Fuchsthone Orchestra – experimentierfreudig, einfallsreich, engagiert
Das 22-köpfige Jazzorchester aus Köln begeisterte am Dornbirner Spielboden
Christina Fuchs und Caroline Thon – beides Saxophonistinnen mit reichhaltigen Jazzorchester-Erfahrungen – haben ihre Kreativität gebündelt und steuern zu gleichen Teilen ihre für das Orchestra maßgeschneiderten Kompositionen bei, die sie jeweils auch selber dirigieren.
Beide scheren sich keineswegs um irgendwelche musikalischen Genregrenzen, sondern bedienen sich souverän im bunten Gemischtwarenladen der Musikgeschichte – Jazz unterschiedlichster Prägung eh klar, aber auch Einflüsse zeitgenössischer Musik, energievoller Rock, Electronics, Noise spielen wichtige Rollen. Und ein traditioneller sardischer Volkstanz („Mamoiada“) oder eine Violinsonate des virtuosen, in Dresden tätig gewesenen Barock-Geigers und Komponisten Johann Georg Pisendel („Lednesip“) können ebenso als Inspirationsquellen dienen. Alle Kompositionen sind überaus reich an Details und an rhythmischen und harmonischen Überraschungen und durchlaufen eine Vielzahl an Stimmungen und Atmosphären. Sie schwelgen in üppigen, druckvollen und farbenreichen Orchesterpassagen, die in reizvollem Kontrast zu intim wirkenden Soli oder Duo- und Trio-Interaktionen stehen.
... exzellente Musiker:innen ...
Eine unverwechselbare Prägung erfährt der ohnehin schon reichhaltige Sound des Fuchsthone Orchestra durch die einfallsreiche und geschmackssichere Electronics- und Samples-Spezialistin Eva Pöpplein, die von den beiden Komponistinnen schon frühzeitig in den Kompositionsvorgang einbezogen wird und somit musikalisch quasi immer schon von Anfang an eine wichtige Rolle einnimmt – auch beim Konzert agiert sie zentral im Bühnenvordergrund. Sie ist meilenweit vom Schicksal mancher Kolleg:innen entfernt, die zu einem fertigen musikalischen Produkt nur noch elektronische Verschönerungen oder Retro-Synthie-Sahnehäubchen beisteuern dürfen. Ebenfalls zentral, aber im Hintergrund positioniert ist das aus Drummer Jens Düppe und Bassist Alex Morsey bestehende, gleichermaßen energiegeladene, wie wendige Rhythmusgespann, das den zwanzigköpfigen Klangappart stets mit den passenden rhythmischen Impulsen versorgt und zusammenhält. Rechts (aus der Sicht des Publikums) von ihnen der Blechbläser-Block mit vier Trompeten und vier Posaunen, links fünf Saxophone, E-Gitarrist Wolf Schenk, Geigerin Zuzana Leharovà und Pianistin Laia Genc. Allesamt exzellente Instrumentalist:innen, fast alle erhalten auch die Gelegenheit, das Publikum mit expressiven Soli zu begeistern.
... und last but not least Filippa Gojo
Nun wäre es natürlich ein Leichtes, dem Schreiber dieser Zeilen Lokalpatriotismus vorzuwerfen, denn Filippa Gojo stammt bekanntlich aus Bregenz, aber die Absolventin der Hochschule für Musik und Tanz in Köln kann sich längst locker mit der Elite internationaler Vokalartist:innen messen. Mit ihrer dunklen, warmen, äußerst wandlungsfähigen Stimme schmiegt sie sich wie ein weiteres Instrument als zusätzliche Klangfarbe in den facettenreichen Orchestersound, oder interpretiert Texte von Lukrez über Poe bis Sartre. Einfach phänomenal wirkt sie aber, wenn sie ihrer Vokalartistik freien Lauf lässt und ohne Netz und doppelten Boden wild und ungestüm frei improvisiert. Stimmakrobatik auf allerhöchstem Niveau, mit der sie immer wieder aufs Neue verblüfft, denn gerade in diesem Bereich scheint sie ständig noch zuzulegen.
Musik zu engagierten Themen
Allein schon der musikalische Ideenreichtum, die facettenreichen Kompositionen und das herausragende Können der Akteur:innen würden einen Auftritt (oder auch das Album) des Fuchsthone Orchestra zum Eldorado für abenteuerlustige Musikfans machen, aber Christina Fuchs und Caroline Thon verbinden ihre Klangkunstwerke zusätzlich auch mit philosophischem Background und gesellschafts- und umweltpolitischem Engagement. Dabei gelingen ihnen mitunter unerwartete Gedankenkonstruktionen. Hinter Thons „The Truth of J.P.S.?“ steht etwa die Überlegung, wie in 50 Jahren ein Kulturwissenschaftler die Auswirkungen der Covid-Pandemie auf die Kunst bewerten wird, und weshalb solche Überlegungen jenen Gefühlen, die sie beim ersten Lesen von Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ hatte, ähnlich sind. Auf „Iceland“ von Christina Fuchs lässt Eva Pöpplein Gletscher und Eis – Unheilvolles verheißend – knacken und brechen, während Gojo über Zitate aus den aufwühlenden Reden Greta Thunbergs improvisiert. Solche gedanklichen Hintergründe machen die Attacken auf die üblichen Hörgewohnheiten natürlich noch spannender – vorausgesetzt man will sich beim Musikgenuss nicht nur berieseln lassen. Aber dafür wären die Konzerte der Jazz&-Reihe am Spielboden ohnehin nie geeignet. Das Fuchsthone Orchestra hat jedenfalls schon mit dem Debütalbum seinen unverwechselbaren Sound gefunden, den es auf der Bühne als kraftvolles Statement auch brillant umzusetzen versteht. Der folgende Schlusssatz ist zwar längst als häufig verwendete Floskel in Verruf geraten, aber in diesem Fall geht’s wirklich nicht anders: Man darf auf den weiteren Output der sympathischen Kölner Großformation gespannt sein.
www.fuchsthone.com/
Weitere Jazz&-Konzerte am Spielboden
Do, 2.11., 20.30 Uhr: David Helbock Austrian Syndicate
Do, 14.12., 20.30 Uhr: KID BE KID
Do, 28.12., 20.30 Uhr: Jazzorchester Vorarlberg feat. Martin Eberle & Benny Omerzell
www.spielboden.at