Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 28. Feb 2018 · Film

Wiener Filmfestival widmet sich der Frage „What is porn?“ – Mit Vorarlberger Beteiligung

Von 1. bis 4. März werden in Wiener Kinos Pornos der anderen Art und fernab vom Mainstream in Form von Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilmen präsentiert. Unter den 91 Filmen, die im Rahmen dieses ersten österreichischen „Porn Film Festivals“ gezeigt werden, befindet sich auch ein kunstvoller Beitrag aus Vorarlberg. Der von Katharina Schöch und Tobias Chromy produzierte Kurzfilm mit dem Titel „Ars Erotica“ hat mit Sexkino allerdings absolut nichts am Hut.

In der Intention der Organisatoren des „Porn Film Festivals“ ist es, dieses Genre abseits der Mainstream-Industrie und gängigen Internet-Portalen nicht nur auf die große Leinwand zu bringen, sondern durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Publikum den öffentlichen Diskurs anzuregen. Gängige Klischees und problematische Rollenbilder der Mainstream-Pornoindustrie stehen dabei ebenso zur Diskussion wie technologische Entwicklungen - etwa in Richtung Pornografie in virtueller Realität. Da Mainstreampornos Frauen oft objektivierend darstellten, konzentriere sich das Festival auf alternatives Material, so die Organisatoren. Wobei die Schwerpunkte auf Österreich, Feminismus und LGBT-Sichtweisen lägen. Mit dem diversen Programm wolle man alle Menschen ansprechen.

Im Verlauf der vier Festivaltage werden nicht nur explizite Filme, davon allein 91 Kurzfilme, gezeigt, sondern auch Vorträge, Diskussionen und Workshops veranstaltet. Diverse Thematiken wie Virtual-Realtiy-Pornos sowie Pornosucht werden angerissen, es gibt eine erotische Rätselrallye durch Wien und einen „Bondage for Beginners“-Workshop. Als einen Höhepunkt des Festivals nennt der Veranstalter Yavuz Kurtulmus unter anderem „Pieles“, den ersten Spielfilm, der am Festival über die Leinwand geht. Auch die „Political Porn Shorts“, die darauf folgende Diskussion über den Rechtsruck in der Gesellschaft sowie dessen Einfluss auf die Kunst seien überaus gefragt, so Kurtulmus.

In den Kategorien „Austrian Porn & Retrospective Shorts“ und „Female* Porn Shorts“ wird auch der Kurzfilm „Ars Erotica“ von Katharina Schöch und Tobias Chromy gezeigt, die beide aus Feldkirch stammen und beide in Wien studieren. Dass ihr Film ins Festival-Portfolio aufgenommen wurde, hat die beiden überrascht, sind in „Ars Erotica“ doch praktisch nur zwei Hände zu sehen, deren Finger ein Techtelmechtel miteinander führen. Die kunstvolle, minimalistische Bildsprache wird von einem linear einsetzenden und sukzessiv beschleunigenden Soundcluster unterlegt. Dem Veranstalter scheint der Film zu gefallen, zeigen sie ihn doch auch am Eröffnungsabend am 1. März. Sie wollen „Ars Erotica“ zudem auch noch an andere europäische Festivals weiterempfehlen.

Im Interview erläutern die beiden jungen Filmemachenden Katharina Schöch und Tobias Chromy die Hintergründe zu ihrem doch sehr speziellen Film „Ars Erotica“.

