Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Walter Gasperi · 26. Apr 2020 · Film

Die Kamera - ein Versprechen für eine ganz besondere Art von Begegnung: Ein Interview mit der Bludenzer Kamerafrau Siri Klug

Letzten Freitag wurde Maryam Zarees "Born in Evin" als bester Dokumentarfilm mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Die Kamera führte bei dieser Spurensuche der Regisseurin nach ihren iranischen Wurzeln die 1972 in Bludenz geborene Siri Klug. Die Vorarlbergerin, die an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin ein Studium zur lichtsetzenden Kamerafrau absolvierte, kann schon auf zahlreiche Auszeichnungen verweisen. Zuletzt führte sie auch bei Katharina Weingartners Dokumentarfilm "Das Fieber", dessen Festivaltournee und Kinostart durch die Corona-Krise abrupt gestoppt wurde, die Kamera. Walter Gasperi führte mit der in Berlin Filmschaffenden via E-Mail folgendes Interview zu ihrer Entwicklung und ihrer Arbeit.

Walter Gasperi: Sie wurden in Bludenz geboren, wuchsen in Vorarlberg auf und machten an der HAK Bregenz die Matura. Wie kamen Sie zum Film?
Siri Klug: Ich gehöre nicht zu den Menschen, die schon mit der Kamera in der Hand in der „Wiege“ lagen und wussten, dass sie unbedingt zum Film wollen – wie man es in manchen Biographien öfter mal hört oder liest. Ich habe mich aber immer schon für Geschichten, Menschen, unterschiedliche Kulturen und Sichtweisen interessiert. Eine Kamera bildet ja nicht nur ab, was vor ihr passiert. „Die Kamera“ – und somit die Bildgestaltung – ist in gewisser Weise eine Art Vereinbarung, ein Versprechen für eine ganz besondere Art von Begegnung: Ich bin da, ich höre genau zu und ich versuche zu verstehen. Das ist eine wunderbare Art, im Leben zu sein.

Sehnsucht nach langen, möglichst fernen Auslandsaufenthalten

Gasperi: Nach Ihrem Studium zur lichtsetzenden Kamerafrau an der DFFB arbeiteten sie mit Michael Ballhaus bei Martin Scorseses "Gangs of New York", Hans Fromm bei Christian Petzolds "Wolfsburg" und übernahmen die zweite Kamera bei Angela Schanelecs "Orly". Das waren Spielfilme, als Kamerafrau spezialisierten Sie sich dann aber auf Dokumentarfilme. Wieso?
Klug: Schon während meines Studiums an der DFFB habe ich die Möglichkeit bekommen, einen langen Dokumentarfilm in Asien zu drehen. Da waren die ersten Weichen gestellt und vor allem die Sehnsucht nach langen, möglichst fernen Auslandsaufenthalten geweckt. Später kamen verschiedenste Drehorte beispielsweise in Französisch-Guyana, Russland und der Zentralafrikanische Republik hinzu. Also Orte mit schwierigen klimatischen Bedingungen und technischen Herausforderungen. Diese mit kleinem Team zu meistern, reizt mich besonders.
Gasperi: Worin liegen die Unterschiede für eine Kamerafrau zwischen der Arbeit an einem Spiel- und einem Dokumentarfilm?
Klug: Das ist tatsächlich eine sehr spannende Frage: Der Dokumentarfilm ist – auch durch neue Auswertungsmöglichkeiten – ein weites, lebendiges, spannendes Feld und die Grenzen zum Spielfilm bzw. zur Spielfilmdramaturgie sind fließend geworden. Biographische Erlebnisse oder Schicksale werden mit Laiendarstellern oder tatsächlichen Betroffenen an realen Schauplätzen umgesetzt – die Fiktion ist da ein hauchzartes Gerüst für die dokumentarische Wirklichkeit. Auch die Arbeitsweisen, die der Spielfilm dafür mitunter nutzt, sind nah an der dokumentarischen Gestaltung. Die Unterschiede zwischen der Arbeit an einem Spielfilm und einem Dokumentarfilm herauszuarbeiten, führt da mitunter in eine Sackgasse. Spannend ist für mich dabei die Frage, welcher Inhalt welche Darstellungsform findet und warum.

