„Memory“ - neu in den Vorarlberger Kinos (Foto: Teorema)
Peter Füssl · 17. Sep 2024 · CD-Tipp

Florian Willeitner: „What the Fugue“

Ein bisschen schade ist es schon, dass „fugue“ wie „fju:g“ und nicht wie „fʌk“ ausgesprochen wird, denn ein verblüfftes und bewunderndes „what the fuck“ liegt einem durchaus auf der Zunge, wenn man das gleichnamige Album des New Piano Trio zum ersten Mal hört. Unkonventionelle Verbindungen und Überlagerungen zwischen Klassik und Jazz, oder interessante Übereinstimmungen und Parallelen zwischen unterschiedlichsten Ausformungen ethnischer Musik zu finden, gehört schon lange zu den musikalischen Leidenschaften des Geigers, Komponisten und Masterminds des Trios Florian Willeitner, der mit Cellist Ivan Turkalj und Pianist Alexander Wienand bereits zwei Stilgrenzen-überschreitende Alben herausgebracht hat.

Wenig verwunderlich ist deshalb nun auch ihr Versuch, zwischen der Strenge barocker Fugenkunst und den Freiheiten des zeitgenössischen Jazz bislang unbeschrittene neue Wege zu finden, von Erfolg gekrönt. Dabei ließ sich Willeitner sowohl von der Kontrapunktik von Bach und Schostakowitsch inspirieren, wie von westafrikanischer Groove-Music. In Letzterer „wirken hochkomplexe Geflechte einer Vielzahl gleichberechtigter Stimmen symbiotisch miteinander“, so der 33-jährige, aus Passau stammende Meisterschüler Benjamin Schmids. Die 13 Stücke des Albums – zwei von Pianist Wienand und elf von Willeitner komponiert – werden in vier „Keys“ genannte, charakteristische Tonsprachen unterteilt. Key 1 – mit „Orient“ betitelt – ist dem armenischen Pianisten Tigran Hamasyan gewidmet und startet mit „Tigran’s Prelude“ sehr stimmungsvoll und verhalten-melancholisch, verwandelt sich aber über eine Länge von fast acht Minuten hinweg in eine vibrierende, spannungsgeladene Up-tempo-Nummer. In orientalischen Färbungen schwelgt „Abde(l)“, wobei Willeitners Spiel an Jazz-Violinisten von Grappelli bis Ponty und Lockwood erinnert. Die „Fuga in Odd“ scheint etwas näher am klassischen Duktus angesiedelt zu sein, wartet aber ebenfalls mit einigen Überraschungen auf. Key 2 heißt „The Super Ultra Hyper Mega Meta“ und spürt in fünf „Dimensions“ genannten Stücken den unkonventionellen Harmonie-Vorstellungen des dreißigjährigen Londoner Multiinstrumentalisten, Komponisten und mehrfach mit Grammys ausgezeichneten Jacob Collier nach. Dies sind die Ruhepole des Albums. Impressionistische Stimmungsbilder mit einem meditativ hingetupften „Centrum“ in der Mitte und donnernden Piano-Schlägen in „Fuga“. In Key 3 „Bach“ beschäftigen sich Willeitner und Wienand mit den Präludien von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ – ein Titel wie „JSB on LSD“ macht aber klar, dass es hier nicht um hehre Klassikerverehrung geht, wenngleich die Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition durchaus fundiert ist. Der vierte und letzte Key – „The Twinkle“ benannt – ist dann eine Hommage an den von Florian Willeitner hochverehrten Komponisten Sergej Prokofjew, dessen musikalischer Schalk durchaus auch dem Violinisten im Nacken sitzt. Man erinnere sich etwa an das geniale 2021-er ACT-Album „First Strings on Mars“, wo Willeitner in Georg Breinschmid und Igmar Jenner kongeniale Mitstreiter gefunden hatte. Aber zurück zum neuen Album des New Piano Trio: im letzten Stück „Sergeys Zwinkern“ werden auf siebeneinhalb Minuten Länge nochmals auf höchst eindrucksvolle Weise Einfallsreichtum und Spielwitz, Kreativität und Virtuosität der drei bestens aufeinander eingespielten Akteure gebündelt. What the fuck!

(ACT)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR September 2024 erschienen.