg.at/v/