Demut und Vertrauen

Gasperi: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie: "Mein Ziel ist nicht nur ein schönes Bild zu machen, sondern Zuschauer näher an das heranzuführen, was ein starkes Bild ausmacht: Nähe, Intensität und Leidenschaft." Wie erreicht man das mit der Kamera?
Klug: Durch Demut. Durch Vertrauen. Da ist nicht nur ein Filmteam, eine Produktion usw. die einen Film realisieren möchten. Da ist auch ein Film, der sich erzählen will. Diesen Schnittpunkt gilt es immer wieder in sich und gemeinsam im Team wachzurufen. „Was will die Geschichte, das Thema, der Film von mir?“ Das ist oft sehr viel mehr, als einfach nur ein schönes Bild zu machen.
Gasperi: Auffallend finde ich, dass sie vor allem bei Dokumentarfilmen die Kamera führten, die in ferne Länder entführen. "Song from the Forest" spannt beispielsweise den Bogen vom afrikanischen Regenwald zur Metropole New York, in dem soeben mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichneten "Born in Evin" begibt sich die Regisseurin Maryam Zaree auf eine Spurensuche nach ihren eigenen Wurzeln im Iran und in Katharina Weingartners "Das Fieber" geht es um den Kampf gegen Malaria in Tansania. Wie wählen Sie ihre Projekte aus?
Klug: Es hat sich herumgesprochen, dass ich eine Abenteurerin bin. Außerdem glaube ich, dass die Projekte mich finden oder besser gesagt: Ich rufe sie unterbewusst und sie finden mich. Deshalb ist es für mich auch ganz wichtig, alle begonnenen Filmprojekte bis zur Finalisierung und teilweise bis weit in die Auswertung hinein zu begleiten. Dies ist organisatorisch durch unterschiedliche Drehblocks, Drehzeiten und Drehorte oder lange Schnittphasen gar nicht so einfach. Da bin ich froh, eine Familie zu haben, die mich in einem Beruf mit so wenig Planungssicherheit so sehr unterstützt.

Bildgestalterin und Yogalehrerin

Gasperi: Welche unterschiedlichen Anforderungen werden dabei je nach Projekt an die Kamerafrau gestellt?
Klug: Ich bin neben meinem Beruf als Bildgestalterin auch als Yogalehrerin tätig. Ich staune immer, wie viele Parallelen es zwischen der künstlerischen Arbeit am Film und Yoga gibt. Beide bauen auf Körper, (langen) Atem und (wachen) Geist. Schön, dass wir diese wesentlichen Dinge immer bei uns haben können.

Mit "neuem" Blick auf Reisen gehen

Gasperi: Ist man als Kamerafrau in die Vorbereitung der Filme teilweise einbezogen oder beschränkt sich die Arbeit rein auf die Dreharbeiten?
Klug: Film ist Sprache. Das heißt, dass Bilder – wie andere Texte – gelesen werden können. Was soll erzählt werden, was ist das Thema, wo ist Reibung, wie gelingt Emotionalisierung, wie stellt man Fragen auf die es vielleicht keine Antwort geben wird und schließlich: Wie erreiche ich das Publikum? Die Arbeit beginnt also, lange bevor ich zum ersten Drehtag aufbreche.
Gasperi: Welche Projekte sind derzeit in Planung?
Klug: Momentan arbeite ich an zwei Dokumentarfilmprojekten, die noch dieses Jahr in die Finalisierung gehen werden. Mit Ende des Jahres beginnt dann ein neues dokumentarisches Filmprojekt, auf das ich mich schon sehr freue. Es wird mich einerseits technisch und logistisch sehr fordern und andererseits verlangt es schon jetzt von mir, mit „neuem“ Blick auf Reisen zu gehen.