Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 07. Okt 2020 · Film

Vergiftete Wahrheit

Packender Umweltthriller und psychologische Charakterstudie - "Vergiftete Wahrheit" ist beides in einem und hält die Spannung bis zum Schluss hoch. Ein Kunststück, das nur wenige Filmemacher wie Todd Haynes schaffen. In der Hauptrolle als Anwalt, kaum wieder zu erkennen, Mark Ruffalo.

Todd Haynes, einer der präzisesten und visuell elaboriertesten Filmemacher unserer Zeit, überrascht nach Filmen wie „Velvet Goldmine“, „I’m not There“ oder „Carol“ mit einem Umweltthriller. Überraschend insofern, als Haynes sich wie kaum ein anderer auf Charakter- und Milieubeschreibungen versteht. In „Vergiftete Wahrheit“ (treffenderer Original: „Dark Waters“) führt er beides zusammen: Eine an die Paranoia-Trilogie eines Alan J. Pakula erinnernde, unheimliche Geschichte über den allmächtigen Chemiekonzern DuPont, der sich auch die Politik dienstbar macht; und den Leidensweg eines Anwalts, der gegen die Machenschaften des Konzern zwei Jahrzehnte ankämpft und dabei selbst fast vor die Hunde geht. Mark Ruffalo, mit einigen Kilo mehr, abgearbeitet und zunehmend von nervösen Ticks gezeichnet, lebt in dieser Rolle exakt die Vorstellungen Haynes’ intensiven, hochsensitiven Kinos, in dem jeder Ton stimmt.

Chronologie des Zerfalls

„Dark Waters“ entwickelt seinen Sog aus einer harmlos beginnenden Episode. Ein aufgebrachter Bauer aus West Virginia arbeitet sich rüde in die Anwaltskanzlei durch und hinterlässt dort einen Karton selbstgedrehter Videos. Der Herr Anwalt solle sich das einmal anschauen. Nur langsam wächst Ruffalos Charakter und mit ihm das Publikum in einen Giftskandal, der selbst von der Umweltbehörde gedeckt wird. Es geht um Arbeitsplätze, um Einfluss und um den alternativlosen Glauben an eine fortschrittliche Technologie. Dass das Teflon, ursprünglich aus der Militärindustrie stammend, die Menschen, die damit in Kontakt kommen, von Krebs bis zu Missbildungen schwer schädigt, gilt es für den zum Einzelkämpfer mutierenden Anwalt zu beweisen. In einem einzigen Bild, in dem er umgeben von Kartontürmen mit Akten in einem fensterlosen Raum am Boden hockt, kulminiert Haynes den Zustand dieses Mannes. Die Ehe mit seiner Frau (Anne Hathaway) nahezu zerrüttet, beim Arbeitgeber (Tim Robbins als Kanzleichef, der Risiken scheut) am Rand zur Kündigung, bei den Leuten aus der Umgebung verhasst, weil er ihren Arbeitgeber in Misskredit bringt. Haynes schafft es aber auf brillante Weise, das Genre des Umweltkriminalfalls (in Anlehnung an Filme wie „Silkwood“) mit der psychologischen Tiefe einer Charakterstudie zu verknüpfen. Dabei setzt er auf mehreren Ebenen eine durchkomponierte Chronologie des Zerfalls ins Bild: Ob der geschädigte Landwirt, dessen Kühe auf mysteriöse Weise „verrückt“ wurden und starben, Gerechtigkeit erhält; ob Ruffalo im Kampf gegen ein ganzes Pharma-System einen Präzedenzfall schaffen kann; und ob der karzinogenen Teflonproduktion, die über Pfannen bis zur Outdoorkleidung in unser Blut gelangt ist, am Ende des Films das Aus beschert wird – Haynes hält die Spannung bis zum Ende unerbittlich hoch.