KULTUR: Die eigentliche Idee zu diesem Film „Ars Erotica“ stammt ja von Dir, Katharina. Was hat Dich dazu bewogen, dieses Projekt zu starten?
Katharina Schöch:
Ich habe durch ein Seminar an der Universität angefangen, mich mit Pornografie auseinanderzusetzen. Für mich war es ein Medium wie jedes andere, im Sinne, dass es nicht per se "böse" ist, sondern die Form in der so etwas besteht und die Wirkung, welches es auf Menschen hat, immer in Wechselwirkung zu der Gesellschaft steht, die es hervorbringt und nutzt. Ein Medium antwortet. Meiner Meinung nach sollte man anstatt die Antwort zu ignorieren, sie als Lüge zu schimpfen oder versuchen zu zensieren, sich die Fragen ansehen, wer sie wie stellt und warum. Die Sexualität eines Menschen enthüllt meinem Empfinden nach sehr viel über dessen Leben, Einstellungen, Bedürfnisse und Psyche - Sexualität treibt uns an, wir verstecken uns hinter ihr, verstecken sie vor uns und suchen uns in ihr. Ich sehe in der Pornografie eine riesige Chance in der Gesellschaft, die Nuancen der Sexualität zu diskutieren. Dies ist nur möglich, wenn wir sie enttabuisieren, ihr Raum geben und sie formen, wie wir sie als konstruktiv empfinden.
Die Idee zum konkreten Film kam sehr einfach: Ich lag auf dem Bett, hörte Musik und beobachtete meine Hände beim Miteinander-Spielen. Das fand ich sehr schön. Mir kamen verschiedene Gedanken dazu. Als erstes sind Hände relativ befreit von Gender. Sie stecken uns durch ihren Gebrauch nicht in eine Rolle. In dieser Hinsicht sollten die Hände im Film stellvertretend für zwei menschliche Körper stehen. Als zweites sind Hände und Finger bezüglich Sexualität und Pornografie essentielle Instrumente, welche als solche kaum benannt werden. Wir reden von Missionarsstellung, Doggy-Style und Blow-Jobs - das geht mir zu wenig ins Detail. Und drittens möchte ich fragen, ob es nicht an jedem Menschen ganz kleine Details sind, die ihn für sein Gegenüber unverwechselbar erotisch machen.
Ich wollte Pornografie auf diese Details bringen, ob das jetzt ein Schulterblatt ist oder ein Ohrläppchen. Darum kam auch die Orange dazu: Als ich klein war, hat meine Mama mir gesagt, ich solle mir eine Orange wählen und sie ganz genau betrachten. Dann zurück in den Korb legen. Ich musste die Augen schließen und sie hat die Orangen vermischt. Dann sollte ich nach meiner Orange suchen. Ich hab sie gefunden und sie hat mich gefragt, woran ich sie erkannte: An den "Fehlern". Den Unebenheiten - außerdem fand ich es einfach lustig, am Anfang so in die Orange reinzuzoomen, bis sie aussieht wie eine Brust mit Nippel :D
KULTUR: Was für technische Mittel standen Dir zur Realisierung des Films zur Verfügung?
Katharina Schöch: Die Kamera war eine Blackmagic Cinema und zum Schneiden hatten wir Adobe Pro, die Musik hat Tobias mit Reaper gemacht. Vom Equipment her war alles ausgeliehen, bzw. wurde als Textversionen verwendet.
KULTUR: Ich habe gehört, dass Du auch Gedichte schreibst. Was hast Du sonst noch im kulturellen oder künstlerischen Bereich bislang gemacht?
Katharina Schöch: Ich habe Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien studiert, privat Schauspielunterricht bei Anna Hauer genommen und Voice-Acting bei Christian Reiner und Joe Baumgartner gelernt. Als Sprecherin arbeite ich ebenfalls, wenn ich die Möglichkeit dazu erhalte. Ich schreibe vor allem Kurzgeschichten und versuche seit ein paar Monaten, meine Texte auf Poetry Slams und in Theaterprojekten zu performen und produziere sie als Audiodateien. Vor Kurzem habe ich mit dem Propädeutikum begonnen und möchte diese Ausbildung auch irgendwann mit dem Fachspezifikum abschließen, um dann ausgebildete Psychotherapeutin zu sein.
KULTUR: Das Konzept zu diesem Film hast Du entwickelt. Dann hast Du Tobias Chromy ins Boot geholt. Wie ist es dazu gekommen?
Katharina Schöche: Ich liebe Tobias' Solo-Projekt "Findus". Seine Musik war für mich immer ein Stück zu Hause, dass ich mitnehmen konnte. Ich habe ihm von der Idee erzählt, wie ich mir das Zusammenspiel zwischen Handbewegungen, Bildausschnitt, Schnitt und Rythmik der Musik vorstelle und er hat mich verstanden. Ich bin sehr froh, dass er auch geschnitten hat - mit mir zusammen. Wir haben jede Entscheidung viel diskutiert, aber rein das technische - dafür hat er so viel mehr Geduld und Interesse als ich. Er hat meine Wünsche erst möglich gemacht und mit seinem Fokus auf die Musik und meinem Fokus auf die Bilder haben wir dann zusammengespielt. Daher ist das auch ganz sicher nicht "mein" Film, sondern "unser" Film.

