Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Gunnar Landsgesell · 01. Mär 2019 · Film

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Eine Bubengeschichte zwischen Fantasie und Autobiografie nach dem gleichnamigen Roman von André Heller. Der zwölfjährige Paul schlägt darin mit intellektueller Brillanz und naivem Glauben, jedes Hindernis überwinden zu können, Autoritäten wie den eigenen Vater und die katholischen Padres in die Flucht. Eine Inszenierung zwischen traumwandlerischen Bildern und jugendlichem Schalk.

Wenn ein Kind der Erwachsenenwelt derart in ihre autoritären Lebenswelten pfuscht, dass den Alten stumm der Mund offen bleibt oder sie in hysterisches Lachen verfallen, dann muss aus diesem Kind später etwas Außergewöhnliches werden. Im Fall dieser Geschichte heißt der Bub, der mit überschüssiger Fantasie und intellektuellem Scharfsinn erst den Vater und später den Generalpräfekten des katholischen Internats in den Wahnsinn treibt, Paul – und im richtigen Leben André Heller. Keine leichte Aufgabe, dessen 2008 erschienenen, autobiographisch motivierten Roman „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ in Bilder zu gießen. Es gilt, den großbürgerlichen, jüdischen Background Hellers aus der Perspektive eines 12-jährigen Buben (Valentin Hagg) mit der Magie und dem Manierismus von Zirkus-, Afrika- und Feuershows des späteren Künstlers zu verbinden. Einen möglichen Weg dafür zeigt Regisseur und Autor Rupert Henning, der eine eigentümliche Mischung aus getragener Inszenierung und einer schrägen Form des Humors wählt, die sich bis in surreale Bilder zu steigern weiß. Ein Bub, der vom Himmel (eigentlich vom Dach des Internats) fällt, und den Priestern Rätsel aufgibt: „Was machst du hier?“ „Ich komme zur Besinnung.“ Und ein Bub, der den gestrengen Vater (Karl Markovic als irrlichternder Menschenschreck) durch das Ketzertum seiner Worte immer wieder resignieren lässt: „Ich soll Papst werden?“, sagt Paul. „Ich habe anderes mit mir vor. In den Krater des Vesuv steigen oder Weltmeister im Unsichtbarsein werden. Und ein Gedanke noch: Sollte ich tatsächlich Papst oder mindestens Kardinal werden, bedeutete dies, dass du dein Knie vor mir beugen müsstest. Dann bin ich dein Heiliger Vater.“ Doch soweit kommt es gar nicht. Bald scheidet der leidgeprüfte Mann aus dieser Welt und auch aus jener, in die er selbst immer öfter geflüchtet war.

Magie und Manierismus

Hennings Film besitzt den Mut, ein langsames Tempo zu gehen und auf die suggestive Kraft seiner Bilder zu bauen. Das mächtige Herrschaftshaus ist ein Schauplatz für sich, gleichermaßen Tollplatz und Ort der Disziplinierung. Der unberechenbare Vater, eine Mutter (Sabine Timoteo), die einem Schatten gleicht; ein pedantischer Bruder und jede Menge Spleens, die hier im Geheimen ausgelebt werden können. Später, wenn Paul einem sadistischen Padre ein Wischtuch mit Erbrochenem ins Gesicht wirft, dann wendet der Bub auch die Saat der mitleidlosen Erzieher gegen diese selbst. „Haltet Abstand, dann gibt es keine Enttäuschungen in Freundschaften und nichts stellt sich in den Weg zum Einzigen, das lohnt, jene zu Christus.“ Henning greift den antiklerikalen und antiautoritären Gestus dieser Geschichte auf und ergänzt ihn um den Schalk seiner keineswegs unglücklichen Hauptfigur. So hat „Wie ich lernte“ nie den Geschmack einer Revanchegeschichte, sondern steht immer im Zeichen der Befreiung, des Übermuts und des naiven Glaubens, alle Widerstände aushebeln zu können. Eine Tonart, die wohl auch die Denkweisen des späteren Künstlers vorwegnimmt, auch wenn dieser Film noch im Bubenalter endet. Doch es ist gewissermaßen Programm, mit diesem Film wieder Kind bei sich selbst zu sein.