Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 04. Okt 2018 · Film

Waldheims Walzer

Vor rund 30 Jahren wurde Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten gewählt und damit unfreiwilliger Auslöser der NS-Geschichtsaufarbeitung Österreichs. In Ruth Beckermanns Film entpuppt sich Waldheim dabei auf unvermutete Weise als erster Repräsentant des Landes.

So wollte Kurt Waldheim ganz sicher nicht erinnert werden. Ruth Beckermanns brillant montierter Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ entfaltet sich als Diptychon: einerseits persönliches Drama, in dem der Bundespräsidentschaftskandidat von 1986 sich einer Vergangenheit stellen muss, die er für sich selbst und auch in seiner Biographie feinsäuberlich ausgelöscht hatte. Als erster Offizier des Generalstabs der Wehrmacht war er am Balkan über Kriegsverbrechen und die Verschleppung griechischer Juden zweifellos informiert. In seiner Biographie erscheinen die Jahre als weiße Flecken. Auf Recherchen von Journalisten und des Jewish World Congress reagiert Waldheim mit einer Bunkermentalität. „Ich habe nur meine Pflicht getan“ und die berühmt-berüchtigte „Schmutzkübelkampaign“, der Waldheim durch bestimmte „einflussreiche Kreise“ ausgesetzt sein wollte, zählen zu geflügelten Worten, wenn es heute um dieses Kapitel österreichischer Zeitgeschichte geht. Das Material aus Interviews, Reden, Waldheims öffentlichen Auftritten und hochkochenden Demonstrationen von Anhängern und Gegnern Waldheims, das Beckermann in den Archiven vorfindet, erweist sich als erschreckend dankbar, um die zunehmend entgleitende Stimmung zu dokumentieren. Es zeigt eine Haltung zwischen Selbstmitleid und Entrüstung, zwischen Geschichtsvergessenheit und forscher Trotzhaltung.

Polit-Persiflage

Dass diese Haltung von einer Mehrheit der Bevölkerung so sorglos, wenn nicht engagiert übernommen werden konnte, ist die zweite Betrachtungsebene, die „Waldheims Walzer“ erlaubt. Es ist der Blick auf eine Republik, die vier Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unversehens in eine Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte gestoßen wurde. An den illustren Statements zeigt sich nicht nur ein hohler Grundkonsens des Staates, sondern auch, dass der Rollenwechsel vom ersten Opfer Hitlers zur Mitverantwortung an der Shoa und den Verbrechen Nazi-Deutschlands viele überforderte. Beckermann selbst drehte aus dem Gewühl von Demos heraus, wo der Antisemitismus hochkochte, moralisch legitimiert durch Regierungsvertreter. Sie kompiliert ihren Film pointiert, mitunter mit beißender Ironie, und immer in klarem Bezug zu ihrem Thema. So wird deutlich: Um die eigene Ehre zu retten, war man bereit, sich im Schatten eines Unrechtsstaates noch einmal breit zu machen. Einiges an diesen O-Tönen klingt heute so grotesk, als wäre es eine Polit-Persiflage von Maschek. Fast schon wie eine Kapitulation klingt hingegen Bundeskanzler Fred Sinowatz’ sarkastisches Statement, wenn er meint: „Wir nehmen zur Kenntnis, dass er (Waldheim, Anm.) nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd.“ Ein Film als politische Chronik und Essay des frivolen Grauens, eine Zeugenschaft, in der sich das Politische und das Private auf besondere Weise verbinden.