Erotisierung des „Banalen“

KULTUR: Wie war deine Reaktion, Tobias, als Katharina mit dem Projekt auf Dich zugekommen ist? - Warst Du sozusagen unmittelbar davon „entflammt“?
Tobias Chromy: Da dieses Projekt das erste Filmprojekt darstellt, zu welchem ich die Musik schreiben durfte, war meine Reaktion tatsächlich "entflammt". Die Idee selbst fand ich sehr spannend, da sie das herkömmliche Verständnis darüber, was denn "Porno" ist - und was nicht - irritiert, aufweicht und erweitert. Der Film ist in Bezug auf Bild und Aufbau sehr minimalistisch und verzichtet auf klassische Elemente und Techniken der (Mainstream-)Pornographie zugunsten der Erotisierung des „Banalen“. Unser Fokus liegt dahingehend vor allem auf einer Stimmung, die vermittelt werden soll, welche wiederum als Metapher für Phantasien und Vorstellungen des Publikums wirkt. Dafür die Filmmusik zu konzipieren, war schon eine Herausforderung und wahrscheinlich auch genau aus diesem Grund sehr spannend für mich.
KULTUR: Stellt die von Dir geschriebene Musik zum Film eine unmittelbare Reaktion auf die ablaufenden Bilder dar oder hast Du Dich auch von Vorbildern leiten lassen?
Tobias Chromy: Der Entstehungsprozess lief so ab, dass Katharina mir im Detail erklärt hat, wie sie sich den Film vorstellt und was dabei für sie zentrale Elemente des Films sind, worauf als Basis ich dann die Musik dazu geschrieben habe. Anleitende Bilder oder Vorbilder gab es in dem Sinne nicht.
KULTUR: Welche Funktion kommt Deiner Musik in diesem Film nun konkret aus Deiner Sicht zu?
Tobias Chromy: Aus meiner Sicht hat die Musik in diesem Film vor allem die Funktion, den Bildern Kontext, Kohärenz und Struktur zu geben. Da keine direkte Handlung gegeben wird, der das Publikum folgen kann, lebt der Film meiner Meinung nach vor allem von seiner Atmosphäre. Dahingehend ist es das Wechselspiel aus (Bild-)Bewegung, Schnitt und Musik, welches die Dynamik des Films herstellt und dadurch eine Handlung in diesem Sinne komponiert.
KULTUR: Wie wurde die Musik instrumental umgesetzt? War auch Deine Band Pettersson involviert?
Tobias Chromy: Die Musik selbst wurde von mir im Rahmen des Soloprojekts "Findus" komponiert, die Band "Pettersson" war nicht involviert. Im Grunde genommen sind alle Spuren von mir mit der Gitarre gespielt worden, mit Ausnahme des Schlagzeugs. Das Ganze wurde über eine Loopstation aufgenommen, die einzelnen Spuren dann via USB auf den PC kopiert, wo das Stück dann zusammengesetzt und nachbearbeitet wurde.
KULTUR: Hat Dich das große Aufheben der Veranstalter des Porn Film Festivals in Bezug auf Euren Film überrascht?
Tobias Chromy: Tatsächlich war und bin ich sehr überrascht. Das liegt wohl zum einen daran, dass der Zeitpunkt, an dem der Film tatsächlich fertig war, nun schon zwei Jahre her ist und ich die Zusage für das „Porn Film Festival“ in diesem Kontext als ein wenig „aus dem Nichts heraus“ beschreiben würde. Zum anderen ist die ganze Situation für mich völlig neu. Weder habe ich mit der wirklich sehr positiven Reaktion der Veranstaltenden gerechnet, noch damit, dass der Film mehr als einmal gezeigt werden wird. Insofern freue ich mich immens darüber und bin schon sehr gespannt darauf, den Film auf einer Leinwand zu sehen.

https://www.youtube.com/embed/VF3XBEInzhs