Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Walter Gasperi · 27. Feb 2018 · Film

„Erik & Erika” – 20 Jahre im Schnelldurchlauf statt dichtes Zeitbild und Psychogramm

So rasant der Stern Erika Schineggers als Skistar Mitte der 1960er Jahre aufging, so abrupt verglühte er als Zweifel an ihrer weiblichen Identität aufkamen. Reinhold Bilgeri zeichnet in seinem Spielfilm oberflächlich und grobschlächtig das Leben der Kärntner Abfahrtsweltmeisterin von der Geburt bis zur Findung der männlichen Identität nach.

Mit einer Kamerafahrt durch das nächtliche Insert zu einem Kloster und in dessen von zahlreichen Kerzen erhellte Kirche, dem Blick auf eine betende Schwester und parallel dazu sowohl einem Mann auf einem Operationstisch als auch einer Sexszene lässt Reinhold Bilgeri sein Biopic beginnen. Erst nach über einer Stunde wird der Film zu dieser Szene, die wohl Interesse wecken soll, aber so isoliert wenig Sinn macht, zurückkehren.
Nicht nur inhaltlich und spannungsmäßig bringt diese Szene nichts, auch die Parallelmontage – offensichtlich ein bevorzugtes Stilmittel von Bilgeri – wird hier und noch mehrfach im Film deplatziert eingesetzt. Zudem wirkt dieser Auftakt mit der sich aus Vogelperspektive dem Kloster nähernden Kamera auch wichtigtuerisch. – Understatement ist nicht die Sache des Vorarlberger Popmusikers, Autors und Filmemachers.

Skeletthafte Erzählung ohne Fleisch

Weil sich eine über rund 20 Jahre spannende Geschichte, die Kurt Mayer schon 2005 im Dokumentarfilm „Erik(A)“ aufarbeitete, kaum selbst erzählt, braucht der Film eine Erzählerin. Diese Rolle erfüllt die nach einem realen Vorbild gezeichnete Sekretärin des Skiverbands Liesel Sumatter (Ulrike Beimpold), die sich als enge Vertraute Schineggers vorstellt. Sie wird in der Folge mit ihrem Off-Kommentar, der teilweise in seinem Pathos schwer zu ertragen ist, nicht nur Leerstellen füllen und Szenen in ihren Kontext stellen, sondern auch Einblicke in das Empfinden des Protagonisten bieten.
Dass letzteres nicht der Film an sich schafft, ist problematisch: Hier muss verbal formuliert werden, was nie spürbar wird. Das liegt auch daran, dass bei diesem Schnelldurchlauf keine Zeit für einzelne Szenen bleibt und statt einen Moment auszuformulieren und diesem Dichte zu verleihen, Lebensstationen rasch abgehakt werden.
Von der Geburt auf einem Kärntner Bauernhof 1948, bei der sich die Hebamme bei der Bekanntgabe des Geschlecht kurz irritiert zeigt, springt der Film in die Kinderjahre um Erikas Vorliebe für Seifenkistenrennen und Traktoren statt für Puppen zu zeigen. Weiter geht es in die Jugendjahre und nach weniger als 30 Minuten ist der Film schon beim Abfahrtssieg Erika Schineggers bei der WM 1966 im chilenischen Portillo.
Die Geschlechterrollen der 1960er Jahre, die dabei präsentiert werden, mögen der Realität entsprechen, doch in der Verkürzung auf Sätze wie „Ein sauberes Mädel hat in der Werkstatt nichts zu suchen“ wirkt „Erik & Erika“ wie ein klischeehafter Schulfilm, entwickelt aber nie ein Gefühl für die gesellschaftliche Enge und die Zwänge dieser Zeit. Auch die Identitätszweifel Schineggers werden nur kurz gestreift.
Die Fakten mögen stimmen, doch die Erzählung bleibt skeletthaft, lässt das Fleisch rundherum, durch das ein Film erst lebendig wird von schillernden Figuren, differenzierter Entwicklung von Konfliktfeldern bis Beschwörung einer Atmosphäre vermissen. – Alles will Bilgeri hineinpressen, nichts gewinnt dadurch letztlich Nachdruck und Kraft.

Böser ÖSV – einfühlsame Frauen

Viel zu abrupt bringt auch fast unmittelbar auf den Triumph ein Sextest Zweifel an der weiblichen Identität – und damit das Einschreiten des österreichischen Skiverbands, der einen Skandal unbedingt vermeiden möchte. Aber auch hier beraubt sich der Film mit seiner grobschlächtigen Inszenierung selbst der möglichen Wirkung, wenn karikaturenhaft gezeichnete böse Vertreter des Skiverbands dem verunsicherten Teenager Erika (Markus Freistätter) gegenübergestellt werden.

Plump und grobschlächtig

Der Wahrheit mag es entsprechen, dass Erika in der Nonne Sigberta (Marianne Sägebrecht), der Sekretärin Sumatter und dem Arzt Dr. Kübler (Harald Schrott), zu dessen ambivalentem Verhalten, wenn er Erika als Forschungsobjekt seinen Studenten im Hörsaal präsentiert, Bilgeri aber keine Position bezieht, Unterstützer bei der Suche nach seiner sexuellen Identität findet.
So plump wie die Gegenüberstellung von – vor allem weiblichen – Förderern und fiesen ÖSV-Funktionären, von denen weder die einen jenseits ihrer Rücksichtslosigkeit noch die anderen jenseits ihrer Einfühlsamkeit ein Profil gewinnen, aber ist, so plakativ und plump ist die Inszenierung insgesamt.
Besonders markant zeigt sich dies in zwei Szenen. So reicht es nicht, dass Schinegger nach der operativen Geschlechtskorrektur aus dem Krankenhaus durch ein Tor in gleißendes Licht tritt, sondern auf der Tonspur muss auch noch Steppenwolfs „Born to be Wild“ den Aufbruch in ein neues Leben unterstreichen. Ein weiteres Beispiel für diese Plumpheit folgt wenig später, wenn Erik in die Kirche seiner Heimatgemeinde tritt, dort aber von den Männern ausgegrenzt wird und auf musikalischer Ebene „O Haupt voll Blut und Wunden“ ihn mit Tränen in den Augen aus der Kirche begleitet.
Ausgesprochen grobschlächtig – und machistisch – sind dann auch die zwei Initiationsriten, mit denen Bilgeri seinen Protagonisten endgültig zum Mann werden lässt: Einerseits muss er für seinen Vater Hühner schlachten, andererseits hat er endlich Sex, zu dem den noch unentschlossenen und zögernden seine Jugendfreundin Christa im Heustadel drängt. – So einfach wird der Identitätswechsel eines Menschen, der 20 Jahre als Mädchen oder Frau gelebt hat, kaum sein, dessen vermutlich schweren inneren Kampf mit sich selbst, dessen Zweifel und Zerrissenheit, wird in „Erik & Erika“ nur behauptet, aber nie erfahrbar.

 

 


Ab Donnerstag 1. März in den Kinos
www.constantinfilm.at/kino/erik-erika.html